Schwangere und Kind totBewährung, kein Berufsverbot – darum kam die Apothekerin milde davon

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Die angeklagte Apothekerin mit ihren Anwälten beim Prozessauftakt im Landgericht Köln.

Die angeklagte Apothekerin mit ihren Anwälten beim Prozessauftakt im Landgericht Köln.

Eine tödliche Verwechslung bringt eine Kölner Apothekerin nicht ins Gefängnis. Auch ein Berufsverbot schloss die Richterin aus und nannte die Gründe. 

Nach dem Gifttod einer Schwangeren und ihres Babys steht für das Landgericht eine Apothekerin aus Longerich als die Schuldige fest. Zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung lautete am Donnerstag das Urteil gegen die Angeklagte, die laut Richterin ein gefährliches Narkosemittel mit harmloser Glukose verwechselt hatte. Ein Berufsverbot sprach die Richterin explizit nicht aus, es bestünde aufgrund eines „Lerneffekts“ keine Wiederholungsgefahr.

Köln: Staatsanwalt hatte keine fahrlässige Tötung mehr gesehen

Das Urteil überraschte, nachdem der Staatsanwalt zum Vorwurf der fahrlässigen Tötung einen Freispruch beantragt hatte. Laut Ankläger konnte der Prozess nämlich nicht belegen, dass tatsächlich die Angeklagte für die tödliche Verwechslung in ihrer Apotheke verantwortlich war. Das sah die Schwurgerichtskammer jedoch gänzlich anders, Richterin Sabine Kretzschmar fand deutliche Worte. Die Apothekerin habe ihre Sorgfaltspflichten grob verletzt, einen gravierenden Fehler gemacht.

Die tödliche Verwechslung geschah laut Urteil in der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich.

Die tödliche Verwechslung geschah laut Urteil in der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich.

Sorglos sei die Angeklagte in der Apotheke mit dem Stoff Glukose umgegangen, der oft in kleine Portionstütchen gefüllt werden musste. „Sie nahm die Abfüllung nicht sonderlich ernst und sagte, jeder könne das Mal zwischendurch machen“, erklärte die Richterin. Die 52-Jährige habe Glukose als ein Lebensmittel betrachtet, für das im Gegensatz zu Medikamenten keine besonderen Regeln gegolten hätten. Deshalb habe sie auch Reste eines Behälters in ein anderes Gefäß geschüttet.

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Richterin bewertet Umschütten als „absolutes No-Go“

Bei diesem achtlosen Umschütten, das die Richterin als „absolutes No-Go“ bezeichnete, sei es zu dem tödlichen Versehen gekommen. Denn es waren die Reste eines Narkosemittelbehälters, den eine Mitarbeiterin zur Entsorgung bereitgestellt hatte, die im neuen Glukoseeimer landeten. Die beiden Gefäße sahen identisch aus, den Fehler hätte die Apothekerin aber laut Urteilsbegründung leicht erkennen können. „Man hätte schlicht das Etikett lesen müssen“, konstatierte die Vorsitzende.

Im Ausschlussverfahren bliebe nach den Ausführungen der Richterin nur die Angeklagte als diejenige übrig, die die Verunreinigung der Glukose verursacht habe. Dafür spreche auch eine frühe Aussage der Apothekerin bei der Polizei. Hier soll die Apothekerin das Gefäß mit dem Betäubungsmittel Lidocainhydrochlorid mit rotem Deckel beschrieben haben, dabei hatte es einen weißen. Auch sei der Behälter nicht wie von der Angeklagten beschrieben kleiner als der Glukosebehälter gewesen.

Schwangere und ihr Baby starben nach Glukosetest

Eins von der Apothekerin abgefüllten Glukosepäckchen hatte eine 28-Jährige erhalten, die in der 24. Woche schwanger war. Beim Gynäkologen trank sie das Pulver für einen Diabetestest aufgelöst mit Wasser. Die Frau kollabierte kurz darauf, wurde reanimiert, doch verstarb noch am selben Tag. Ihr Sohn wurde zuvor per Notkaiserschnitt auf die Welt geholt, er starb einen Tag später. Die Richterin nannte das Geschehen tragisch, es sei doch nur ein harmloser Vorsorgetest geplant gewesen.

Noch während der Rettungsmaßnahmen hatte eine Ärztin in der Apotheke Alarm geschlagen und das Glukosegefäß an sich genommen. Die Apothekerin soll dann die Vermutung gehabt haben, wie die Patientin vergiftet worden sein könnte. Das habe sie den Ärzten verschwiegen, bei Kolleginnen sprach sie von der Angst des Verlustes der Approbation. Zu einer Rettung von Mutter und Kind hätte eine Meldung aber laut einem Gutachten nicht beitragen können, zu schwer war die Vergiftung.

Weitere Schwangere entging nur knapp dem Tod

Bereits zwei Tage zuvor hatte eine Patientin die toxische Mischung serviert bekommen, doch nach einem Schluck hatte sie aufgehört. Der Geschmack sei bitter, das kenne sie so nicht. Die Arzthelferin habe das abgetan und die Patientin animiert, weiterzutrinken. Sie weigerte sich und rettete so ihr und das Leben ihres Babys. Zwar fiel der Verdacht direkt auf die Apotheke. Nach einem Geschmackstest am Glukosebehälter sei man dort aber zunächst nicht von einer Verunreinigung ausgegangen.

„Bitte glauben Sie mir, hohes Gericht, dass ich niemanden töten wollte und auch nicht bewusst Informationen zurückgehalten habe“, hatte die Apothekerin vor dem Urteil geäußert, Verteidiger Gerson Trüg beantragte insgesamt einen Freispruch. Der Staatsanwalt hatte zwar nicht wegen fahrlässiger Tötung, wohl aber versuchten Mordes durch Unterlassen – Versuch deshalb, weil es keine Rettungsmöglichkeit mehr gab – sogar eine Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren gefordert.

Apotheke zahlt 75.000 Euro an die Hinterbliebenen

Die Richterin ging in ihrer Urteilsbegründung zugunsten der Angeklagten aber nicht von einer geplanten Vertuschung und damit einem möglichen Mordmerkmal aus. Denn herausgekommen wäre die Vergiftung in der Apotheke so oder so. Vielmehr könnte die Apothekerin gedacht haben, dass ohnehin jede Hilfe zu spät käme. Zurückhaltend solle man die Verwechslung bewerten. Ein tödlicher Fehler könne laut Richterin Kretzschmar – etwa im Straßenverkehr – jedem passieren.

Der Lebensgefährte der Verstorbenen und Vater des toten Babys könne jetzt hoffentlich zur Ruhe kommen, sagte sein Anwalt. Aufgrund der abweichenden Bewertungen wird der Fall aber wohl den Bundesgerichtshof in Karlsruhe zwecks Überprüfung des Urteils beschäftigen. Die Betreiber der Apotheke hatten zwischenzeitlich 75.000 Euro Entschädigung an die Hinterbliebenen gezahlt. Als Bewährungsauflage soll die Angeklagte weitere 20.000 Euro an eine Kinderintensivstation zahlen.

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