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Timey spricht über EhrenfeldWie eine Kölner Rapper-Karriere im Herkules-Hochhaus startete

Lesezeit 4 Minuten
Das bunt verkleidete Herkules-Hochhaus steht nahe dem Kölner Fernsehturm.

Das Herkules-Hochhaus fällt vor allem durch seine bunte Fassade auf.

Über das Herkules-Hochhaus in Köln-Ehrenfeld gib es viele Geschichten. Doch wie funktioniert dieser Ort? Eine Spurensuche mit Rapper Timey.

Im Kiosk unter dem Herkules-Hochhaus in Köln-Ehrenfeld scheint die Zeit stehengeblieben. 1,30 Euro kostet hier der Kaffee. Wo in Ehrenfeld ist es noch günstiger?

Zu dem Ehrenfelder Monolith gibt es viele negative Schlagzeilen. Gibt man das Herkules-Hochhaus bei Google ein, werden einem schon mal Bettwanzen und Kakerlaken als Ergänzungen zur Suchanfrage vorgeschlagen. Auf Anfrage dieser Zeitung gibt sich die Hausverwaltung ablehnend. Was Interviews betrifft, habe man schlechte Erfahrungen mit den Medien gemacht. Warum ist das so? Wie funktioniert dieser Ort?

Rapper kam aus Sizilien nach Köln

Jemand, der gerne über das Hochhaus redet, ist Timey. Er ist Rapper, bürgerlich heißt er Giuseppe Di Agosta. Timey ist 33 Jahre alt, mit vier Jahren kam er aus Sizilien nach Köln. Groß wurde er in Ehrenfeld und Ossendorf, später wohnte er in anderen Städten, seiner Musik wegen. Jetzt ist er zu Besuch in seiner Heimatstadt.

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Am Hauseingang trifft er einen alten Freund wieder, kurze Umarmung, die Frage, wie es ihm gehe. Gut, sagt dieser. Man vergisst sich hier nicht, man vergisst das Haus nicht. Um das Herkuleshaus pfeift der Wind, wir gehen hinein. Der Himmel ist grau, für farbliche Akzente sorgt die blau-rot-orange Hausfassade. Papageienhaus nennt man es deshalb.

Es ist eine schöne Zeit gewesen. Aber auch eine, die einen motiviert, etwas aus sich zu machen
Giuseppe Di Agosta, Rapper

Zwei Jahre hat der Musiker hier verbracht, von 2014 bis 2016. Die erste eigene Wohnung erstreckte sich über 30 Quadratmeter im 22. Stock.  „Guck, mir liegt die Welt zu Füßen“, rappt er in einem seiner Lieder. In den Fluren ist es schummrig, das Zimmer sei in einem penetranten Rot gestrichen gewesen, erinnert sich Timey. Mehrfach musste er drüber streichen.

„Es ist eine schöne Zeit gewesen. Aber auch eine, die einen motiviert, etwas aus sich zu machen“, blickt er zurück. 2016 stieg sein Album „Antiheld“ auf Platz neun der deutschen Albumcharts ein. Gefeiert wurde das im 31. Stock, im Partyraum des Baus, ganz familiär, im vertrauten Kreis. Für Menschenmassen ist der Raum nicht ausgelegt. Nebenan liegen eine Sauna und ein Schwimmbecken. „Aber Spa ist was anderes“, sagt er lakonisch.

Kölner Hochhaus: 31 Stockwerke umfasst das Herkules-Gebäude

In einem Hochhaus steckt natürlich viel Metaphorik. Entweder geht es steil nach oben, oder aber man fällt tief. Verzweiflung sei hier an der Tagesordnung gewesen, sagt Timey. Dazu kam Kriminalität, die gebe es hier auch. Trotzdem gab es viele schöne Momente: „Eine Freundin und ich haben uns mit einer Flasche Sekt aufs Dach gesetzt, um uns Köln bei Nacht anzuschauen.“

Die Aussicht ist fabelhaft, soviel ist klar, auch wenn sich beim Treffen im Februar vor allem graue Tristesse erstreckt. Ehrenfeld erstreckt sich, die Moschee, sonst Landmarke, scheint, als stünde sie im Miniatur-Wunderland. Er möge Ehrenfeld sehr, sagt Timey. Seine Jungs sind hier, früher haben sie gemeinsam abgehangen, an Texten gefeilt und Beats gebaut. Manche wohnen heute noch in dem Viertel. 823, die letzten Ziffern der Ehrenfelder Postleitzahl, tragen manche von ihnen unter der Haut.

„Viele Leute, die im Haus wohnen, hätten sonst nicht zusammengefunden“, sagt der Rapper. Und das ist ja auch eine Schönheit solcher Orte, die mehr Schmelztiegel als Brennpunkt sind: Wenn ein Drogendealer mit einer Musikerin und einem Studenten in der Wohnung hocken, um gemeinsam die Kölner Wohnungssituation zu beklagen.

Gentrifizierung in Köln-Ehrenfeld

Dass es viel Gentrifizierung im Viertel gebe, sei ihm bewusst. „Aber Ehrenfeld ist durchgemischt, ich mag das. Es ist bunt.“ So bunt wie die Fassade des Hochhauses?

Der kleine Wolkenkratzer steht symbolisch für sein Viertel, in vielerlei Hinsicht ist er integraler Bestandteil: schmuddelig und multikulturell, verrufen und irgendwie fast cool. Timey sagt: „Diejenigen, die auf der Venloer Straße in schicken Cafés abhängen, wohnen mitunter selbst hier.“ Er benennt die Gemeinsamkeiten der Flat-White-mit-Hafermilch-Trinker und derjenigen, die den Automatenkaffee für 1,30 Euro kaufen. Man lebt in Ehrenfeld miteinander statt nebeneinander.

Traurig sei er nicht gewesen, als er das Haus verließ, die Musik zog ihn nach Frankfurt später nach Aachen. Bald will er aber wieder zurück nach Köln ziehen. Ob es prägend war, die Zeit im Hochhaus? „Man lernt immer irgendwo, nimmt immer was mit“, sagt er, sein Blick schweift vom 22. Stock in die Weite.

823, das heißt hier Belastbarkeit, Zusammenhalt. Für die Jungs, die rund ums Hochhaus ihre Musik machen, vielleicht auch Inspiration finden. Für die Menschen im Haus, denen es Dach über dem Kopf ist. Kakerlaken haben wir keine gesehen.

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