„Eine unerwartete Begegnung“Wie Lotti, die Kölner Weihnachtsgans, gerettet wurde

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt (2)

Fühlt sich wohl auf dem Hof der Laukötters in Oer-Erkenschwick: die vor dem Kochtopf gerettete Gans Lotti.

Köln – Es ist eine Tradition, dass die Nadzeikas aus Köln-Junkersdorf am ersten Weihnachtstag mit einer befreundeten Familie eine Gans verspeisen, die sie zuvor im Millianshof in Bergheim geordert haben.

Eine solche Gans ist ein mit allen Extras der artgerechten Tierhaltung aufgezogener Vogel, gefüttert nur mit ausgewählten Biospeisen, von Mast keine Spur. 70 Euro kostet eine derartige Ökogans. Doch das alles: Eine nur für ihre Familie aufgezogene Gans auch noch zu essen, die bis dahin ein so wundervolles Leben mit viel Auslauf hatte – das empfand die 19-jährige Lotta Nadzeika als Zumutung. Als Erhebung des Menschen über eine Kreatur, die nur auf der Welt sei, um sich dafür zu präparieren, am 25. Dezember aufgegessen zu werden. Das war im November. Eine Diskussion begann.

Am Ende erreichte Lotta Nadzeika eine ganze Menge: Zunächst einmal schwenkte ihre Familie von Gans mit Klößen und Rotkohl über zu einem Käsefondue. Zudem erhielt sie, nach einem Telefonat mit dem Gänsezuchtmeister aus Bergheim, die Erlaubnis, dass sie den für ihre Familie vorgesehenen Vogel lebend abholen darf, für weiterhin 70 Euro. Kurze Rückfrage in dem Haushalt, in dem schon ein Hund und eine Katze leben: „Wie wär’s, wenn ich die fragliche Gans mit nach Hause bringe?“

Das könnte Sie auch interessieren:

Das wurde allgemein abgelehnt, kein Platz, wie auch pflegt man eine Gans artgerecht in einem überschaubar großen Garten ohne Tümpel? Aber Lotta war weiterhin entschlossen, die Gans lebend vom Millianshof abzuholen. In der WDR-Sendung „Lecker an Bord“ sah sie dann den herrlichen, 2000 Quadratmeter großen Garten mit Tümpel von Gerhard und Anni Laukötter aus Oer-Erkenschwick im nördlichen Ruhrgebiet. Ein Quell des Lebens, in dem neben zwei Schafen, einem Hund und vielen Hühnern auch der blinde, streichelzahme, bereits zehn Jahre alte Ganter Theo lebt. Das, dachte sich Lotta, könnte die Lösung sein.

„Wir nehmen die Gans“

Anruf bei Laukötters: „Darf ich Ihnen eine Gans schenken?“ Verblüffung. Passe eigentlich, denn man wollte, nachdem eine aufgezogene Graugans weggeflattert sei, ohnehin eine Gefährtin für Theo besorgen. Und wenn es sich auch noch um ein so nachhaltig aufgezogenes Tier wie jenes aus Bergheim handele, dann sei die Sache doch klar: „Wir nehmen die Gans“, meldeten recht bald die Laukötters – und sorgten für Jubelwellen im gut 100 Kilometer entfernten Junkersdorf. Die Mission nahm fortan ihren Lauf.

Absprache mit den Leuten vom Millianshof: Sie hatten für Lotta eine prächtige weibliche Gans ausgesucht, denn ein Männchen würde mit Theo in Oer-Erkenschwick nur Streit anfangen. Das Tier, weiß wie eine Friedenstaube, bekam den Namen Lotti und durfte nun lebend mitgenommen werden. Mit den Laukoetters wurde der 17. Dezember als Übergabedatum ausgemacht. Also holten Lotta und ihre Mutter die Gans Lotti in Bergheim ab, setzten sie in einen mit Stroh gefüllten Karton, den sie im Kofferraum platzierten und begaben sich mit der Gans auf die gut 90 minütige Fahrt zu den Laukötters. „Ganz brav“, sei Lotti während der Fahrt gewesen, erzählt ihr menschlicher Mentor Lotta, „wir haben sie gar nicht gehört“.

Neuer Inhalt (2)

Lotti, rechts im Bild, zusammen mit Theo

Bei Laukötters angekommen und im dortigen Garten freigelassen, rannte Lotti sofort auf Theo zu, man beschnupperte sich – und es war Liebe. Die beiden, die mitten im Leben stehende, gut vier Monate alte Ex-Weihnachtsgans, die Glücksgans des Jahres, und Theo der routinierte Laukötter-Ganter, verstanden sich sofort. Am Tag danach schickte Anni Laukötter Fotos von einer glücklich umherlaufenden Lotti, die mit Theo und den Schafen fangen spielte, akustisch begleitet vom Gacker-Chor der Hennen. Noch am Abend des Einzugs in ihr neues Gänseheim schrieben die Laukötters: „Liebe Lotta, das war eine unerwartete, schöne vorweihnachtliche Begegnung heute. Wir werden uns Mühe geben, der Lotti ein gutes Gänseleben zu ermöglichen. Morgen kann sie bei Sonnenschein über die Wiese watscheln.“

Lotta wird Lotti nun immer mal wieder besuchen, das nächste Mal im Sommer, wenn der Garten der Laukötters in voller Blüte steht. Und mittendrin hüpft dann eine Gans, die leben darf, weil eine junge Frau sich darüber Gedanken gemacht hat, was hinter dem Fleischkonsum (nicht nur) zur Weihnachtszeit steckt: Ein ganzes, echtes und richtiges Gans- oder Wildschwein- oder Kuhleben. Eine Hausgans übrigens kann bis zu 15 Jahre alt werden.

KStA abonnieren