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Klage gegen Erzbistum KölnEx-Messdiener kämpft vor Gericht auch für andere Missbrauchs-Opfer

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Georg Menne sitzt vor der Verhandlung im Gerichtssaal im Landgericht Köln.

Kläger Georg Menne sitzt vor der Verhandlung im Gerichtssaal im Landgericht Köln.

Das Landgericht Köln hält die Schmerzensgeld-Klage eines von Missbrauch betroffenen früheren Messdieners für berechtigt. Ob es jedoch in einem Urteil auf die geforderte Summe von mehr als 700.000 Euro hinauslaufe, ist völlig offen.

Im Rechtsstreit zwischen dem Krankenhausseelsorger Georg Menne, der als Minderjähriger in den 1970er Jahren von einem Priester hunderte Male sexuell missbraucht wurde, und dem Erzbistum Köln haben sich die Parteien am Dienstag nicht auf einen Vergleich geeinigt.

Anberaumt war ein Gütetermin im Landgericht. Tags zuvor hatte das Erzbistum mitgeteilt, dass es keine Verjährung beanspruche, obwohl dies möglich wäre, weil die Taten über 30 Jahre zurückliegen. Menne, der im Verfahren der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen bereits 25 000 Euro von der Kirche erhalten hat, wirft dem Erzbistum Amtspflichtverletzung durch Unterlassen vor und verlangt 725 000 Euro Schmerzensgeld.

Missbrauch im Erzbistum Köln: Ehemaliger Messdiener fordert Schmerzensgeld

Darüber hinaus will er 80 000 Euro für künftige Schäden festgestellt wissen, sodass sich ein Gesamtbetrag von 805 000 Euro ergibt. Das Bistum hat die Zurückweisung der Klage beantragt. Abgesehen von einem wenig beachteten Würzburger Verfahren aus dem Jahr 2008 ist es der erste Fall, in dem ein Missbrauchsopfer die katholische Kirche auf Zahlung von Schmerzensgeld verklagt.

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„In diesem besonderen Fall hatte ich den Wunsch, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten“, wird Kardinal Rainer Woelki in einer Pressmitteilung des Erzbistums zitiert. Darin heißt es, mit dem Verzicht wolle man „prüfen lassen, ob das Gericht die bisher gezahlten Anerkennungsleistungen als angemessen erachtet“. Um die Frage der Verjährung geht es also nicht mehr. Auch nicht darum, ob die Taten wirklich geschehen sind.

„Der objektive Tatbestand des Missbrauchs wird nicht bestritten. Wir legen das als Sachverhalt zugrunde“, sagte Stephan Singbartl, Vorsitzender der 5. Zivilkammer. Außerdem werde vom Erzbistum nicht infrage gestellt, dass eine Amtshaftung vorliegt. Menne, der 37 Jahre als Pastoralreferent und Seelsorger für die Kirche gearbeitet und mittlerweile gekündigt hat, wurde nach seinen Angaben über mehrere Jahre mindestens 320 Mal von dem inzwischen verstorbenen Priester Erich J. sexuell missbraucht.

Im Missbrauchsgutachten des Strafrechtlers Björn Gercke für das Erzbistum ist zu lesen, der frühere Erzbischof Joseph Höffner und sein Generalvikar Norbert Feldhoff hätten ihre Pflicht zur Aufklärung und Opferfürsorge verletzt. Überdies habe es die Justiziarin des Erzbistums 2011 pflichtwidrig unterlassen, den Fall an die Strafverfolgungsbehörden zu melden.

Worum es in dem Verfahren nun zentral geht, ist die Frage, ob die Höhe des geforderten Schmerzensgelds angemessen ist. Das Gericht habe einen „breiten Spielraum“ sagte Singbartl. Dabei tue sich die Kammer schwer, eine konkrete Summe vorzuschlagen, zumal es an genau vergleichbaren Fällen mangele. „Unterschiedliche Sachverhalte können nicht gleich behandelt werden.“ Zumindest aber ließen sich ähnliche Fälle heranziehen. In Tabellen zu ausgeurteilten Schmerzendgeldern würden diese bis zu 100 000 Euro reichen.

Der Vorsitzende brachte einen Fall aus Wuppertal ins Spiel. Dort sprach das Landgericht 2013 einer Frau, die als 16-jährige schwangere Schülerin tagelang gefangengehalten und vergewaltigt worden war, 100 000 Euro Schmerzensgeld zu. Anderseits habe das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2000 eine Verfassungsbeschwerde von Eltern abgelehnt, die ein Schmerzensgeld in Höhe von 110 000 Euro als zu gering dafür erachteten, dass ihre drei Kinder bei einem Unfall ums Leben gekommen waren, den ein betrunkener Autofahrer verursacht hatte. Alles in allem könne sich die Kammer in diesem Verfahren einen sechsstelligen Betrag vorstellen, „tendenziell eher im unteren Bereich“, sagte Singbartl. „Für uns ist es eine der schwierigsten Aufgaben der letzten Jahre.“

Eberhard Luetjohann, einer der Anwälte des 63-jährigen Klägers, beharrte auf der geforderten Summe. Damit komme das Erzbistum noch gut weg und gehe „als Siegerin heraus“, weil ohne Urteil kein Präzedenzfall geschaffen werde. Eigentlich müsse „die Täterorganisation bestraft“ werden, denn „sonst hört es nicht auf“. Anwalt Hans-Walter Wegmann machte die Rechnung auf, wenn man die 320 in Rede stehenden Fälle zugrunde lege, komme man für jeden einzelnen auf nicht einmal 2500 Euro Schmerzensgeld.

Den Anwälten des Erzbistums hielt Luetjohann vor, es habe alle Versuche abgeblockt, miteinander ins Gespräch zu kommen: „Wir sind auf kein offenes Ohr gestoßen.“ Rechtsanwalt Jörn Quadflieg erwiderte für das Erzbistum: „Wir sind zu einem Vergleich bereit.“ Dass das Bistum darauf verzichte, die Verjährung geltend zu machen, könne der Kläger „als Signal auffassen“. Doch ein Vergleich, der „wechselseitiges Nachgeben“ voraussetze, sei schwerlich zu erzielen, wenn die Gegenseite „zu 100 Prozent“ an ihrer Forderung festhalte.

Die Klägerseite hat nun bis Ende Januar Zeit für eine Stellungnahme mit einer genaueren Begründung ihrer Forderung; dabei spielt die Schwere der Folgen für das Opfer eine wesentliche Rolle. Anschließend hat das Erzbistum Gelegenheit zur Gegenäußerung. Gegebenenfalls müsse Beweis erhoben und ein Gutachten in Auftrag gegeben werden, sagte Singbartl. Nach der Verhandlung sagte Georg Menne, er habe nicht damit gerechnet, dass das Erzbistum auf die Verjährung verzichtet. Was er bisher an Geld bekommen habe, „reicht nicht“. Nach mehreren Therapien habe er sich „eine gewisse Resilienz angeeignet“; andere Missbrauchsopfer seien „nicht in der Lage, den Mund aufzumachen“. Er kämpfe auch für viele andere Betroffene.

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