Verlosung von SchulplätzenKölner Eltern gehen in den organisierten Widerstand

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Kölner Eltern haben sich zu einer Prostestinitiative zusammengeschlossen.

Köln – Der Protest gegen die Schulplatzvergabe der Stadt und fehlende Schulplätze im Stadtgebiet hat eine neue Dimension bekommen: Kölner Eltern gehen in großer Zahl in den organisierten Widerstand gegen die Schulplatzvergabe der Stadt Köln.

Unter dem Motto „Schulplatzverlosung stoppen! Pakt für Schülerinnen und Schüler jetzt“ hat sich eine Initiative mit Namen „die-abgelehnten.de“ gegründet, der sich schon drei Tage nach der Gründung 700 Eltern angeschlossen haben. Darunter sind längst nicht mehr nur aktuell Betroffene, sondern auch zahlreiche Eltern von Grundschul- und Kitakindern, die das gravierende Schulplatzproblem in den nächsten Jahren auch auf sich zukommen sehen.

„Stündlich werden es mehr Eltern, die sich uns anschließen, da der Aufruf sich über die sozialen Medien im Schneeballsystem verbreitet“, berichtet Organisator Olaf Wittrock. „Das Fass ist übergelaufen. Wir werden dieses Vergabeverfahren nicht akzeptieren. Wir werden laut sein und kämpfen“, kündigt der Sprecher der Initiative an.

Alles zum Thema Henriette Reker

Offener Brief an die Oberbürgermeisterin

Diese wendet sich in einem von allen Eltern unterzeichneten offenen Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Neun- und zehnjährige Kinder und ihre Eltern sind Geisel und Leidtragende am Ende einer langen Kette des Versagens“, heißt es in dem Brief. Reker wird aufgefordert, das „unwürdige Verfahren zu stoppen“ und dafür zu sorgen, dass die Kinder dieser Stadt nicht in immer wieder neue Losverfahren getrieben werden. Die Oberbürgermeisterin solle Betroffene und Beteiligte an einen Tisch holen und persönlich einen anderen Vergabeprozess steuern. Mit Pragmatismus und Vernunft.

„Es gibt Familien, die schon vergeblich einen Gesamtschulplatz gesucht haben und seit fünf Monaten in ständig neuen Losverfahren sind. Das ist Horror. Das ist unmenschlich. Manche wissen immer noch nicht, wie es für sie im Sommer weitergeht.“ Neben einem faireren Verfahren und individuellen Lösungen fordert die Initiative, „endlich für die Kinder dieser Stadt zusätzliche Schulplätze zu schaffen. Es braucht pragmatische Interimslösungen und schnelleren Schulbau. Und zwar da, wo die Plätze gebraucht werden.“ Konkret solle eine Mehrklasse im Südwesten angeboten werden statt Plätze ganz im Osten oder Norden.

„Ziviler Ungehorsam"

Hintergrund des Protestes ist, dass die Stadt in diesem Jahr 1200 Schülerinnen und Schülern keinen Platz an ihrer Wunschschule anbieten konnte. Mehr als jedes zehnte Kind ging an seiner Wunschschule leer aus. In früheren Jahren gab es die Möglichkeit einen Zweitwunsch anzugeben. Für diejenigen, die auch dort keinen Platz bekommen haben, gab es eine Verteilerkonferenz, um individuelle Lösungen zu finden. In diesem Jahr hatte die Stadt mitten im Bewerbungsverfahren verkündet, dass sie die Zweitwünsche nicht mehr ansehen werde.

Noch immer haben mehr als 50 Kinder keinen Platz

Stattdessen bekamen abgelehnte Schüler eine Liste mit zwölf Schulen, wo sie sich erneut bewerben sollten. Dort wanderten sie zumeist wieder in einen weiteren Lostopf. Noch immer haben mehr als 50 Kinder keinen Platz. Die Stadt betonte, es sei nicht die Stadt, die Losrunden veranstalte, sondern die Schulleitungen, die losen, wenn sich mehr Kinder anmelden als Plätze vorhanden seien. Die zweite Runde im Anmeldeverfahren laufe derzeit noch und Familien könnten sich im Amt für Schulentwicklung individuell beraten lassen.

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Neben der Gründung einer Protestinitiative gehen die Eltern derzeit zwei Wege, um den Druck auf Stadt und Bezirksregierung zu erhöhen: „Für uns sind Mehrfachanmeldungen der Weg des zivilen Ungehorsams“, erläutert Wittrock. Das heißt, obwohl die Stadt abgelehnte Familien darum gebeten hatte, sich nur an einer weiteren Schule anzumelden, haben sich sehr viele gleich an mehreren Schulen angemeldet. So werde das auch künftig gehandhabt, wenn die Stadt das Verfahren nicht ändere, so Wittock. „Das sorgt für Chaos. Und Stadt und Bezirksregierung fliegt ihr eigenes Verfahren um die Ohren.“ Der andere Weg ist, Widerspruch einzulegen und den Klageweg zu beschreiten.

Anwalt erwartet viele Klagen

Der Kölner Schulrechtsanwalt Felix Winkler macht keinen Hehl daraus, dass schon eine Reihe Eltern bei ihm vorstellig geworden sind. Seine Analyse: Stadt und Bezirksregierung haben sich mit der Verfahrensänderung ein Eigentor geschossen: Erstens sei durch die Mehrfachanmeldungen ein Riesendurcheinander entstanden, das schwer lösbar sei. Außerdem sei der Gegenwind der in diesem Jahren extrem gut organisierten Eltern unterschätzt worden. Seine Prognose: „Am Ende wird das in diesem Jahr vor dem Verwaltungsgericht Köln entschieden.“

Wie radikal muss sich Schule ändern? Hören Sie jetzt den Podcast mit Jürgen Möller, Leiter der Akademie für Lernpädagogik:

Die Aussichten für die Eltern bewertet er nicht schlecht: Knackpunkt ist für ihn, dass Stadt und Bezirksregierung den Anmeldemodus im laufenden Verfahren geändert hätten. Die Eltern hätten mit der Angabe von Erst- und Zweitwunsch auf ein bestimmtes Verfahren vertraut, das dann kurzfristig geändert wurde. Sie genießen einen Vertrauensschutz, dem nicht Rechnung getragen worden sei. „Viele Eltern, die taktisch gewählt haben, hätten doch ganz anders entschieden, wenn sie gewusst hätten, dass ihr Zweitwunsch gar nicht relevant wird“, bestätigt Wittrock.

Anwalt hofft auf „pragmatische Lösungen“

Damit sich die Verfahren nicht bis in den Sommer ziehen, hofft Anwalt Winkler, dass es nun in dieser für Schulleitungen, Stadt und Eltern gleichermaßen schwierigen Situation zu „pragmatischen Lösungen“ kommt. „Mit zwei Mehrklassen in Schulen in der Innenstadt wäre die akute Situation schon entschärft.“ Sein Schulrechtskollege Christian Birnbaum empfiehlt mehrfach abgelehnten Familien, auch mehrfachen Widerspruch einzulegen mittels eines so genannten Hilfsantrags, der zusätzlich zum Hauptantrag gestellt werde: gegen die Ablehnung an der letzten Schule, aber auch an der ursprünglichen Wunschschule. So würden die Gerichte gezwungen, gleich mehrere Verfahren auf Rechtmäßigkeit zu prüfen. Eltern würden so die Möglichkeit wahren, vielleicht doch noch auf ihrer ursprünglichen Wunschschule einen Platz zu bekommen.

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