Hochhaussiedlung SeebergDer Charme der Trabantenstadt

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Die in die Jahre gekommene Balkon-Fassade entwarf Gottfried Böhm als Ort der Kommunikation.

Die in die Jahre gekommene Balkon-Fassade entwarf Gottfried Böhm als Ort der Kommunikation.

Seeberg – Die Neue Stadt Chorweiler mit ihren weithin sichtbaren Hochhaustürmen gilt heute als treffendes Beispiel für den missglückten Städtebau der 70er Jahre. Einen Teil dieser Trabantenstadt unter Denkmalschutz zu stellen klingt zunächst wie ein schlechter Scherz. Doch der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz will nun genau das mit einer Siedlung in Seeberg-Nord versuchen. Entworfen wurde das Areal an der Zörgiebelstraße im Jahr 1966 von Architekt Gottfried Böhm.

„Wir bitten den Stadtkonservator zu prüfen, ob diese architektonisch qualitätsvolle Wohnsiedlung nicht denkmalschutzwürdig ist“, sagt die Vereinsvorsitzende und ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Die Eigentümer der Aachener Gemeinnützigen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft betrachten die Unterschutzstellung der Siedlung kritisch. „Was der Architekt sich gedacht hat, funktioniert nicht“, sagt Geschäftsführer Jan Camps.

Die im Jahr 1974 gebaute Böhm-Siedlung zeichnet sich nach Ansicht von Historiker Thomas van Nies vor allem dadurch aus, dass sie aus den „gestapelten Container-Bauten“ in der Nachbarschaft heraussticht. „Es wurde eine hochwertige Architektur in Auftrag gegeben, die für den sozialen Wohnungsbau beispielhaft ist“, sagt van Nies.

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Den Bewohnern sei damals mehr als der reine Durchschnittsbedarf zugestanden worden. „Wir mussten an anderer Stelle in Seeberg im Schlichtbau arbeiten, um das hier bezahlen zu können“, entgegnet Aachener-Geschäftsführer Camps. Die Anlage sei mittlerweile stark sanierungsbedürftig, vor allem, was den Energieverbrauch angeht. „Sollte das hier unter Denkmalschutz gestellt werden, wird eine Instandsetzung deutlich teurer“, sagt Camps. Hereinzuholen seien solche Summen nicht, da die Wohnungen nur von Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein bezogen werden können.

Die architektonische Qualität zeigt sich nach Überzeugung des Denkmalpflege-Vereins vor allem in der für Böhm typischen, fast steinmetzartigen Bearbeitung des Betons und im Spiel mit verschiedenen Ebenen, auf denen die Siedlung errichtet wurde. „Es handelt sich um eine sehr detailreiche Bebauung, mit der Böhm die Kommunikation der Bewohner fördern wollte“, sagt van Nies. Den Eingangsbereich bilden ein Platzrondell mit gekurvter Rampe sowie ein neungeschossiges Hochhaus mit ursprünglich nach einem Farbcode bemalten Balkonen.

Meschenich wurde im Jahr 1166 erstmals urkundlich erwähnt. Die Pfarrkirche St. Blasius befindet sich im Ortszentrum. In den 70er Jahren wurde neben der bis dahin eher dörflichen Struktur der Hochhaus-Komplex Auf dem Kölnberg gebaut. Die Hochhäuser verfügen über bis zu 26 Stockwerke. Insgesamt leben in den etwa 1300 Wohnungen rund 4000 Menschen. (att)

Die Neue Stadt Chorweiler wurde in den 70er Jahren gebaut, um die damalige Wohnungsnot zu bekämpfen. In dem Stadtteil sollten 100 000 Menschen leben, tatsächlich sind es 40 000 Bewohner. Einige Hochhäuser sind bis zu 20 Stockwerke hoch. Neben Gottfried Böhm waren die Architekten Oswald Mathias Ungers und Hans Schilling beteiligt. (att)

Die Großwohnsiedlung Finkenberg wurde in den 60er Jahren im Stadtteil Porz gebaut. Das Projekt wurde damals vom Bund als Musterbeispiel für menschenfreundliches Wohnen auf verdichtetem Raum geplant. Seit dem Jahr 2007 führt die Stadt Finkenberg als eigenständigen Stadtteil, der teilweise als Sanierungsgebiet ausgewiesen wurde. Derzeit leben dort rund 6600 Menschen. (att)

Der Betrachter stößt auf Säulen, verzierte Treppen- und Aufzugstürme sowie auf rote Fensterrahmen und Treppengeländer. Eine Art Dorfstraße durchläuft das Gelände, das von begrünten Zwischenpodesten geprägt wird. „Wir wollen auf diese Qualität aufmerksam machen und dafür sorgen, dass die Menschen ein anderes Bild aus Seeberg mitnehmen“, sagt van Nies.

„Die Qualität der Architektur mag da sein, aber die Häuser sind in erster Linie für die Menschen da“, sagt Aachener-Geschäftsführer Jan Camps. Die Bewohner würden die Balkone, die man „Affenkäfige“ nenne, meiden und keineswegs als Ort der Kommunikation nutzen. Auch das Prinzip der offenen Küche werde nicht angenommen. „Unsere Klientel will Einbauküchen haben“, sagt Camps. Die Siedlung stehe am falschen Ort und passe besser nach Rodenkirchen. Zudem sei der ständige Wechsel der Ebenen schlecht für Senioren, die mit Rollatoren und Rollstühlen unterwegs sind. Die dreigeschossigen Gebäude, die Böhm eigens für ältere Menschen entworfen hatte, seien alles andere als barrierefrei. Steile Treppen führen hinauf. Sie werden im Winter beheizt, damit sich auf den Stufen kein Glatteis bildet. „Das ist vom Energieverbrauch nicht mehr zeitgemäß“, sagt Camps.

Die Bewohner sehen das Problem ähnlich. „Ich wohne gerne hier, aber die Nebenkosten sind viel zu teuer“, sagt Esme Celik. Wolfgang Kleinjans vom Fundus-Café, das im geplanten Schwimmbad der Siedlung untergebracht ist, berichtet von einfach verglasten Fenstern, unzugänglichen Rohrleitungen, eindringendem Wasser und extremen Heizkosten. „Denkmalschutz muss sein, aber das hier ist kein sakraler Bau“, sagt er.

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