„Sehr gutes Brötchen“Diese vier Kölner schreiben Tausende Online-Bewertungen

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Online Ratgeber

Ein Abend mit dem Kölner Stammtisch der TripAdvisor-Hardcore-Bewerter im Restaurant Costa's.

  • Eine Gruppe Kölnerinnen und Kölner schreiben leidenschaftlich gerne Online-Bewertungen. Jeder von ihnen hat in den vergangenen Jahren mehr als 1500 davon verfasst.
  • Sie haben Macht darüber, ob die Geschäfte, die sie zusammen besuchen, danach besser oder schlechter laufen.
  • Jeder nutzt dabei ein anderes Portal und beherzigt eine eigene Philosophie.

Ein Freitagabend, kurz vor sieben, ein Restaurant in der Nähe des Brüsseler Platzes. Frei hängende Glühbirnen, Echtholz, Weingläser, die geduldig auf Inhalt warten. Gutaussehende Kellner tragen große Teller mit kleinen Portionen. Es ist kein Ort für einen Stammtisch. Zumindest nicht für so einen, wie man ihn zu kennen glaubt, Fußball schauend und das Großbrauerei-Gewerbe legitimierend. Doch in einer hinteren Ecke sitzen vier Menschen, zwei Frauen, zwei Männer. Sie sind fein angezogen, gut gelaunt. Und: Sie sind in der Tat ein Stammtisch.

Sie kennen sich aus dem Internet, heißen Carsten, Franzi, Melli und Robert. Ihre Nachnamen halten sie lieber geheim. Denn sie haben Macht. Darüber, ob die Geschäfte, die sie zusammen besuchen, danach besser oder schlechter laufen.

Nur ein Bruchteil bewertet selbst, beeinflussen lassen sich die meisten

Carsten, Franzi, Melli und Robert schreiben leidenschaftlich gern Online-Bewertungen. Jeder von ihnen hat in den vergangenen Jahren mehr als 1500 davon verfasst. Es sind Texte von Menschen wie ihnen, an denen sich täglich Tausende orientieren, bevor sie ein Restaurant betreten, ein Museum besuchen, einen neuen Toaster kaufen.

Fast alle deutschen Internetnutzer, das zeigen Studien, schauen sich vor einer Kaufentscheidung Online-Rezensionen an. Neun von zehn lassen sich von ihnen beeinflussen. Gleichzeitig bewertet nur ein Bruchteil selbst. Es ist Zeit herauszufinden, wer wirklich hinter den Sternchen, Likes und Herzchen steckt.

Franzi, Trip Advisor

Sie, mattgraue Bluse, glänzende dunkelrote Nägel, ist die Organisatorin des Stammtisches und zuständig für die Reservierungen. Einmal im Monat testen sie zusammen ein neues Restaurant. Franzi bucht immer unter falschem Namen. „Nicht weil ich denke, ich wäre eine große Restaurantkritikerin oder so.“

Aber es habe da schon Bestechungsversuche gegeben. Ein besserer Platz, ein bisschen Geld gegen lobende Worte? Mache sie aus Prinzip nicht, sagt Franzi. Das Bewerten sei Hobby und das bleibe auch so. Gerade weil sie schreiben kann, was sie will, mache es ja so Spaß.

Mit ihrem iPhone, neustes Modell, fotografiert sie fast alles, was auf den Tisch kommt. Das Brot, ihren Cocktail, ihre geräucherte Entenbrust. Typischer Reflex, sagt sie. Bevor gegessen wird, werden Bilder gemacht, mindestens aus zwei Perspektiven. „Man will seinen Lesern ja einen möglichst authentischen Eindruck vermitteln“, sagt Franzi. Am Anfang habe sie sogar noch Menükarten abgeschrieben. Stellen die meisten Restaurants mittlerweile aber selbst online.

Alles begann mit Qype

Franzi sagt, entweder sei es Zufall oder Schicksal, dass sie Bewertungen schreibe. Sie wisse jedenfalls nicht mehr so genau, warum sie damit angefangen hat, im Jahr 2006 auf „Qype“, einer der ersten Bewertungsplattformen. Über die Seite hat sich auch der Stammtisch kennengelernt.

Sie alle waren dort Topnutzer, lieferten besonders viele und besonders hochwertige Rezensionen. Wurden eingeladen zu exklusiven Events. 2012 kaufte der US-Konzern „Yelp“ das deutsche „Qype“, zog die Beiträge auf seinen eigenen Dienst um, und schaltete den Konkurrenten ab. Der Stammtisch mochte „Yelp“ nicht, alle stiegen um, alle auf unterschiedliche Dienste. Franzi ist jetzt bei „TripAdvisor“, wo Nutzer vor allem Erfahrungsberichte zu Reisezielen teilen. 1145 Beiträge hat sie dort geschrieben, zu Restaurants, Hotels, Sehenswürdigkeiten. In Den Haag, Hong Kong, Oberhausen. Hat dafür mehrere Awards verliehen bekommen.

Dem Kölner Dom gab sie volle Punktzahl. Aus Heimatliebe. Sonst sei sie kritischer. Wenn alles nur „in Ordnung“ ist, sagt Franzi, reiche das nicht für eine Topnote. Trotzdem ist der Großteil ihrer Bewertungen positiv. Wie passt das zusammen?

„Ich habe kein Interesse enttäuscht zu werden.“

Na ja, sie besuche ja nicht absichtlich schlechte Restaurants. Sondern suche sich die guten Lokale heraus. Das heißt: Die, die schon gut bewertet wurden. „Ich habe kein Interesse daran, enttäuscht zu werden“, sagt Franzi. „Die Chance ist also gering.“

Umgedrehte Logik: Franzi bewertet keine Erlebnisse mehr, sie erlebt Bewertungen. Man kann ihr Orte in Köln nennen, und sie kennt das Rating aus dem Kopf. Das Café, in dem man sich zum Vorgespräch getroffen hatte? 4,7 Sterne. Ihr Lieblingsvietnamese? Auch 4,7. Die U-Bahnhaltestelle am Rudolfplatz? Gut, da müsste sie jetzt doch nachgucken. Hätte sie aber auch keine Bewertung zu abgeben. Was soll man da schon zu schreiben, zum Rudolfplatz? Irgendwann, sagt Franzi, wird es auch albern.

Es wären vier Sterne gewesen.

Carsten, Google Maps

Er sagt, er sei „Privatier“. Es ist schwierig zu schätzen, wie alt er ist. Vielleicht Ende 40, vielleicht Anfang 60. Seine Haare sind grau, sein Hemd zeitlos. Auf dem Handy hat er sich eine Karte gebastelt mit Plätzen, die er bewertet hat. Unter den gelben Punkten sieht man kaum noch Stadt.

Er schreibt mittlerweile bei Google. Gerade die Suchmaschine, die immer ein Überangebot an Ergebnissen ausspuckt, profitiert von Nutzern wie Carsten. Sie sortieren die Treffer, schaffen Vertrauen in die angezeigten Angebote. Google kann nicht entscheiden, was der beste Bäcker, das beste Hotel der Stadt ist. Carsten schon.

Carsten sagt, eine richtig gute Online-Bewertung gehe so:

  • Keine überschwänglich positiven Adjektive.
  • Möglichst konkret werden.
  • Das Ambiente einbeziehen.

Sind schlechte Bewertungen durch Frust ein Mythos?

Und seinen Rote-Bete-Salat. Wie würde er den bewerten? „Jedenfalls nicht mit »gut« oder »lecker«“, sagt Carsten. „Eher würde ich erwähnen, dass er eine Kaffeenote hatte.“

Carsten sagt, es sei ein Mythos, dass Menschen, die regelmäßig bewerten, nur Frust rauslassen wollten. Die Wissenschaft sagt, Nutzer neigen eher dazu, eine Rezension zu schreiben, wenn sie eine negative Erfahrung gemacht haben.

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Denkt er, dass Online-Bewertungen objektiv sind? Der Schwarm irre sich selten, sagt Carsten. Nur manche Restaurants, die hätten angefangen sich gefälschte Bewertungen zu kaufen. Das falle aber immer sofort auf. Ihm zumindest.

Robert, FourSquare

Früher lieferte er sich mit Carsten Wettkämpfe, wer einem neuen Restaurant die erste Bewertung verpasst. Machen sie heute nicht mehr. Robert ist Franzis Mann, ITler und bewertet als Einziger der Gruppe wirklich fast alles, was er so sieht – so scheint es zumindest.

Man findet von ihm Kommentare zu einem Autohändler, einer Aussichtsplattform oder einem Telekom-Laden. Dabei hält er sich nicht an Carstens Regeln. Nur an seine eigene. Die lautet: Fasse dich kurz! Er schreibt: „Sehr gute Brötchen“ über einen Bäcker oder „Sehr geduldige Beratung“ über einen Laden für Outdoor-Schuhe. Robert sagt, bevor er einen fremden Laden betrete, schaue er immer erst, wie viele Sterne der hat. So vermeide er böse Überraschungen.

Schöne vielleicht auch.

Melli, Instagram

Ihre Meinung ist nicht skalierbar. Keine Punkte, keine Sternchen. Sie nutzt nur noch Instagram, die Fotoplattform. Dort veröffentlicht sie Bilder und lange, ausführliche Texte über besuchte Restaurants. Zwar öffentlich, aber nur auffindbar für Menschen, die ihren Account kennen.

Es wirkt fast so, als bringe sie die Empfehlung wieder der ursprünglichen Idee näher: ein Tipp von jemandem, dem man vertraut. Weil man ihn und seinen Geschmack kennt.

Es muss nicht jeder Unsinn bewertet werden

Melli sagt, sie sei genervt, dass heute jeder Unsinn bewertet werden soll. Der letzte Amazon-Kauf, die Toiletten auf dem Flughafen. Mache sie nicht. Sie sei ja keine Toiletten-Expertin.

Sie sagt, sie schreibt vor allem für sich selbst, als Erinnerung, damit sie weiß, wo es ihr gefallen hat. Hier hat es ihr gefallen.

Aufgegessen. Die Rechnung kommt. Alle sind sehr zufrieden. War das nun ein repräsentativer Abend?

Am Nebentisch beschwert sich ein Mann über die Konsistenz seines Lamms.

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