Flüchtling aus Afghanistan in Köln„Für uns geht hier keiner auf die Straße“

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Verzweifelte Menschen blockieren das Rollfeld am Flughafen von Kabul.

Köln – Wir treffen uns auf einer Parkbank. Zwischen Tischtennisplatten. Sein richtiger Name darf nichts zur Sache tun. „Nennen Sie ihn einfach Elias“, rät Claus-Ulrich Prößl. Der Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats hat den Kontakt zu dem Flüchtling aus Afghanistan vermittelt.

Elias ist mit 15 nach Deutschland gekommen. Allein. Zunächst nach München, dann nach Köln. Inzwischen ist er 21. Ein junger Erwachsener, mit Mountainbike, Kapuzenpulli und kurzer Hose. In Köln längst angekommen. Er hat Freunde gefunden, einen Ausbildungsplatz und große Hoffnungen. Von seiner Familie – Vater, Mutter und drei Schwestern – hat er sich vor sechs Jahren in Istanbul verabschieden müssen.

Geld zur Flucht reichte nicht für alle

Das Geld für die Flucht der ganzen Familie hat damals nicht gereicht. „Mein Vater hat gesagt: Geh' Du. Du kannst da vielleicht etwas schaffen. Er meinte, ich könne hier vielleicht etwas aufbauen und die Familie irgendwann nachholen.“

Seit ein paar Tagen hat Elias nur noch ein Ziel. Er will die Familie rausholen aus Afghanistan. Irgendwie. Täglich steht er mit ihr in Kontakt. Per Facebook und Instagram. Manchmal auch am Telefon. Alle haben Kundus längst verlassen, der Vater seinen Handel mit Speiseöl aufgegeben. „Sie sind zunächst nach Kabul gegangen, weil sie geglaubt haben, dass sie dort sicher sind“, sagt Elias. Niemand habe sich vorstellen können, dass die Taliban die Hauptstadt so schnell und kampflos einnehmen würden.

Täglich mit den Eltern in Kontakt

„Ich habe geglaubt, unsere Politiker werden das Land und die Menschen verteidigen und zumindest bis Ende des Jahres versuchen, dass nicht alle Städte in die Hände der Taliban fallen. Dass sie den Süden schnell erobern werden, war mir klar. Aber doch nicht den Rest des Landes. Und schon gar nicht Mazar-e Sharif. Doch auch Mazar-e Sharif, die zweite Station ihrer Flucht im eigenen Land, ist längst in der Hand der Terrormiliz. „Dort leben jetzt alle zusammen mit zwei meiner Tanten. Sie wollen sich gegenseitig unterstützen.“

Am Sonntag noch hat Elias mit den Eltern in Kontakt gestanden. Der Vater hat ihm berichtet, dass die Taliban zwar noch nicht offiziell in Mazar-e Sharif eingerückt sind. „Ihre Motorräder waren aber überall zu hören. Ich habe bis morgens um fünf Uhr mit meinen Eltern telefoniert. Noch gehen die Taliban nicht durch die Häuser. Aber keiner weiß, ob das nicht doch passieren wird.“

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Noch habe die Familie habe die Hoffnung, dass es zu keinen Gewalttaten kommen wird. „Im Moment verzichten die Taliban darauf, weil sie auf internationale Anerkennung hoffen“, sagt Elias. „Deshalb können sie sich keine Gewalt leisten. Ich glaube nicht, dass es in Europa, Amerika und Asien viele Staaten geben wird, die sie als Regierung akzeptieren.“

Die Taliban hätten die Menschen per Facebook und Instagram dazu aufgefordert, die Häuser nicht zu verlassen, um Überfälle und andere Straftaten zu verhindern. „Es gibt viele Anweisungen der Taliban. Überall hört man Schüsse. Frauen dürfen auf keinen Fall vor die Türe gehen.“

Elias macht sich große Sorgen – vor allem um die Mutter und seine jüngste Schwester. Die 25-Jährige hat vor einem Jahr ihr Ingenieurstudium abgeschlossen, danach keinen Job gefunden und ist nicht verheiratet. „Sie wird keine Arbeit mehr finden. Alleine rauszugehen wird für Frauen zum Problem werden. Singlefrauen dulden die Taliban nicht.“

Wenn es für die Familie in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban überhaupt noch eine Zukunft gibt, wird sie vor allem für die Frauen und Mädchen ein Leben in Unfreiheit und Entmündigung bedeuten. Die mittlere Schwester, sagt Elias, habe sich gerade als Frauenärztin niederlassen wollen. Das sei nur daran gescheitert, weil es kein Ultraschallgerät gab. „Sie hat mich noch vor ein paar Wochen noch gefragt, ob ich nicht in Deutschland eins auftreiben kann.“

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Der Flüchtling Elias aus Afghanistan will unerkannt bleiben.

In seiner Verzweiflung und der Sorge um die Familie hat sich Elias Ende der vergangenen Woche per E-Mail an die Ausländerbehörde gewandt und sich einen Beratungstermin beim Flüchtlingsrat besorgt. Man könne nichts für ihn tun, die deutschen Konsulate in Afghanistan seien geschlossen, hat die Behörde ihm mitgeteilt. Und auch der Flüchtlingsrat weiß bei allem Engagement derzeit nicht, wie es in Afghanistan weitergehen wird.

Für Elias selbst – und das ist das Perverse an der politischen Situation – hat sich die Lage durch den Vormarsch der Taliban sogar verbessert. Bisher ist der 21-Jährige in Deutschland nur geduldet. Nach dem Ende seiner Berufsausbildung Ende 2022 könnte er abgeschoben werden. Doch das scheint in einem von der Terrormiliz regierten Afghanistan ausgeschlossen, auch wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihm kürzlich noch mitgeteilt habe, dass er nach seiner Lehrzeit keine Chance haben werde, einen Aufenthaltsstatus zu bekommen.

Von Politikern enttäuscht

Er sei dankbar für die Möglichkeiten, die Deutschland ihm eröffnet habe, sagt Elias leise. Aber auch enttäuscht, dass sich offenbar niemand für das Schicksal seines Heimatlandes interessiert. „Die Menschen in Afghanistan fühlen sich von der ganzen Welt im Stich gelassen. Es hat so viele Bewegungen gegeben, für den Klimaschutz. Oder Black Lives Matter. Ich bin dafür auch auf die Straße gegangen. Für uns geht keiner auf die Straße. Ich denke mir, Afghanistan hat nichts mit euch zu tun, aber vielleicht wäre es gut, dass ihr wenigstens mal in den sozialen Medien Solidarität zeigt und eure Stimmen erhebt“, sagt Elias. „Aber ich habe das Gefühl, das interessiert hier keinen. Auch aus meinem ganzen Freundeskreis hat sich nur einer gemeldet und gefragt, ob es meiner Familie gut geht. Und ob er irgendwie helfen kann.“

Von den Politikern sei er sehr enttäuscht, sagt Elias. In seiner Heimat seien alle abgehauen. Auch Deutschland habe Afghanistan im Stich gelassen. „Herr Laschet hat die Abschiebungen trotz der schwierigen Lage einfach durchgezogen. Und jetzt sagen alle: Wir schieben nicht mehr ab. Was ist das für eine Politik?“ 

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