Historisch „schwer belastet, nicht haltbar“Das steckt hinter den umstrittenen Straßennamen in Ehrenfeld

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Zwei Straßenschilder hängen an einem Mast.

Viele Straßennamen in Ehrenfeld sind mehr als 100 Jahre alt.

Einige Straßennamen in Ehrenfeld würdigen Persönlichkeiten, die laut Gutachten stark umstritten sind. Das steckt dahinter.

Straßennamen mit Bezug zur kolonialen deutschen Vergangenheit gibt es im Bezirk Ehrenfeld zum Teil schon seit mehr als 130 Jahren. Ob sie noch sehr viel länger bestehen bleiben, ist zumindest fraglich. In der Bezirksvertretung Ehrenfeld zumindest waren sich alle einig: Die Herren Hermann von Wissmann, Karl-Friedrich von Gravenreuth und Wilhelm von Lans sind als Namensgeber für Straßen im Bezirk Ehrenfeld nicht mehr länger tragbar. Zu schwer sind die mit äußerster Brutalität ausgeführten Verbrechen gegen Menschlichkeit und Völkerrecht, an denen sie Ende des 19. Jahrhunderts in den vom Deutschen Kaiserreich beanspruchten Gebieten in Ostafrika, Kamerun und China beteiligt waren oder die sie sogar selbst begangen haben.

Anwohner der betroffenen Straßen sollen mithelfen

Zugleich war aber auch allen Politikerinnen und Politikern klar, dass nun mit den Menschen zusammengearbeitet werden müsse, die in diesen Straßen wohnen. „Leicht wird es in keiner der Straßen werden“, sagte Linken-Vertreterin Ulrike Detjen. Bis jetzt allerdings gibt es noch keinen klaren Beschluss, dass Straßen umbenannt werden. Es gibt auch noch keine Alternativvorschläge.

Eine Erklärtafel in Gold hängt an einer Hauswand.

Eine Erklärtafel erläutert den geschichtlichen Hintergrund der Straßennamen im sogenannten Chinesen-Veedel.

Die Diskussion in Ehrenfeld über die Straßennamen begann schon vor gut zehn Jahren. Zusatzschilder mit geschichtlichen Erklärungen gibt es seitdem in der Neuehrenfelder Lansstraße und am Takuplatz. Erneut kam das Thema auf, seit im Oktober 2021 die Stadt Köln stadtweit einen breit angelegten Dialog zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit startete. Umbenennungen, so wird betont, seien dabei nicht das vorrangige Ziel. Vielmehr geht es um zeitgemäße Einordnungen der früheren Würdigungen, aber auch um die bis heute vorhandenen Nachwirkungen der Kolonialzeit, die immer noch bisweilen im Sprachgebrauch oder Darstellungen wahrzunehmen sind.

Gutachten für Namensgeber ausgewählter Straßen erstellt

Für die Wissmann- und die Gravenreuthstraße sowie für die Taku-, Lans- und Iltisstraße wurden von der Stadt offiziell Gutachten in Auftrag gegeben. Sie fassten den Werdegang der preußischen Offiziere, ihre Taten und den jeweiligen Kontext nochmals zusammen und bewerteten sie.

Ein Straßenname auf einem blauen Schild hängt an einer Hauswand.

Ob dieser Straßenname noch lange Bestand hat, ist ungewiss.

Hermann von Wissmann, nach dem 1890 eine von der Subbelrather Straße abzweigende Straße in Ehrenfeld benannt wurde, war ab 1883 für den belgischen König Leopold II. im Kongo. 1888 wurde er vom deutschen Kaiser zum Reichskommissar für „Deutsch Ostafrika“ benannt. In dieser Funktion begründete er seine berüchtigte Truppe, die einen brutalen Krieg gegen die einheimische Bevölkerung führte. 1905 beging Wissmann Selbstmord. Er wurde auf dem Melatenfriedhof beigesetzt. Ihm zu Ehren fand auch eine Gedenkfeier im Gürzenich statt. Bezug zu Köln hatte er durch seine Heirat mit Hedwig Langenn, der Tochter des Kölner Industriellen Eugen Langen, der wiederum unter anderem Vorsitzender der Deutschen Kolonialgesellschaft und Mitglied des Kolonialrats war.

Karl-Friedrich von Gravenreuth, dem wenige Wochen nach seinem Tod Ende 1891 in Ehrenfeld eine neue Straße zwischen Subbelrather- und Hüttenstraße gewidmet wurde, war zunächst Stellvertreter Wissmanns, später wurde er nach Kamerun entsandt, wo er unter anderem bei „Strafexpeditionen“ Einheimische ermorden ließ. Er starb, nachdem er bei einer dieser Expeditionen von einer vergifteten Speerspitze getroffen worden war. „Die Namen Wissmanns und Gravenreuths stehen für extensive koloniale Gewalt“, fasste Gutachterin Marianne Bechhaus-Gerst zusammen.

Auch für die Straßennamen des von manchen noch „Chinesenviertel“ genannten Quartiers um den Takuplatz verfasste die an der Universität zu Köln lehrende Afrikanistin das Gutachten. Auch hier lautete ihr Urteil: „schwer belastet, nicht haltbar“. Die Straßenbenennungen nach „Taku“ und „Iltis“ erfolgten im Jahr 1902, die nach „Lans“ im Jahr 1914.

Protagonisten führten brutale Kämpfe

Das Kanonenboot „Iltis“ unter dem Kommando von Wilhelm von Lans war Teil einer alliierten Flotte, die im Sommer 1900 nach China entsandt wurde. Anlass waren der Aufstand Einheimischer gegen den kulturellen Einfluss und die wirtschaftliche Ausbeutung durch westliche Mächte, die auf chinesischem Gebiet Handelsstützpunkte aufgebaut hatten. Für den rund ein Jahr andauernden Konflikt in China hat sich die Bezeichnung „Boxeraufstand“ eingebürgert. Die Aufständischen rekrutierten sich in traditionellen Kampfschulen.

Letztlich gab die Ermordung des deutschen Gesandten Clemens von Ketteler am 20. Juni 1900 den Anstoß zur Entsendung der Flottenverbände fünf Wochen später. Als die alliierten Truppen im August 1900 vor der chinesischen Küste eintrafen, war die Kampfhandlungen im Pekinger Botschaftsviertel jedoch schon beendet.

Lans und seine Marinesoldaten beschossen die Takuforts nahe Peking und öffneten so den Weg für die deutschen Truppen, die sich in das Landesinnere zu brutalen „Strafexpeditionen“ aufmachten. Das deutsche Korps war in Bremerhaven von Kaiser Wilhelm II. unter anderem mit den Worten entsandt worden: „Führt Eure Waffen so, dass auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.“

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