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Zugausfall ohne NotPrivatbahn National Express sabotiert den Zugverkehr in NRW

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Ein Regional-Express von National Express fährt in den Kölner Hauptbahnhof ein. Mit dem vorgeplanten und grundlosen Ausfall einer Linie am Wochenende hat das Bahnunternehmen für viel Aufregung gesorgt. Foto: IMAGO/Jochen Tack

Der Millionenstreit um eine Nachbesserung der Verträge wird auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen. Fahrgastverband Pro Bahn spricht von Erpressung.

Das hat es im Nahverkehr an Rhein und Ruhr noch nie gegeben. National Express stellt am vergangenen Wochenende auf einer Linie den Betrieb komplett ein, obwohl genügend Fahrpersonal und Züge vorhanden sind. Ohne lange Vorwarnung und Angabe von Gründen. Und zwar nicht irgendeine Linie, sondern den Regional-Express 4 zwischen Hamm, Wuppertal, Düsseldorf, Mönchengladbach und Aachen. Betroffen sind Tausende Pendler, darunter viele Besucher der Bundesliga-Topspiele Mönchengladbach gegen München und Dortmund gegen Köln.

Normalerweise streiken Lokführer oder Fahrdienstleiter. Diesmal ist es ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, das mehr Geld verlangt. Es geht um bis zu 400 Millionen Euro. Die sollen die Verkehrsverbünde go.Rheinland und Rhein-Ruhr (VRR) drauflegen, damit National Express weiter in ihrem Auftrag Züge auf sieben Linien durch NRW fährt. Fünf der seit 2015 mit National Express abgeschlossenen Verträge laufen bis 2033, zwei bis 2030.

Was ist da los? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

National Express ist seit Juni 2023 Teil der börsennotierten britischen Mobico Group PLC, deren Aktien in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich 22,5 Prozent an Wert verloren haben. Der Kurs stand am Dienstag bei rund 30 Cent. Die Aktie ist seit dem 25. April als hoch riskanter Titel eingestuft. In den USA wurde im Juli das Schulbus-Geschäft verkauft, in England macht Flixbus den Briten Konkurrenz. Eisenbahnen betreibt die Gruppe nur noch in NRW und ist dort wegen des Personalmangels vor knapp zwei Jahren in Schieflage geraten.

Das ist bedauerlich. Aber warum sollen die Verkehrsverbünde in NRW mit öffentlichen Geldern britischen Aktionären aus der Patsche helfen?

Weil ein mögliches Aus von National Express auch das Land teuer zu stehen käme. Mit knapp 18 Prozent Marktanteil und sieben Linien sind die Briten nach dem Platzhirsch DB Regio die Nummer zwei in NRW, fahren pro Jahr rund 21 Millionen Zugkilometer, darunter sechs Regional-Express-Verbindungen, von denen vier über Köln laufen. Sollten diese Züge vom einen auf den anderen Tag wegfallen, bräche der gesamte Regionalverkehr in NRW zusammen.

Sie haben mächtig Ärger mit den Verkehrsverbünden: Tobias Krogmann und Michael Hetzer (rechts), die Geschäftsführer des Eisenbahnverkehrsunternehmens National Express, stehen im Juli 2025 vor einem Regionalzug im Kölner Hauptbahnhof.

Eine Pleite haben wir mit dem Bahnbetreiber Abellio Ende 2021 doch schon mal erlebt.

Stimmt. Damals hat National Express innerhalb von drei Monaten im Februar 2022 den RE 1 (Aachen-Köln-Hamm) und den RE 11 (Düsseldorf-Dortmund-Kassel) übernommen. Das war ein unglaublicher Kraftakt, weil das gesamte Fahrpersonal trainiert und ein Notverkehr organisiert werden musste. Die Abellio-Pleite soll das Land NRW rund 530 Millionen Euro gekostet haben.

Verhandeln die Verkehrsverbünde denn mit National Express über deren Forderung?

Die Gespräche hinter den Kulissen laufen schon seit Monaten. Die Verbünde sind zu einem Entgegenkommen bereit, doch bei den finanziellen Vorstellungen liegt man meilenweit auseinander. Bei zwei der sieben Linien könnte man durch eine Vertragsänderung zu leicht verbesserten Konditionen kommen. Dazu müsste National Express aber auch bereit sein, zum Beispiel auf der äußerst verspätungsanfälligen Linie RE7 zwischen Krefeld, Köln und Rheine mehr Züge einzusetzen. Von 400 Millionen Euro zusätzlich bis zum Ende der Vertragslaufzeiten, die National Express vorschweben, ist man aber meilenweit entfernt.

Hat es nicht schon einen Nachschlag bei den Verkehrsverträgen für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen gegeben, die in NRW fahren?

Ja. Der Nachschlag wurde im sogenannten Verkehrsvertrag 2.0 geregelt. Für Verspätungen, die durch Großbaustellen entstehen, werden danach keine Strafzahlungen mehr fällig. Außerdem hat das Land zugestimmt, dass die Unternehmen im Jahr 2025 wegen des Personalmangels rund vier Prozent weniger fahren müssen, wenn das dazu beiträgt, die Pünktlichkeit zu verbessern. Alle haben dem im Sommer 2024 zugestimmt. Nach Angaben der Verkehrsverbünde hat nur National Express kurz danach moniert, das sei zu wenig. Und wollte den Verbünden vorschreiben, welche Züge nicht fahren sollen. Zwei Abmahnungen wegen unzureichender Leistungen im November 2024 und Juli 2025 blieben offenbar ohne Wirkung.

Und jetzt der „Streik“ vom Wochenende. Wie geht es weiter?

Die Verkehrsverbünde haben die Verhandlungen mit National Express gestoppt und werden das Unternehmen auffordern, Zugausfälle wie vereinbart künftig mit einer Woche Vorlauf anzukündigen. Man werde sich nicht erpressen lassen und sei auch nicht verantwortlich dafür, dass das Unternehmen Verträge abgeschlossen habe, die offensichtlich nicht auskömmlich sind, heißt es lediglich.

National Express: „Es liegen keine personellen oder materiellen Engpässe zum Betrieb der Leistungen vor“

Gibt es auch eine offizielle Stellungnahme von go.Rheinland?

Ja. Man werde sich „zum aktuellen Zeitpunkt nicht spekulativ über mögliche Kompromisse und abseits der Gespräche über deren Verlauf äußern. Im Sinne unserer Fahrgäste haben wir gegenüber National Express im Vorfeld betont, dass die sehr kurzfristig angekündigten Fahrtausfälle für uns inakzeptabel sind, und fordern NX insbesondere auf, frühzeitiger zu informieren“, sagt Geschäftsführer Marcel Winter auf Anfrage. Sämtliche Zugausfälle und Verspätungen würden auf Grundlage der Verkehrsverträge mit Strafzahlungen belegt.

Wie hat die Geschäftsführung von National Express der Belegschaft erklärt, dass man Züge ausfallen lässt, obwohl es weder Personalmangel und Fahrzeugprobleme gibt?

Mit einer internen Mail der Geschäftsführung an die Mitarbeitenden, die Ende vergangener Woche verschickt wurde.  Dort heißt es wörtlich: „Wie viele von euch schon wissen, befinden wir uns derzeit mit den Aufgabenträgern in einem intensiven Austausch über Anpassungen an unseren Verkehrsverträgen, da sich die Situation auf der Schiene enorm verändert hat und die Verträge das nicht ausreichend finanziell würdigen. Bisher haben die Gespräche kein greifbares Ergebnis erzielt (…) Im Zuge dessen werden wir am kommenden Wochenende (…) alle Fahrten der Linie RE 4 einbehalten. Es liegen keine personellen oder materiellen Engpässe zum Betrieb der Leistungen vor.“

Und was sagt die Geschäftsführung von National Express?

Zum Streit mit den Verkehrsverbünden nichts. Auf mehrfache Nachfrage teilt sie nur mit, dass ab diesem Wochenende der RE 6 und RE 11 wieder im Vollbetrieb fahren und beim RE 4 wieder Nachtfahrten an Wochenenden angeboten werden. Zum Fahrplanwechsel im Dezember sei vorgesehen, dass man auf allen Linien wieder zum Vollbetrieb zurückkehren werde.

Wie reagiert die Landesregierung?

In einem Schreiben an Michael Hetzer und Tobias Krogmann, die Geschäftsführer von National Express, äußert Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) sein Unverständnis, spricht mit Blick auf die Einstellung des RE 4 am vergangenen Wochenende von einer „unzulässigen Eskalation der ohnehin schon schwierigen betrieblichen Situation. Vertragsverhandlungen auf dem Rücken der Fahrgäste“ seien aus Sicht der Landesregierung „nicht akzeptabel“.

Und der Fahrgastverband Pro Bahn?

Der Fall von National Express zeige, dass es ein Fehler sei, bei Ausschreibungen von Fahrleistungen immer nur auf den Preis zu schielen und das günstigste Angebot zu nehmen, sagt der Bundesvorsitzende Detlef Neuß. „In der Schweiz ist das besser geregelt. Und müssen die Bewerber ihre Finanzlage offenlegen und darstellen, wie sie Kosten für jede einzelne Linie erwirtschaften wollen. In Deutschland ist das Geschäftsgeheimnis.“ Das Vorgehen von National Express am Wochenende könne man nur als „Erpressung der Aufgabenträger“ bezeichnen. „Und das auf dem Rücken der Fahrgäste.“