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Interview„Die Wahrheit sagen, Mut machen“

Lesezeit 6 Minuten

Ursula Heinen-Esser beim Interview

Frau Heinen-Esser, was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfuhren, dass Sie Brustkrebs haben?Ursula Heinen-Esser: Ich habe es nicht glauben können. Ich habe auf Anraten meiner Gynäkologin eine Mammografie machen lassen. Danach sagte mir eine Ärztin, wir sehen da etwas, das wir noch genauer untersuchen müssen. Das war ein echter Schock. Ein paar Stunden später kommen dann solche Gedanken wie: Wann stirbst du? Das war ziemlich heftig für mich.

Wann haben Sie die Diagnose bekommen?Heinen-Esser: Am 4. Oktober 2012, das Datum werde ich nicht vergessen.

Kurz vorher hatten Sie sich entschlossen, nicht noch einmal für den Bundestag zu kandidieren.Heinen-Esser: Ja, aus familiären Gründen.

Wie verläuft Ihre Behandlung? Heinen-Esser: Nach der Operation habe ich mit der Chemotherapie angefangen, die ist seit zwei Tagen beendet. Am Montag starte ich mit der Bestrahlung, 28 Termine. Und dann folgt noch eine fünfjährige Hormontherapie.

Wo haben Sie die Chemotherapie durchgeführt?Heinen-Esser: Hier in Köln. Das Krankenhaus Hohenlind hat ein erstklassiges Brustzentrum mit sehr einfühlsamen Ärzten und Schwestern. Besser konnte ich nicht aufgehoben sein. Zudem konnte ich von unserem Haus aus zu Fuß hingehen, unsere Tochter konnte mich mit dem Fahrrad schnell mal besuchen kommen, das war für uns als Familie optimal.

Ihre Tochter ist sieben Jahre alt. Haben Sie Ihr gesagt, wie es um Sie steht?Heinen-Esser: In Hohenlind gibt es eine psychologische Betreuung für Krebspatienten und deren Familienangehörige. Mein Mann und ich haben mit einer Spezialistin gesprochen, gerade auch wegen der Frage, wie bringen wir es der Kleinen bei. Da gilt die Devise: die Wahrheit sagen. Nicht etwa sagen, die Mama kämpft, sie wird das überleben, sondern realistisch bleiben. Sagen, dass es auch schiefgehen kann.

Wie bewerten die Ärzte Ihren Zustand?Heinen-Esser: Die Ärzte geben mir eine sehr gute Heilungschance. Die Erkrankung wurde rechtzeitig erkannt.

Wie geht Ihre Familie mit Ihrer Erkrankung um?Heinen-Esser: Natürlich war die Diagnose auch für meinen Mann ein Schock. Aber er hat sich nie aus der Ruhe bringen lassen, das war für mich eine große Unterstützung. Ebenso meine Eltern, die mich eng begleitet haben. Meine Familie ist mit Krebs vorbelastet. Das hätte mich schon aufmerksam machen müssen, aber wer will das schon wahrhaben?

Und Ihre Freunde?Heinen-Esser: Meine Freundinnen sind mitgekommen, die Perücke auszusuchen. Ich fand das großartig und auch mutig.

Wie ist das, eine Perücke zu tragen?Heinen-Esser: Zunächst war der Gedanke schrecklich, meine langen Haare zu verlieren. Es ist das sichtbare Zeichen der ansonsten ja „unsichtbaren“ Chemotherapie. Ich kann die Krankheit über den Tag verdrängen, abends, wenn ich in den Spiegel schaue, nicht mehr.

Haben Sie sich in Berlin jemandem anvertraut?Heinen-Esser: Ich habe dort sehr enge Freunde, denen ich sofort Bescheid gegeben habe, auch Peter Altmaier, meinem unmittelbaren Chef. Angela Merkel reagierte sehr mitfühlend, sie erkundigt sich immer wieder danach, wie es mir geht. Meine Kollegen und Mitarbeiter im Ministerium haben toll reagiert, sie mussten ja zeitweise meine Aufgaben mit erledigen.

Arbeiten Sie derzeit in vollem Umfang?Heinen-Esser: Bis auf die Zeit im Krankenhaus und während der Tage mit Chemotherapie habe ich gearbeitet und werde das noch bis zum Herbst tun. Ich gehöre zu denen, die auch die Ablenkung brauchen. Nach der Diagnose habe ich mir erst mal alles bei Amazon bestellt, was es an Literatur zum Thema Brustkrebs gibt. Leider habe ich auch Prognoserechner im Internet ausprobiert – davor kann ich nur warnen. Die Gefahr ist groß, dass man nur noch um den Tumor zirkelt. Arbeiten hilft mir, den Blick auf das normale Leben nicht zu verlieren.

Hat sich Ihr Blick auf den Berliner Politbetrieb verändert?Heinen-Esser: Vielleicht. Politik ist notwendig, das ist überhaupt keine Frage. Diese kleineren Streitereien, die Hakeleien, die Stellungskämpfe, das sehe ich heute viel entspannter.

In der Politik wird viel gestritten. Macht Streiten krank?Heinen-Esser: Streiten als solches ist nicht das Problem. Streit in der Sache ist wesentlicher Bestandteil von Politik. Aber Sie müssen stets gewappnet sein gegen mögliche Angriffe, und das bedeutet schon mal Stress. In Berlin, in meinem Ministerium und in der Bundestagsfraktion, ist es eigentlich eher entspannt. Das war hier in Köln nicht immer so …

Ursula Heinen-Esser, geboren 1966, ist seit 2009 parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und damit die derzeit ranghöchste Kölner Politikerin. Fünf Jahre lang war sie stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes Köln. Seit 2006 gehört sie dem CDU-Bundesvorstand an.

Die Volkswirtin ist verheiratet mit dem Rechtsanwalt Heinz-Christian Esser. (ksta)

Wie erklären Sie sich den Unterschied?Heinen-Esser: In Berlin werden die Grundlagen der Zusammenarbeit am Anfang einer Legislaturperiode geregelt. Danach läuft alles professionell ab. Hier in Köln waren schon etwas mehr persönliche Animositäten zu spüren.

Was hat Sie bewogen, Ihre Karriere in Berlin aufzugeben?Heinen-Esser: Ich habe viel erreicht, aber unser Familienleben, unsere Tochter kamen auf Dauer zu kurz. Es ist keine schöne Situation, abends den letzten Flug aus Berlin nach Köln zu verpassen, weil eine Veranstaltung länger gedauert hat, und dann seinem Kind wieder am Telefon erklären zu müssen, ich kann dich heute nicht mehr ins Bett bringen. Ich hatte ein permanent schlechtes Gewissen. Das ist ein Spagat, den viele Frauen aushalten müssen.

Haben Sie überlegt, was die Ursache für Ihre Krankheit sein könnte?Heinen-Esser: Bei mir liegt eine hohe genetische Wahrscheinlichkeit vor, dass ich Brustkrebs bekomme. Natürlich gibt es äußere Einflussfaktoren. Aber macht es Sinn, lange darüber nachzudenken?

Sprechen Sie mit anderen an Brustkrebs erkrankten Frauen?Heinen-Esser: Im Internet gibt es ein sehr informatives Forum namens „Mit Brustkrebs leben“. Da kann man jede Frage loswerden. Und wenn Sie wie ich eine Chemotherapie ambulant machen, treffen Sie auch Frauen mit weit fortgeschrittenen Erkrankungen, die kämpfen. Da waren einige dabei, die mich sehr beeindruckt haben und mir großen Mut gemacht haben.

Warum sind Sie bereit, Ihre Krankheit publik zu machen?Heinen-Esser: Mir haben für meinen Heilungsprozess Erfahrungsberichte geholfen. Ich weiß, dass es vielen Frauen auch so geht. Auch deshalb gehe ich an die Öffentlichkeit. Ich möchte betroffenen Frauen Mut machen, die anstrengenden Therapien durchzuhalten. Es lohnt sich.

Wie geht es von Herbst an weiter für Sie?Heinen-Esser: Ich werde mich ehrenamtlich weiter in der CDU engagieren, aber ein Mandat strebe ich nicht mehr an. Ich kann mir vorstellen, meinem bisherigen Tätigkeitsfeld, der Energiepolitik, treu zu bleiben. Aber erst einmal möchte ich wieder richtig gesund werden.