Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Kathedralen am RheinKeine Zeit für kümmerliche Bauten

4 min
Schlingrippengewölbe der Katharinenkapelle in der Straßburger Kathedrale

Schlingrippengewölbe der Katharinenkapelle in der Straßburger Kathedrale

Das jüngste Buch von Barbara Schock-Werner führt seine Leser zu den schönsten Kathedralen am Rhein.

Im Mittelalter verspotteten die Menschen das enge Rheintal als Pfaffengasse, weil sich die Kirchen und Kapellen dort wie am Flusslauf gezogen aneinanderreihten. Schon damals spielte eine gute Portion Neid in die unfromme Spöttelei hinein, denn die Gebäude standen nicht nur für Glaubensfestigkeit, sondern auch für den Reichtum der rheinischen Städte und Bischofssitze. Vom Segen, der auf ihnen lag, profitieren Einheimische, touristische Schifffahrt und Buchverlage bis heute.

Im Mittelalter war der Rhein die wichtigste Handelsroute des deutschen Reichs

Aber warum drängeln sich die kleinen und großen Gotteshäuser und vor allem die riesigen Kathedralen, Münster und Dome überhaupt derart am Rhein? Zunächst einmal war die mittelalterliche Bauwut ein europaweites Phänomen: „Derjenige tut gut daran abzureißen, der Besseres errichtet“, schrieb um 1080 ein Mönch im englischen Canterbury. „Ich ärgere mich über kümmerliche Bauten, und hätte ich die Möglichkeit, so ließe ich keine auch noch so geachtete Kirche stehen, wäre sie nicht nach meinem Urteil ruhmvoll, großartig, sehr hoch, sehr geräumig, sehr hell und sehr schön.“ Dieser quasi-modernistische Zeitgeist lässt sich teilweise daraus erklären, dass Kirchen zum Ruhm Gottes errichtet wurden und man den eigenen Schöpfer eben nicht hoch genug rühmen kann. Menschliche Eitelkeit spielt ebenfalls hinein, denn der Glanz herrlicher Kirchen lässt andere in deren Schatten stehen.

Am Rhein konnte sich das architektonische Konkurrenzdenken besonders schön in Steinen entfalten, weil der Fluss im Mittelalter die wichtigste Handelsroute des deutschen Reichs war; seine Anlieger (auch die etwas entfernten) machte er entsprechend reich. Gerade Köln profitierte vom natürlichen Fließband vor seinem Hafen, aber auch Städte wie Mainz, Freiburg oder Basel schöpften enorme Profite aus dem Rhein. So reich, dass die stolzen Städte ihre Kathedralen aus Rücklagen bezahlen konnten, waren sie allerdings schon damals nicht. Mancherorts führten die finanziellen Belastungen eines derartigen Bauprojekts sogar zu Aufständen in der Bevölkerung.

„Nasentrompeter“ aus dem Freiburger Münster

„Nasentrompeter“ aus dem Freiburger Münster

In Köln brauchte es bekanntlich einen passenden Gebäudeschrein für die Gebeine der angeblichen und überdies aus Mailand geraubten Heiligen Drei Könige – weshalb noch jedes Buch über die Kathedralen am Rhein wie selbstverständlich sein Finale im Kölner Weltkulturerbe erlebt. Dass Barbara Schock-Werner, langjährige Dombaumeisterin in Köln, mit dieser Tradition nicht bricht, sollte man als gegeben voraussetzen. Schlimm genug, dass sie in ihrem Band „Die schönsten Kathedralen am Rhein“ gleich mit acht anderen Kirchen fremdgeht.

Schock-Werner führt ihre Leser von der Quelle zur Mündung, was architekturhistorisch von Konstanz bis nach Köln bedeutet. Sie legt an den verschiedenen Bischofssitzen an, auch wenn die dortigen Kirchen teilweise als Münster oder Dom „falsch“ betitelt sind – und natürlich war nicht jede Kathedrale gotisch. Aber auch die romanischen Baumeister waren zu Wunderwerken fähig, wie man schon den zahlreichen Bildern des Architekturfotografen Florian Monheim entnehmen kann.

Schock-Werner führt ihre Leser von der Quelle zur Mündung

Einige Aufnahmen könnten dem Kathedralen-Liebhaber bekannt vorkommen. Bereits für Jürgen Kaisers ebenfalls im Kölner Greven-Verlag erschienenen Bildband „Macht und Herrlichkeit“ steuerte Monheim die Fotografien bei; die Route von Konstanz über Basel, Freiburg, Straßburg, Speyer, Worms und Oppenheim bis nach Mainz und Köln findet sich dort ebenfalls. Zu Kaisers Prachtband verhält sich Schock-Werners Buch nun wie ein Kurzführer. Er passt zwar nicht ganz in die Jackentasche, ist aber eindeutig für den gesunden, leicht diätetischen Wissenshunger heutiger Bildungsreisender ausgelegt.

Man kann das auch in Englisch erschienene Buch guten Gewissens jeden Rheintouristen in die Hand drücken – sei es für die Vorbereitung oder die Fahrt selbst. Jedes Kapitel führt vom Gesamteindruck zu großen (die Bauteile der Kathedralen) und „kleinen“ Details (wie Fenster, Altäre und Portalfiguren), jeweils mit praktischen Ortsverweisen im abgedruckten Grundriss. Schock-Werner hält dazu stets die grundlegenden Informationen bereit – als Erzählwerk fällt das Buch seinem Zuschnitt gemäß etwas trocken aus. Auch Monheims Bilder sind eher detailverliebt als süffig. Wer zu diesem Buch greift, will sich am Mittelalter nicht betrinken, sondern schlauer heimkehren, als er aufgebrochen ist.

Bei aller Liebe zur Romanik, die Höhepunkte des Buches steuert die monumentale Gotik von Straßburg und Köln mit ihren himmelstürmenden Fassaden bei. Unter unzähligen Bögen und Streben führte das Mittelalter hier das vielköpfige Theater steinerner Portalfiguren auf, groteske Wasserspeier spotteten ihren Schöpfern aus luftigen Höhen und im Inneren erleuchten uns die Heiligtümer der Glasfenstermalerei. Mit einem besonders drolligen Wasserspeier, dem Freiburger Nasentrompeter, wirbt der Verlag sogar auf dem Umschlag (den Titel ziert das Gewölbe der Kölner Domvierung). Zu gerne würde man ihn mit nach Hause nehmen. Vielleicht macht es der Verlag seinen Lesern deshalb schwer bis unmöglich, ihn aufzuspüren.


Barbara Schock-Werner: „Die schönsten Kathedralen am Rhein“, Greven Verlag, 208 Seiten, 211 Abbildungen, 22 Euro.