Jahresringe erwünschtDer Kölner Experimentalchor „Alte Stimmen” ist nur für Senioren

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Der "Experimentalchor Alte Stimmen" bei der Probe im Bezirksrathaus Mülheim.

Köln – Sie lassen noch längst nicht jeden rein. Erst ab einem Mindestalter von 70 Jahren hat man eine Chance, beim Experimentalchor Alte Stimmen aufgenommen zu werden. Die Initialzündung zu der außergewöhnlichen Chor-Idee war eine Anzeige im „Kölner Stadt-Anzeiger“, die ungefähr so lautete: „Damen und Herren ab 70 gesucht, die Lust haben zu singen und zu experimentieren“. Das war vor acht Jahren. Auf die Anzeige meldeten sich damals mehr als 100 sing-freudige Menschen. Der „Experimentalchor Alte Stimmen“ war geboren, probte anfangs unter der Leitung von Bernhard König im Foyer der Kölner Philharmonie, wechselte später zum Üben ins Bezirksrathaus Mülheim. Im Vordergrund des rüstigen Seniorenchores stehe die Einzigartigkeit der menschlichen Stimme im Kontext des Lebenslaufes, sagt Alexandra Naumann, die heute gemeinsam mit Ortrud Kegel den Chor leitet.

Der Chor, der Auftritt

 Der Chor probt zweimal im Monat, jeden ersten und dritten Donnerstag von 15 bis 17 Uhr im Saal der VHS im Bezirksrathaus Mülheim, Wiener Platz 2a.

Zu hören und zu sehen ist der Experimentalchor Alte Stimmen am Donnerstag, 6. Dezember, 18 Uhr, in der Christuskirche, Dorothee-Sölle-Platz 1, im Belgischen Viertel. In seinem neuen Projekt „Zeit“ beschäftigt sich der Chor mit den verschiedenen Aspekten der Zeit: rasende, bleierne, subjektive oder objektiv gemessene Zeiten; Zeit in flüchtigen Aktionen, in langdauernden Improvisationen und natürlich in Liedern. Der Eintritt kostet zehn Euro, ermäßigt acht Euro. www.konzertpaedagogik.de/experimentalchor-alte-stimmen   

Freude und die Bereitschaft, sich auf vokale und kompositorische Experimente einzulassen seien die Voraussetzungen zum Mitsingen. „Brüchigkeit, stimmliche Falten und Jahresringe sind bei uns nicht nur toleriert, sondern ausdrücklich gewünscht“, sagt Naumann, die den Chor im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorstellt.

Was ist das Besondere an Ihrem Chor? Bei uns werden Lieder oft experimentell ausgekleidet und autobiografische Beiträge in Form von Geschichten und gelebter Stimmfarbe erzählt. Der Chor erarbeitet außerdem Projekte mit Grundschulkindern, Jugendlichen oder Migrantinnen. Er zeichnet sich durch eine große große Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen aus.Wie groß ist das Repertoire? Wir haben uns bisher drei themenbezogene Konzerte mit einer Mischung aus Liedern, experimenteller Musik, Geschichten und Improvisationen erarbeitet: „Das Lied des Lebens“, „Aber die Liebe bleibt...“ und „Zeit“. Zusätzlich produzierten wir eine politische Nachtmusik für den Evangelischen Kirchentag in Dresden und ein Märchenprojekt mit einer interkulturellen Grundschule.

Welches Konzert gehört zu den Highlights der Chorgeschichte?

Wir haben schon viele besondere Momente erlebt. Zum Beispiel die Teilnahme an dem Dokumentarfilm „Das Lied des Lebens“ von Irene Langemann, oder der Auftritt mit „Lebensliedern“ in der Essener Philharmonie, in dem Lebensgeschichten des Chores vertont wurden und die Aufführung von Ausschnitten aus den „Song Books“ von John Cage im Foyer der Kölner Philharmonie.

An welche große Panne erinnern Sie sich? Pannen sind bei uns Programm. Wer improvisieren kann siegt. Vor welcher Herausforderung steht der Chor? Teilweise nachlassende körperliche Konstitution und Männermangel. Aber es kommt ja immer auf den Umgang damit an, und gerade das ist die Spezialität unseres Leitungsteams: Wir kreieren Maßanfertigungen für singende Menschen.

Wie würden Sie Köln in einem Lied besingen?

Das haben wir gemacht, im „Lied des Lebens“. Dort wurde die autobiografische Fluchtgeschichte eines Chormitglieds mit einem sich ausdünnenden, immer schweigsamer werdenden Arrangement von „Ich möch zo Fooss noh Kölle jon“ in einen würdevollen Rahmen gesetzt. Ansonsten ist bei uns sprachliche Vielfalt gewünscht, da wir nicht nur kölsche Mitglieder haben.

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