„Domplenum“ zum Erzbistum Köln„Kein Gutachten ersetzt die persönliche Verantwortung“

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Kardinal Rainer Maria Woelki

Köln – Drei Wochen noch, und dann? Was wird sich im Erzbistum Köln ändern, wenn am 18. März das von Kardinal Rainer Woelki in Auftrag gegebene Ersatzgutachten zum Missbrauchsskandal vorliegen wird? Beim „Domplenum“, einer virtuellen Konferenz der Initiative Maria 2.0 und des Katholischen Deutschen Frauenbunds, ist eines schon jetzt klar: Das von Woelki jetzt beständig beschworene Datum als der Tag der Transparenz kann nur ein Anfang sein.

„Die Vertröstung ist vorbei, danach muss man sondieren, wo wir anpacken und wo etwas passieren kann“, sagt der Brühler Pfarrer Jochen Thull, Sekretär des Priesterrats im Erzbistum und Unterzeichner eines Brandbriefs an den Kardinal.

Initiative Maria 2.0 appelliert an Erzbistum Köln

„Kein Gutachten ersetzt die persönliche und moralische Verantwortung“, betont Maria Mesrian von Maria 2.0. Nach den Worten der Theologin „dröhnt das Schweigen der Verantwortlichen in unseren Ohren“. Die Torpedierung und Beschädigung des „Synodalen Wegs“ durch die Kölner Bistumsleitung sei ein klarer Beleg für deren Mangel an echtem Aufklärungswillen. Auf dem „Synodalen Weg“ wollen Bischöfe und Laien gemeinsam Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal ziehen. Es geht um Themen wie Macht und Gewaltenteilung, die Sexualmoral und die Rolle der Frauen in der katholischen Kirche.

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Der Theologieprofessor Daniel Bogner macht deutlich, dass jede Hoffnung auf Veränderung ins Leere laufe, wenn sich an der monarchisch-absolutistischen Verfassung der Kirche nichts ändere. Die Hierarchie der Kirche sei nach geltender Ordnung nicht auf die Legitimation der Basis angewiesen. Gerade in der „perfekt finanzierten“ Kirche in Deutschland werde es auch noch „perfekt funktionierende Generalvikariate geben, selbst wenn kein Mensch mehr in die Kirche geht“. Daher werde es in Köln und anderswo nicht reichen, nur an den „Mauern des herrschaftlichen Hofs zu kratzen“ oder darauf zu setzen, dass „der Monarch sich mit dem demokratischen Druck seiner Untertanen arrangieren muss“.

Aber welche Druckmittel haben Katholikinnen und Katholiken überhaupt? Ist der Kirchenaustritt eine Option? Der pensionierte WDR-Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz hat diesen Schritt nach Jahrzehnten des Engagements in der Kirche und für die Kirche im Januar vollzogen und in der „Zeit“-Beilage „Christ und Welt“ begründet. Sein Bild von Kirche sei schon unter Kardinal Joachim Meisner schwer beschädigt, seine Geduld strapaziert worden, berichtet er. Aber die „positiven Erfahrungen an der Basis“ hätten ihn gehalten. Inzwischen aber sei er durch die „Veränderungen einer nur noch an Macht orientierten Kirche entmutigt“ – wie so viele andere auch.

„Ich fühle mich immer noch als katholisch“, betont Schmitz. Er gehe auch jetzt zur Kirche und stehe weiterhin „in Kontakt zum lieben Gott“. Deshalb tue ihm der Akt des Austritts im Moment auch nicht weh. „Ich wollte ein Ausrufezeichen setzen in der Hoffnung, dass sich doch noch etwas ändert“. Konkret habe darauf aber bisher niemand aus der Kirche reagiert, nicht einmal sein Pfarrer. Ein Formbrief mit Belehrungen über die Rechtsfolgen des Kirchenaustritts war das Einzige.

Enttäuscht von der Gewöhnung

Enttäuscht von der „Gewöhnung daran, dass die Ehrenamtlichen alle maulen, aber doch bleiben“ hat Michaela Eckardt, Pfarrgemeinderatsvorsitzende in Leverkusen-Schlebusch, im Dezember alle Ehrenämter in der Kirche niedergelegt. Formal katholisch sei sie noch – aber genervt von der Unveränderlichkeit der Strukturen und der „Überheblichkeit einer Männerwelt, die mit männergemachten Männerargumenten ihre Männermacht verteidigt“.

An diesen Befund setzt die Wiener Theologin Judith Klaiber eine organisationspsychologische Tiefenbohrung an. Die katholische Kirche habe ein Problem mit „Dark Leadership“ – einer Form von Führung, in der selbstsüchtige Motive der Führungspersönlichkeiten und die Gewöhnung an überkommene, romantisierende Bilder von Führung wie das vom „Hirten“ einen gewaltigen Schaden anrichten. Was sich in der Analyse von Wirtschaftsunternehmen gezeigt habe, gelte für die Kirche umso mehr, als deren Führungspersönlichkeiten – allesamt Männer – einem „Great-Man-Image“ verpflichtet seien, das zu allem Überfluss auch noch religiös überhöht werde. Der „große Mann“ wird in der katholischen Kirche zum „heiligen Mann“.

Wenn in der Wirtschaft Mitarbeitende ihr Unternehmen verlassen, habe das meistens mit der Führung zu tun. Diese Erkenntnis, so Klaiber, lasse sich auf den Kirchenaustritt übertragen. Hier werde eine Spannung zwischen dem persönlichen Glauben und den Erfahrungen mit der Institution Kirche sichtbar, die äußerlich eine gewisse Zeit auszuhalten seien, die aber innerlich zur Zerreißprobe würden und auf die Frage führten: „Wie lange mache ich das noch mit?“

„Glaubensüberzeugungen gegen die Kirche kämpfen“

Zum Realismus, so Daniel Bogner, gehöre die Einsicht, dass der „Verfassungsrahmen“ der Kirche Veränderungen enorm erschwere. Instrumente der „Selbstwirksamkeit“ (Hartmut Rosa) wie organisierter Protest von unten blieben weithin unwirksam. Reformdynamiken stießen auf die „Geröllbrocken“ der monarchischen Ordnung. „Wenn man versucht, mit den Impulsen aus der biblischen Botschaft die Kirche zu gestalten, merkt man, dass einem die Decke auf den Kopf fällt und man vor verschlossenen Türen steht. Es ist fast so, als müsste man mit seinen Glaubensüberzeugungen gegen die Kirche kämpfen.“

Maria Mesrian setzt nach eigenen Worten dennoch auf die Macht des „Empowerment“: „Wie viel Macht geben wir denen, die vorgeben, die Macht zu haben?“ In Köln werde gerade der Zusammenbruch klerikaler Macht sichtbar. Macht und Autorität seien nämlich nichts wert ohne die Akzeptanz durch ein Gegenüber. Der Sorge vor einer „Komplizenschaft durch Bleiben“ treten Mesrian und Judith Klaiber entgegen mit dem Aufruf zu solidarischem Engagement für alle, die unter der Macht der Kirche und ihrer Vertreter gelitten haben und leiden. Allerdings, so räumt Klaiber für sich persönlich ein, sei „die Sollbruchstelle unfassbar nahe“.

Viele Kirchenaustritte in Köln

Kirche, so fasst es Daniel Bogner zusammen, sei „so vieles“: beglückende, bereichernde Erfahrung vor Ort und zugleich katastrophales Führungsversagen, institutionelle Sackgasse, brutale Diskriminierung. Kirche sei ihm wichtig, „weil ich ein religiöser Mensch sein möchte“. Mit der professionellen Aufgabenbeschreibung als „Theologe für die Kirche“ fühle er sich gedrängt, Missstände anzuprangern und für Veränderungen einzutreten, um selbst noch in den Spiegel schauen zu können. „Wenn ich unberührt bliebe etwa vom Missbrauch in der Kirche, dann würde ich mich mitschuldig machen.“

Was Glaubwürdigkeit in der Kirche bedeute, müsse jede und jeder für sich persönlich bestimmen. „Austritt kann ein glaubwürdiges Zeichen sein. Einen Schritt zur Seite treten und sich nicht mehr im Ehrenamt einspannen lassen, kann ein glaubwürdiges Zeichen sein.“ In diesem Sinne plädiert Bogner für „pastoralen Ungehorsam“.

Wolfgang Schmitz nennt als seinen Gradmesser für Glaubwürdigkeit die Frage, ob die Kirche „unterwegs zur Sekte“ oder ob sie „Kirche für viele" sei. Wenn er sich Kardinal Woelki in Köln anschaue, dann habe er allerdings den Eindruck, „dass dem das nicht so wichtig ist“.

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