„Zu viel Verkehr, zu wenig Platz“So chaotisch erleben Kölner die Zustände auf der Venloer Straße mit Tempo 20

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Der Verkehrsversuch auf der Venloer Straße hat ins Chaos geführt. Wir haben uns zur Hauptverkehrszeit ein Bild vor Ort gemacht.

Es ist kurz vor 8 Uhr, ein junger Mann fährt über die Venloer Straße, auf dem Kindersitz seines Fahrrads sitzt sein Sohn. In der Tempo-20-Zone zwischen Piusstraße und Ehrenfeldgürtel gibt es eigentlich keine Fahrradstreifen mehr. Der Mann fährt trotzdem über den rot markierten Teil der Straße, der früher einer war. Eigentlich sollte es auch keine überholenden Autos mehr geben. Der Mann wird trotzdem überholt, nähert sich dem Straßenrand und stellt mit einem Schulterblick sicher, dass der Abstand zu dem Auto, das wesentlich zu schnell fährt, groß genug ist.

„Es ist schwieriger geworden“, sagt er über die neue Verkehrssituation, die Radfahrern eigentlich zugutekommen soll. Weil der Verkehr in einer Tempo-20-Straße gleichberechtigt ablaufen soll, schafft die Stadt die gesonderten Radstreifen ab. Damit Fahrräder, so die Idee, den gesamten Straßenraum nutzen. Um die Änderung zu verdeutlichen, hat die Stadt mehrere Fahrbahnverengungen installiert, an denen die ehemalige Radspur gar nicht mehr zu befahren ist.

Kölner Mutter hält Zustände für eine „Katastrophe“

Doch viele Radfahrer fühlen sich am Freitagmorgen durch die Neuregelung benachteiligt. „Hier ist man gezwungen, auf der Mitte zu fahren. Das macht die Autofahrer oft sauer“, sagt der junge Vater über die Verengung. Mit der Tempo-20-Zone geht auch die Rechts-vor-links-Regel einher, weil Ampeln – so die Idee – nicht mehr nötig sind. Doch die Idee scheitert sichtbar an der Realität. Weil sich viele Autofahrer und auch einige Radfahrer nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten, weil viele die Vorfahrtsregeln ignorieren, müssen Einbieger oft lange warten, ihnen wird regelmäßig die Vorfahrt genommen. In Abstimmung mit der Bezirksregierung hat die Stadt nun Zebrastreifen aufgemalt. Weil Fußgänger ohne eben nicht so leicht über die Straße kommen, wie es sich die Verwaltung wünscht.

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Die Umstellung ist die erste Phase des Verkehrsversuchs, der im Lauf des Jahres darin münden soll, die Venloer Straße zur Einbahnstraße zu machen. Das Ziel von Stadt und Ratsbündnis: Der Autoverkehr soll um 30 Prozent reduziert werden. Die Stadt verspricht, die Auswirkungen des Versuchs auf die Venloer Straße und auf die umliegenden Verkehrsachsen über zwei Jahre kontinuierlich zu beobachten und Anpassungen vorzunehmen, wenn diese notwendig werden.

Wer mit Eltern spricht, die mit ihren Kindern über die Venloer Straße fahren müssen, bekommt die immer gleichen Antworten: Es sei gefährlicher geworden, die Straße zu überqueren oder mit dem Fahrrad auf der Straße zu fahren, einige versuchen sogar, auf die Subbelrather Straße auszuweichen. Eine junge Mutter sagt im Vorbeifahren, die Zustände seien eine „Katastrophe“. Ein Autofahrer berichtet, die Abstimmung mit den Radfahrern sei nun „viel komplizierter“, auch über die aufwendige Suche nach Parkplätzen stört ihn. Bereits im vergangenen Sommer hat die Stadt damit begonnen, Parkplätze zugunsten von Fahrradständer und Freiflächen umzugestalten.

Kölner CDU: „Die Verwaltung ist zufrieden, Anwohner sind es nicht“

Während die Ratsopposition die Zustände längst kritisiert – hier ist von einem „dilettantischen“ Experiment zu hören – tut sich das Ratsbündnis inzwischen auch schwer damit, das Projekt in der jetzigen Form zu verteidigen. Zwar spricht Lars Wahlen, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen, weiterhin von einem „Schritt in die richtige Richtung“, sagt aber auch: „Wir sind in einem sehr frühen Stadium, es läuft noch ruckelig.“ Die CDU hingegen verschärft den Ton: „Die Verwaltung ist zufrieden, die Anwohner sind es nicht“, sagte Terese De Bellis. Sie fordert nun eine engere Begleitung und Bewertung durch die Verwaltung. Und sofortige Anpassungen, sobald diese nötig sind. „Würde man die Anlieger vorher anhören, würde so etwas nicht passieren.“ Die Stadt teilte auf Anfrage mit, für eine Bewertung sei es zu früh.

Auch Fußgänger sehen sich durch die Änderungen nun in Gefahr, vor allem, wenn sie mit Kindern unterwegs sind. „Aktuell finde ich, es ist eher eine Verschlechterung, weil man die Straße nicht mehr sicher an der Ampel überqueren kann“, sagt ein junger Mann, der mit seiner Tochter an der Hand gegen 9 Uhr über die Venloer Straße spaziert. Er steuert die frühere Ampel an der Klarastraße an, an der die Fahrbahn verengt wurde. Die Anlage ist zwar ausgeschaltet, überquert wird hier dennoch, weil Autofahrer konsequenter halten als an anderen Punkten. „Keiner weiß  so richtig, wie er an der Stelle über die Straße gehen soll“, sagt der Mann. „Ich finde es unglücklich, dass Tempo 20 ohne die Einbahnstraße gilt. Wenn beides gleichzeitig umgesetzt worden wäre, hätte ich das gut gefunden, so ist es in beide Richtungen einfach zu viel Verkehr für zu wenig Platz.“

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