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Mieter bleibt am RathenauplatzKölner Immobilieninvestor verliert „bedeutenden Prozess“

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30.08.2024, Köln: Auch am Rathenauplatz sind Mieter von  Entmietung betroffen. Foto: Uwe Weiser

Mieter Thomas Bönig auf dem Dach seiner Mietwohnung am Rathenauplatz

Das Urteil zeigt, wie weitreichend die Rechte von Mietern sind und wie viel Kritik ein Immobilienunternehmen aushalten muss. 

Elf Kündigungen hat das Kölner Immobilienunternehmen Global-Act allein im zurückliegenden Jahr gegen seinen Mieter Thomas Bönig ausgesprochen, der zu moderatem Preis in einer Dachgeschosswohnung am Rathenauplatz lebt. Bei der Klage gegen den Mieter ging es nicht zuletzt darum, dass sich der Investor als „Immobilienhai“ verunglimpft sah.

Jetzt hat das Kölner Amtsgericht geurteilt: Alle Kündigungen sind unwirksam, die Immobilienfirma muss dem Mieter sogar einen Teil der Miete zurückzahlen, weil es für den Spitzboden der Wohnung keine Baugenehmigung gab. Der Mieter darf bleiben. Vorläufig. Denn der Investor hat umgehend Berufung eingelegt.

Das vorläufige Urteil zeigt, dass Mieter weitreichende Rechte haben, ein Unternehmen sich öffentliche Kritik gefallen lassen muss und die Grenzen hier deutlich weiter gesetzt sind als bei Privatpersonen. Der Mieter hatte seine Kritik nicht nur öffentlich, zum Beispiel im „Kölner Stadt-Anzeiger“, geäußert sondern mehrfach auch an anderer Stelle, mitunter emotional.

Seit fast 15 Jahren lebt Thomas Bönig in seiner Dachgeschosswohnung. Als die Global-Act das Haus im Herbst 2023 kaufte, kündigte sie Mieterhöhungen mit Verweis auf notwendige Modernisierungsmaßnahmen an – eine übliche Praxis von Immobilienentwicklern. Das Haus sei bei der Übernahme in einem „desolaten Zustand“ gewesen, hatte das Unternehmen dieser Zeitung bereits im Frühjahr auf eine Anfrage hin mitgeteilt.

Die Dachgeschosswohnung bewarb das Unternehmen in einem Exposé für Kaufinteressenten als „Neuausbau“. Als der Investor forderte, Bönig solle binnen einer Woche die von ihm genutzte Dachterrasse räumen, weil diese saniert werden müsste, und wenig später das Schloss zum Dachgarten gewechselt wurde, wendete sich Bönig an den „Kölner Stadt-Anzeiger“. Einen Anwalt hatte er da schon eingeschaltet.

30.08.2024, Köln: Auch am Rathenauplatz sind Mieter von  Entmietung betroffen. Foto: Uwe Weiser

Mieter und neuer Eigentümer streiten auch über die Nutzung einer Dachterrasse.

Beide Seiten kämpfen seit zwei Jahren unnachgiebig ums Recht: Bönig ließ seinerseits ein neues Schloss zur Dachterrasse installieren, um diese wieder nutzen zu können, er erstellte eine Internetseite für Mieterinteressen, auf der es heißt: „Hier machen wir auf die Entmietungsmechanismen der Kölner Immobilienbranche aufmerksam“ und prangerte öffentlich die Geschäftspraktiken des Unternehmens an.

Die Immobilienfirma bezichtigte den Mieter der üblen Nachrede, auch, weil dieser öffentlich geschrieben hatte, es werde „billigst saniert und maximal teuer verkauft“. Das Gericht wertete das ebenso wenig als hinreichenden Kündigungsgrund wie den Vorhalt, der Mieter sei maskiert vor den Büroräumen des Unternehmens aufgetaucht und habe Mitarbeitende verängstigt. Hier soll der Mieter gesagt haben, dass „die Schikane der Klägerin bald ein Ende habe“. Als konkrete Drohung bewertete das Gericht diese Aussage nicht, auch, weil es sich bei der Klägerin um ein Unternehmen und damit eine juristische Person handele – und nicht um eine Privatperson. Das Unternehmen sieht die Rechtslage anders:

Wir respektieren die Mieterinteressen, aber Herr B. schießt weit über das Ziel hinaus, wenn er mit einer Maske an unserem Firmengebäude auftaucht
Juristischer Vertreter von Global-Act

„Wir respektieren die Mieterinteressen, aber Herr B. schießt weit über das Ziel hinaus, wenn er mit einer Maske an unserem Firmengebäude auftaucht oder unser Unternehmen auf einer eigens zu diesem Zwecke eingerichteten Website diskreditiert. Erfreulich klar bezeichne auch das Gericht die Äußerungen von Herrn B. als ‚Pflichtverletzungen‘“, heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

„Dem Bestandsinteresse des Mieters ist ein hoher Stellenwert zuzumessen“, steht dagegen im Urteil. Den Vorfall mit der Maske, den die Streitparteien jeweils anders darstellen, bewege sich „im Grenzbereich des der Klägerin Zumutbaren“. Zu einem Instagram-Kommentar mit kritischen Worten über den Vermieter befand das Gericht, der Mieter dürfe „auch seine öffentlichen Interessen wahrnehmen“ und sich „an die Öffentlichkeit wenden“. Der Umstand, dass das Verkaufsinteresse des Vermieters beeinträchtigt werde, genüge nicht, um die Grenzen der Meinungsfreiheit zu überschreiten. Kritik, die „pointiert, polemisch oder überspitzt erfolgen darf“, sei erlaubt.

Richterin urteilt, die Eigentümerin habe „nicht alle Pflichten aus ihrem Mietverhältnis eingehalten“

Insofern sei die Kritik des Mieters „(noch) im Rahmen des Zulässigen“ gewesen. Die Richterin betont mehrfach, dass die Wortwahl des Mieters „nah am Grenzbereich des Tolerierbaren“ sei – in den vergangenen zwei Jahren war es zwischen Eigentümer und Mieter hoch hergegangen, vor allem der Mieter war rhetorisch in die Offensive gegangen.

Der Mieter darf laut Gericht auch deswegen weiter in seiner Wohnung bleiben, weil die neue Eigentümerin „nicht alle Pflichten aus ihrem Mietverhältnis eingehalten“ habe und sich selbst „nicht immer rechtstreu verhalten“ habe. So stellte ein eigens von der Global Act beauftragter Architekt fest, dass es für einen als Wohnraum genutzten Spitzboden keine Baugenehmigung und keinen hinreichenden Brandschutz gebe. Im Januar erhielt Bönig ein Schreiben, in dem ihm das Unternehmen verbot, seinen Spitzboden und seine Dachterrasse weiterhin zu nutzen. Begründung: Da es dort jeweils keinen zweiten Fluchtweg gebe, bestehe „Gefahr für Leib und Leben“.

Das Unternehmen hatte seinen Mieter aber zuvor auf dem Spitzboden wohnen lassen und dafür auch Miete verlangt. Ein Umstand, der laut Bönigs Anwalt „mit Blick auf die Strafbarkeit eines Betruges überprüft wird“.

Die Firma muss Bönig die zu hohen Mietkosten nun laut Gericht erstatten. „Ich gehe davon aus, dass das Unternehmen den Brandschutz für den Spitzboden und den Dachgarten sicherstellt, so dass ich meine Wohnung wieder vollumfänglich nutzen kann“, sagt der Mieter.

Kölner Mieterverein hält Urteil für „fein abgewogen“ und „bedeutend“

Auf Anfrage äußert sich Global-Act detailliert zu seiner Perspektive. „Das Urteil bestätigt unsere Mandantin in den zentralen Punkten: Zum einen beansprucht der Mieter eine Dachfläche, die nicht Gegenstand des Mietvertrags ist, zum anderen ist die Nutzung des Spitzbodens baurechtswidrig, weil es keine Fluchtwege und keinen Brandschutz gibt“, schreibt ein Anwalt. „Für die zweite Instanz sind wir sehr zuversichtlich, die Abwägungsentscheidung des Gerichts war denkbar knapp. Im Urteil heißt es wörtlich: „Aufgrund der Häufung der Vorkommnisse überwiegen die Interessen der Mieter noch in einem sehr geringen Grad. Die Interessenabwägung könnte bei weiterem pflichtwidrigen Verhalten insbesondere den Grad erreichen, welcher für eine ordentliche Kündigung ausreicht.“

Hans Jörg Depel, Geschäftsführer des Kölner Mietervereins, hält die Rechtsprechung für ein „bedeutendes Urteil“, das „fein abgewogen“ sei. „Es zeigt, wie weit ein Mieter gerade noch gehen kann – und dass die Grenzen der Meinungsfreiheit gegenüber juristischen Personen recht weit sind, Unternehmen öffentliche Kritik also durchaus aushalten müssen. Zumal dann, wenn sie selbst mit harten Bandagen kämpfen.“ Wann das Berufungsverfahren stattfindet, steht noch nicht fest.