Geschäftsaufgabe nach 55 JahrenDie Kölnerin, die nur einen Monat bleiben wollte

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Die Dame Kulla Jossifidis aus Griechenland war nicht nur eine Gastarbeiterin der ersten Stunde, sondern auch Frau Ziegler in der TV-Serie "Mord mit Aussicht".

  • Kulla Jossifidis hatte 55 Jahre lang ein Modeatelier in Köln. Nun gibt sie das Geschäft auf, mit 83 Jahren.
  • Bekannt ist sie als Frau Ziegler aus der TV-Serie „Mord mit Aussicht“.
  • Der Schritt fällt ihr schwer: „Ich möchte ja weitermachen, aber es geht nicht mehr“.

Köln – Ein klein wenig lässt sich die Geschichte von Kulla Jossifidis erahnen, wenn man an der Gladbacher Straße auf das Gebäude mit der Hausnummer 15 schaut: Etwas erhöht an der Fassade die Geschäftsbezeichnung „Schneiderei und Modeatelier“ in altmodischen Schreibschrift-Buchstaben, die sich teilweise bereits vom Mauerwerk ablösen, als wüssten sie von ihrer befristeten Daseinsberechtigung. Und unten im Schaufenster das Schild: „Nach 55 Jahren Geschäftsaufgabe“.

Solche Ankündigungen registriert man heutzutage fast beiläufig im Vorübergehen, ohne sich der existenziellen Bedeutung bewusst zu werden. „Ich möchte ja weitermachen, aber es geht nicht mehr“, sagt Kulka Jossifidis mit ihrer leisen, ein wenig heiser klingenden Stimme. Sie ist 83 Jahre alt und keine 1,57, sondern nur noch 1,50 Meter groß. „Der Rücken“, erklärt sie mit einem Lächeln, das ihr Gesicht augenblicklich jünger erscheinen lässt.

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Kulla Jossifidis in ihrem Atelier

Mehr als ein halbes Jahrhundert hat Kulla, wie die Griechin von allen genannt wird, an ihrer alten Kurbel-Nähmaschine gesessen, die für sie selbst im gebrauchten Zustand seinerzeit kaum erschwinglich war. Außerdem habe sie damals doch gar nicht in Köln bleiben wollen. „Nur einen Monat oder zwei“, sagt sie, und diesmal lächelt Sophia, eine ihrer zu Besuch gekommenen Enkelinnen.

Kulla stammt aus dem Kiklis, einem rund 50 Kilometer von Kölns Partnerstadt Thessaloniki entfernten Ort, wo sie mit fünf Geschwistern aufwuchs. Bereits ihr Vater habe genäht, ein richtiger Künstler sei er gewesen, betont die kleine Frau, die sich trotz ihres gekrümmten Rückens flink und geradezu leichtfüßig ihn ihrem Geschäft bewegt. Sie öffnet die Tür eines Eichenschranks, zieht eine Tasche mit Ledergriff hervor und streicht zärtlich über den schwarzen Samt. „Die ist noch von meinem Vater.“

Kulla Jossifidis fand Köln auf den ersten Blick „ganz schrecklich“

Dann erzählt sie, wie sie 1963 nach Köln kam – mit dem Zug und ihrer ältesten Tochter Annetta, damals drei Jahre alt, an der Hand. Ihr Mann sei bereits im Jahr zuvor vorausgefahren und hatte ihr von den schönen Geschäften in Deutschland geschwärmt. Und von Rolltreppen! „Komm gucken!“ habe er gesagt. Sie kam und „fand es ganz schrecklich. Die Häuser waren alle so dunkel nach dem Krieg und ohne Balkone.“ Nein, hier wollte sie nicht bleiben.

Wenig später kam es auf der Straße zu einer Begegnung, die prägend für ihr Leben werden sollte: Ein Mann, der griechisch sprach und ihr erzählte, in Athen geboren zu sein, berichtete ihr von seiner Tätigkeit als Schneidermeister und ermutigte sie, die junge Modellistin, Entwürfe zu machen. Später sei er zu ihr nach Hause gekommen, habe Papier, Schere, Stoffe und andere Nähutensilien mitgebracht. Als Kulla ihre ersten fünf oder sieben Modelle fertiggestellt hatte – Kleider, Blusen, Jacken, sie erinnert sich nicht mehr genau – bestimmte er: „Damit fahren wir am Wochenende zur Igedo nach Düsseldorf!

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Ein Kleid aus der Kollektion von Kulla Jossifidis.

„Nein, du gehst nix mit eine fremde Mann“, widersprach Kullas Mann, der als Drucker bei der Zeitung arbeitete. „Das habe ich eingesehen“, sagt Kulla und schildert, wie Gabriel mit ihren Entwürfen im Gepäck zur Modemesse fuhr, und mit welch strahlendem Gesicht er zurückkehrte. „Es war fantastisch, wir haben jede Menge Bestellungen bekommen“, schwärmte der Schneider, und ehe sie recht begreifen konnte, was gerade geschah, hatte er eine Woche später bereits zwei Ladenlokale an Land gezogen: Das eine an der Gladbacher Straße für sie, und und ein weiteres in Friesenplatz-Nähe für ihn.

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Über die nachfolgenden Jahre könnte Kulla Bände erzählen. Wie sie, die damals noch kein Wort Deutsch sprach, dem Stift „ein Brot“ in ihre Handfläche kritzelte und diese in der Bäckerei der Verkäuferin entgegenhielt. Wie Gabriel ihr irgendwann gestand, in Wahrheit gar kein Athener zu sein, sondern ein deutscher Jude, der in sibirischer Gefangenschaft von Mithäftlingen Griechisch gelernt hatte. „Leider ist er sehr junge gestorben.“ Kulla erzählt, dass ihre erste Vermieterin die Sekretärin Adenauers war und dass eine unschätzbare Menge ihrer Modelle später bei renommierten Modehäusern wie Armani, Jil Sander oder Versace hingen. Darüber, wie sie es geschafft hat, nebenbei noch drei Töchter großzuziehen, nachdem der Gatte, den sie hatte, irgendwann nach Griechenland zurückgekehrt war, verliert sie indes kaum ein Wort.

Nebenjob in TV-Serie „Mord mit Aussicht“

Statt dessen erzählt sie ausführlich von dem Tag, als sie beim Heimkommen von der Arbeit zwei Männer vor ihrem Wohnhaus stehen sieht, die ihr erklären: „Wir suchen Sie schon ein ganzes Jahr!“ - „Um Himmels Willen, was habe ich denn verbrochen?“, fragt sie, die angesichts der Frage Kripobeamte in zivil vermutet. Die Männer geben Entwarnung und erklären, dass man sie gerne als Darstellerin in der Krimiserie „Mord mit Aussicht“ hätte.

Kulla Jossifidis als „Frau Ziegler

Kulla Jossifidis als „Frau Ziegler

Von diesem Moment an machte Kulla Jossifidis nicht nur regelmäßig Überstunden in ihrem Modeatelier, um alle Kundinnen zufriedenzustellen, sondern nahm regelmäßig eine zweite Identität an, nämlich die der Frau Ziegler, einer Eifelbürgerin, die zwar kaum spricht, dafür aber umso mehr in ihrem Dorf mitkriegt.

Zurück nach Köln und zu dem Gebäude Gladbacherstraße 15, wo sich der Schriftzug über dem Fenster löst. Man sollte ihn – bevor er nach dem 30. Juni in unbefugte Hände gerät – unter Denkmalschutz stellen lassen. Und die Frau, die eigentlich nur einen Monat in Köln bleiben wollte und nach wie vor an der alten Handkurbelnähmaschine sitzt, am besten gleich mit.

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