„Bleibe lieber bei der Sache“Kölner Tierschützerin wird mit anonymen Anrufen bedroht

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Aleke Schücking schützt Vögel in der Stadt.

  • Aleke Schücking schützt Vögel in der Stadt Köln. Für die 68-Jährige ist das eine Art Lebensprojekt. Sie glaubt, dass die Erde nur erhalten bleibt, wenn Menschen Tiere mehr achten.
  • Als Vorbereitung auf diese Geschichte schickte Aleke Schücking 52 Mails. Sie dokumentieren, wie sie und die anderen Wildtierschützer Abertausende Zigarettenstummel, Flaschen und Plastiktüten vom Ufer entfernen, Dutzende Vögel von Angelschnüren befreien.
  • Schücking schreckt vor Konfrontation nicht zurück, macht auf ihre Projekte aufmerksam – und wird mittlerweile bedroht.

Köln – Im jüngsten Akt geht es um Helena und Demetrius, die seit 20 Jahren treu zusammen leben. Helena ist angeschossen worden, ein Diabolo musste aus ihrer Halswirbelsäule entfernt werden. Sie hinkt, wankt – und trauert, seit vor einigen Tagen ihre Ungeborenen getötet wurden. Zerschlagen auf Asphalt. Von den Tätern fehlt jede Spur.

Aleke Schücking hat den Fall protokolliert. Sie hat Helena zum Arzt transportiert. Der hat eine Röntgenaufnahme gemacht und die Patrone entfernt. Der Arzt hat bestätigt, dass Helena schon öfter in Behandlung war und sie während der Brutzeit gefüttert werden sollte – auch wenn das eigentlich verboten ist. Schücking hat Anzeige erstattet und den Eidotter auf dem Pflaster fotografiert.

Helena_Diabolo

Das Röntgenbild zeigt die Kugel, die ein Tierarzt einem angeschossenen Schwan entfernen musste.

Sie hat ein Schild mit ihrer Telefonnummer aufgehängt, um zu verhindern, dass Spaziergänger, die die hinkende Helena sehen, die Feuerwehr rufen. „Dann würde sie abgeholt und vielleicht eingeschläfert.“ Jeden Morgen und Abend guckt die 68-Jährige nach Helena und Demetrius. Seit das Schild hängt, bekommt sie anonyme Anrufe. „Manchmal werde ich bedroht. Aber ich bleibe lieber bei der Sache.“

Jeder Vogel bekommt einen Namen

Ihre Sache sind die Schwäne am Weiher des Mediaparks. Für sie ist Aleke Schücking Krankenschwester, Seelsorgerin und Sozialarbeiterin: Sie spricht mit ihnen, füttert sie und hält ihren Lebensraum sauber. Helena knabbert an einem sonnigen Tag im Mai dankbar an Schückings Stiefel. „Ich weiß, dass die Tiere mich verstehen können“, sagt die Vogelschützerin. „Es gibt eine Verbindung. Warum sollte ich nicht mit ihnen sprechen?“ Sie findet das so natürlich wie die Vorstellung, dass Tiere eine Seele haben. Dass Tiere dem Menschen nicht zum Konsum oder Zeitvertreib dienen müssen, um sie zu erhalten. Dass Tiere Mittler sind zwischen Menschen und ihrem Ursprung. Dass sich eine aufgeklärte Gesellschaft auch an ihrem Umgang mit Tieren zeigt.

E_Scooter_Schwäne

E-Scooter werden einfach in die Weiher geworfen.

Es gibt Menschen, die Schücking für eine liebenswerte, etwas spleenige Tierschützerin halten. Jedem Vogel gibt sie einen Namen, „um ihn zu einem Individuum zu machen“. Enten, die von einem Hund gebissen oder von einer Angelschnur erdrosselt wurden, schickt sie in ein Veterinärinstitut, um die Todesursache zu klären. Fotos der E-Scooter, die sie und die anderen Weiherpaten aus dem Teich am Mediapark fischen – bislang seien es 30 bis 40 gewesen, sagt sie – sendet sie an die Stadt und die Verwaltung des Mediaparks.

Angelschnur

Tauben, die sich in Angelschnüren verfangen haben, kommt Aleke Schücking zur Hilfe. 

Mantraartig wiederholt sie gegenüber Behörden, was es braucht, um die gefährdeten Vögel zu erhalten: Zäune und Rückzugsmöglichkeiten, Tempolimits an den anliegenden Straßen, Warnschilder, stärkere Kontrollen von Jugendlichen, die Müll und E-Scooter in den Weiher werfen, Hundehalter, die ihre Vierbeiner nicht von der Leine lassen.

„Es ist besser, mit Argumenten zu überzeugen“

Als sich Schücking einmal zwei großen, freilaufenden Hunden in den Weg stellte, um zu verhindern, dass die Tiere die Vögel jagen, hätten die Hundehalter sie bespuckt und geschrien: „Lass unsere Hunde in Ruhe, sonst stechen wir dich ab.“ Angetrunkene Männer am Kaiser-Wilhelm-Brunnen bespuckten und beleidigten sie öfters, wenn sie sie bitte, ihren Müll aufzuheben und die Kippen nicht ins Wasser zu schnippen. Sie fahre dann nach Hause und wasche die Spucke ab.

„Wenn man will, dass andere zuhören, ist es besser, ruhig zu bleiben und mit Argumenten zu überzeugen. Wenn Leute die Enten mit Steinen bewerfen oder mich beleidigen, werde ich aber auch schon mal laut.“

Leidenschaft als Antrieb

Als Vorbereitung auf diese Geschichte schickt Aleke Schücking 52 Mails. Sie dokumentieren, wie sie und die anderen Wildtierschützer Abertausende Zigarettenstummel, Fahrräder, Flaschen und Plastiktüten vom Ufer entfernen, Dutzende Vögel von Angelschnüren befreien. Fotos zeigen, wie Schücking in Wathose E-Scooter aus dem Weiher zieht, Angler, die riesige Schuppenkarpfen unerlaubter Weise nach dem Fang zurücksetzen, Enten mit zerbissenem Genick, überfahrene Schwäne. Schücking mailt Strafanzeigen, seitenweise Schriftwechsel mit Behörden, Röntgenaufnahmen von gebrochenen Flügeln, Fotos und Videos von gerade geschlüpften Küken, Diagnosen und Empfehlungen von Veterinären. Am Telefon redet sie ohne Atempause, von Helena und Demetrius, der Vergiftung der Gewässer durch Elektromüll, von ihrer Familie und ihrer Haltung.

An einem frühsommerlichen Nachmittag liegt sie bäuchlings auf der Mauer vor dem Schwanennest am Mediapark und hält Helena eine Schale mit Mais hin. Die Schwanenfrau zeigt keine Scheu und frisst – „vor ein paar Wochen hatte sie sich noch zum Sterben ins Gebüsch zurückgezogen, jetzt hat sie neuen Lebensmut“. Eine Gruppe mit Kleinkindern und Betreuern schaut zu. Helena und Demetrius haben viele Fans – ihr Nest haben sie an der Brücke des Mediaparks gebaut, geschützt werden sie von einem Bastzaun, den die Weiherpaten angebracht haben.

Großvater versteckte Juden vor den Nazis

Um zu verstehen, was Aleke Schücking antreibt, lohnt ein Blick in ihre Biografie. Ihr Vater Engelbert L. Schücking war ein renommierter Astrophysiker, bekannt mit Stephen Hawking und anderen Koryphäen, der seiner Tochter früh erzählte, dass man viele Sterne am Himmel erst sehen könne, wenn sie längst erloschen sind. „Das hat mich tief beeindruckt.“ Ihre Schwester Heffa ist Biologin und Umweltaktivistin, die kleine Gemeinden beim Kampf gegen die Zerstörung des Regenwalds in Südamerika unterstützt. Ihr Großvater Lothar war Bürgermeister von Husum, Jurist, Schriftsteller und Pazifist. Er schrieb gegen die verfilzte preußische Verwaltung an, verteidigte den Menschenrechtler Carl von Ossietzky und versteckte mit seiner Ehefrau Ellen Louise Juden vor den Nazis.

Am meisten geprägt habe sie ihre Tante Sibylle, sagt Aleke Schücking bei einem Cappuccino auf einer Bank am Weiher, während ein Blässhuhn zu ihren Füßen Balzlaute gurrt. Sibylle Schücking-Helfferich hatte als erste Frau in Deutschland eine Tierarztpraxis und gilt als erste Schlachthofdirektorin der westlichen Welt. Wuchtig, burschikos, furchtlos und charismatisch sei ihre Tante gewesen.

Aleke Schücking ist zierlich und energisch, burschikos ist nur ihr Kurzhaarschnitt. Unerschrocken? Ja, auch. Schücking-Helfferich nahm 1974 mit ihrer Schwester Annette an der Aktion „Wir haben abgetrieben“ des Magazins „Stern“ teil. Annette Schücking-Homeyer gründete den Deutschen Juristinnenbund. Während des Zweiten Weltkriegs war sie im Osten und berichtete ihren Eltern in Briefen, die später veröffentlicht wurden, über den Massenmord der Nazis an den Juden. „Ich habe von meiner Familie gelernt, dass man nicht alles hinnehmen darf“, sagt Schücking. „Dass es gut ist, Dinge zu hinterfragen – und sich nur etwas ändern lässt, indem man etwas tut.“

Erweckungserlebnis im MoMa

Aleke Schücking wuchs in Hamburg auf, der Dialekt färbt bis heute ihre Stimme. Als sie elf war, zog die Familie für die Karriere ihres Vaters nach Austin, Texas. Als Studentin nahm sie in den USA an Anti-Vietnam-Krieg-Demonstrationen teil, kaufte nur noch Bioprodukte und verzichtete auf Fleisch. Sie habe eigentlich Künstlerin werden wollen, sagt sie, „hatte aber nie diesen Impuls, dass ich Kunst produzieren muss, um mich zu retten“. Ihren Einsatz für die Vögel verstehe sie als Kunst: „Es geht ja in der Kunst darum, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen, und das tue ich.“

Mit 33 hatte sie ein „Erweckungserlebnis“: „Ich habe im MoMa in New York eine Ausstellung gesehen, in der gezeigt wurde, wie Picasso, Matisse und Modigliani Kunst von Naturvölkern imitiert haben. Wie das Primitive sie inspiriert hat. Die Werke der vermeintlich Primitiven waren viel eindrucksvoller.“ Nach der Ausstellung wusste sie: „Es gibt nicht nur die Sicht der westlichen Welt, für die Status, Ego und Karriere bedeutend sind. Manchen Naturvölkern geht es darum, jedes Lebewesen, jedes Tier, jeden Stein mit Respekt zu behandeln. Unsere Perspektive auf die Welt ist sehr relativ“.

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Ihr Geld verdient Aleke Schücking als Lehrerin für Business-Englisch. Sie hat ein Institut, in der Coronazeit gibt sie Onlinekurse. Wenn man sie anruft und eine Frage zu den Schwänen hat, bittet sie ihre Schüler, sich kurz selbst zu beschäftigen. „Die kennen das schon von mir “, sagt sie. Um ihre Prioritäten weiß jeder.

Als sie Helena gefüttert hat, liest Schücking noch ein paar Kippen vom Ufer des Weihers auf. Vor ihr ragen die Hochhausriesen auf. Das künstlich angelegte Biotop inmitten von Beton steht wie ein Mahnmal für das Verhältnis von Mensch und Natur im Anthropozän. An der Vogelschützerin hasten maskierte Menschen vorbei, die aus den Gebäuden kommen. Ein Virus, übertragen vermutlich von Tieren, die der Mensch sich untertan macht, hat die Zivilisation in den vergangenen Monaten entzaubert. Aleke Schücking sagt: „Wir brauchen mehr Respekt vor allen Lebewesen, damit die Erde erhalten und lebenswert bleibt.“

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