Der Überredens-Künstler

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Dietmar Schneiders Wohnung im Agnesviertel gleicht einem Museum für zeitgenössische Kunst.

Dietmar Schneiders Wohnung im Agnesviertel gleicht einem Museum für zeitgenössische Kunst.

Die große Altbauwohnung mit den Flügeltüren und den Stuckdecken verlangt einfach danach, besichtigt zu werden. „Dann warte ich mit dem Kaffee eben noch“, ruft Dietmar Schneider Frau Christiane aus der Küche zu. Na, so weitläufig wird die Wohnung an der Agneskirche doch auch wieder nicht sein? Dass die Besichtigung fast eine Dreiviertelstunde dauert, liegt an der Kunst. Die Wohnung der Schneiders gleicht einem Museum für zeitgenössische Kunst. Mit der sie mehr als unkompliziert umgehen. Ein paar Joseph Beuys im Flur, ein Siegmar Polke im Wohnzimmer, ein Emmanuel Nassar überm Sofa, Werke von Michael Buthe und C. O. Paeffgen im Arbeitszimmer, ein „Selbstporträt Löwe / Hund“ von Dieter Roth am Ehebett. . .Hunderte von Kunstwerken gehören wie selbstverständlich zum Inventar.

Dietmar Schneider begeht in diesem Jahr „Berufsjubiläum“, 1966 organisierte er seine erste Ausstellung - mit drei Kölner Künstlern - im Italienischen Kulturinstitut. Inzwischen kennt er sie alle, die Künstler, die in den vergangenen 40 Jahren Karriere gemacht haben - oder auch nicht. Vielen hat er den vielleicht entscheidenden Kick verpasst, weil er sich für sie eingesetzt, ihnen eine Ausstellung ermöglicht oder einen Sponsor vermittelt hat.

„Ich war einer der ersten“, mit diesem Satz kann Schneider zahlreiche Geschichten beginnen. Das mag eitel klingen, aber Schneider ist nur ehrlich. Sein Weg zur Bildenden Kunst führte übers Klavier: Der Mann seiner Klavierlehrerin war Bildhauer, und dessen Arbeiten faszinierten ihn. Eine Büste von Hans Gerdes, die seinen Vater Josef, einen Opernsänger, porträtiert, steht auf dem Kamin.

„Ich habe so viel Gewalt gesehen“, auf der Flucht „mit dem Pferdetreck von Breslau nach Prag“. Aber auch so viel Hilfsbereitschaft erlebt, die seiner Mutter und ihm unterwegs entgegengebracht wurLEUTE IN

KÖLN

de. Helfen hat er als seine(n) Beruf(ung) gewählt. Dass er vornehmlich den Bildenden Künstlern hilft, liegt - siehe oben - an dem Bildhauer. „Heinrich Böll hat einmal zu mir gesagt, wenn Sie zuerst einen Schriftsteller getroffen hätten, hätten sie Schriftstellern geholfen. Wäre es ein Schauspieler gewesen, Schauspielern.“ So war es ein Bildhauer.

„Als Erster in Deutschland“ hat er beispielsweise die Kunst auf die Straße gebracht. Genauer gesagt ins Schaufenster. 1968 überredete er 13 Geschäftsleute auf der Hohe Straße, ein wenig Platz zu machen für moderne Kunst. Fünf Jahre später waren's 70 Läden, die ihre Kunden mit der Kunst konfrontierten. Er überredete Joseph Beuys zur ersten Diskussion mit dem Publikum auf der Straße. Finanziert wurden solche Aktionen von Unternehmen. Schneider war Vorreiter in Sachen Kultursponsoring, überredete Firmen wie Lufthansa, 4711, die damalige Stadtsparkasse, dafür Geld locker zu machen. „Künstler sind keine Dekorateure.“ Er initiierte mit 4711 den Kunstpreis Glockengasse und mit Toyota den Fotokunstpreis. Im Trainingslager des 1. FC Köln organisierte er Diskussionen über Kunst, Joseph Beuys überredete er zum Besuch des Rosenmontagszugs. Mit dem damaligen Kulturdezernenten Kurt Hackenberg, und assistiert von Alfred Biolek, stellte er die erste polnische Kulturwoche außerhalb Polens auf die Beine. Seit fast 30 Jahren gibt er die „Kölner Skizzen“ heraus, eine Dokumentation der Kölner Kunstszene. Ein Macher eben.

Irgendwann hat er angefangen zu fotografieren. Seit den 60er Jahren begleitet er die Kunstszene Nordrhein-Westfalens mit der Kamera. An die 90 000 Künstler-Porträts sind so im Laufe der Jahre zusammengekommen, die in letzter Zeit auch mit großem Erfolg ausgestellt wurden. Einige Fotografien hat er den Künstlern wieder „zur Bearbeitung“ überlassen, einen Teil des Flures nehmen diese überarbeiteten Fotografien ein, faszinierende Unikate. Kann man als Kunstvermittler reich werden? „Ich bin Idealist, und deshalb nie Galerist geworden“, betont Dietmar Schneider. Mit den Firmen hat er für seine Projekte feste Honorare ausgehandelt, von Künstlern hat er „nicht ein Prozent Provision“ genommen. Dafür bekam er das ein oder andere Kunstwerk, und darum dauert ein Besuch im Hause Schneider manchmal so lange wie ein Museumsbesuch.

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