Henriette Reker hat Köln seit 2015 als Oberbürgermeisterin geführt, nun tritt sie ab. Von ihren Zielen hat sie nur wenige erreicht.
Kölner OberbürgermeisterinZehn Jahre mit Haltung – Henriette Reker tritt ab

Henriette Reker spricht am 20.11.2015 in Köln (Nordrhein-Westfalen) im Rathaus.
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Es ist nicht mehr als ein Stück Plastik, eine zerbrochene Fahnenstange, die einst eine Werbefahne im Wahlkampf trug. Unscheinbar liegt sie in der Dauerausstellung des Stadtmuseums, doch sie erzählt eindrucksvoll vom 17. Oktober 2015. Dem Tag, an dem Henriette Reker ihre Bereitschaft, Verantwortung für die Stadt zu übernehmen, fast mit dem Tode bezahlt hätte.
Ein rechtsextremer Attentäter hatte Reker, bis dahin als Sozialdezernentin der Stadt Köln auch für Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen zuständig, ein Messer in den Hals gerammt, anschließend wurde er mit Hilfe der Fahnenstange in Schach gehalten, bis er von einem Polizisten überwältigt wurde.
Nach Attentat mit deutlicher Mehrheit gewählt
Am kommenden Tag, Henriette Reker lag noch im künstlichen Koma, wählten die Kölnerinnen und Kölner sie mit deutlicher Mehrheit bereits im ersten Wahlgang zur Oberbürgermeisterin. Als sie im November 2015 das Amt antrat, verdeckte ein Halstuch ihre Wunden. Die seelischen Narben versteckte sie noch besser. Bei ihrem ersten Auftritt vor den Medien, nur wenige Wochen nach dem Angriff, zeigte sie sich gesund, gut gestimmt, witzig, souverän und sehr fit. Die Hoffnung auf einen Aufbruch war deutlich spürbar.
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Nun, nach zwei Amtszeiten, ist Schluss. Henriette Reker übergibt das Amt an ihren Nachfolger, den Sozialdemokraten Torsten Burmester. Beide starten mit ähnlichen Vorzeichen: Auch Reker konnte damals nicht automatisch auf eine sichere Mehrheit bauen, die ihr Handeln im Stadtparlament abgestützt hätte.
Parteipolitische Unabhängigkeit als Markenzeichen
Sie, die Parteilose, unterstützt im Wahlkampf von Grünen, CDU und FDP, verstand Unabhängigkeit als ihr Markenzeichen. „Meine parteipolitische Unabhängigkeit ist kein Zufall“, verkündete sie damals. Sie ist Konzept und Programm. Ein neuer Politikstil werde Einzug halten, versprach sie, möglicherweise mit wechselnden Mehrheiten im Rat, außerdem eine neue Streitkultur sowie mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung.
Die Realität entwickelte sich allerdings sehr schnell weniger zukunftsfroh, die Anfangs-Euphorie um Reker war bald verpufft. Zwar fanden sich die Unterstützerparteien bald doch in einem Ratsbündnis zusammen, auf der Agenda aber standen sehr schnell massive Probleme, denen alleine mit Streitkultur und Transparenz nicht beizukommen war: Die Silvesternacht 2015/16 etwa, als junge Männer, viele davon arabischer und nordafrikanischer Herkunft, rundum Dom und Hauptbahnhof massenhaft Frauen in aller Öffentlichkeit ungehindert jagen, belästigen und nötigen konnten.
Für den zunächst beschönigenden Umgang der Polizei mit dem Geschehen („Ausgelassene Stimmung“, „Feiern weitgehend friedlich“), konnte Reker nichts. Ihren oft kritisierten Satz von der „Armlänge Abstand“, den sie damals prägte, hält sie heute aber selbst für missverständlich und deswegen für einen Fehler. „Weil das so verstanden wurde, als wäre den Frauen nichts passiert, wenn sie eine Armlänge Abstand gehalten hätten.“
Operndebakel und Verwaltungsschwächen
Auch das Operndebakel fiel ihr schon früh in der ersten Amtszeit auf die Füße. Denn die Ursachen für die nahezu obszöne Kostensteigerung und die jahrelangen Bauverzögerungen bei der Sanierung des Ensembles am Offenbachplatz gehen wohl in erster Linie auf das Konto der für den Bau zuständigen Verwaltung, die in einer Mischung aus Selbstüberschätzung, Schludrigkeit und hochgradiger Unprofessionalität agierte.

Oberbügermeisterin Henriette Reker im Foyer der Oper. (Archivbild)
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Immerhin war Henriette Reker als Erste und Einzige einer ganzen Riege städtischen Spitzenpersonals bereit, Verantwortung für das Schlamassel zu übernehmen. Spät sorgte sie dann durch weitere Personalentscheidungen dafür, dass die Häuser nun doch der Vollendung entgegengehen. Dass sie selbst die geplante Eröffnung im Herbst 2026 nicht mehr im Amt erleben wird, hat Reker inzwischen überwunden: Immerhin konnte sie auf der Zielgeraden ihrer Amtszeit im fast fertig sanierten Opernhaus die finale Vollendung noch ankündigen.
Verwaltungsreform blieb auf der Strecke
Die Reform der Kölner Stadtverwaltung, der schon vor zehn Jahren nur ein höchst bescheidener Ruf vorausging, war eines ihrer erklärten Großziele. Doch viel blieb nicht von dem Anfangselan, auch der eigens installierte Reform-Beauftragte ist längst Geschichte.
Zwar wurden unzählige Workshops und Schulungen abgehalten, sicher auch jede Menge Workflows geändert. Angekommen ist davon aber bei den Kölnerinnen und Kölnern nur wenig. Im Gegenteil: Einen zeitnahen Termin im Bürgeramt zu bekommen, ist inzwischen ein Glücksspiel – lange Warteschlangen vor den Bezirksrathäusern schon am frühen Morgen sind gängiger Standard.
Zwar sagt Reker heute selbstbewusst, dass ihr Nachfolger „eine ganz andere Verwaltung vorfinde, als ich sie vorgefunden habe“. Doch entscheidend ist, wie die Bürger es sehen. Und die blicken mehrheitlich weniger optimistisch auf ihre Verwaltung als die scheidende Chefin selbst. Beim Thema Sauberkeit in der Stadt bekannte Reker gar im letzten Amtsjahr ungewohnt offen ihre Machtlosigkeit: Sie sehe eine zunehmende Verwahrlosung, der man als Kommune kaum noch Herr werde.
Erfolg im Schulbau, aber kulturelle Sorgen bleiben
Auf der Habenseite steht dagegen der Schulbau: Orchestriert im Zusammenwirken zwischen Bau- und Schuldezernat und massiv unterstützt von der Politik, entstanden in beiden Amtszeiten Rekers neue Schulen in nennenswerter Zahl. Gleichzeitig wurden marode Altbauten saniert. Auch das war indes ein Lernprozess: Anfangs wollte niemand die dramatische Unterversorgung mit Schulplätzen wahrhaben, wurden Verlosungen von Gymnasialplätzen, konzeptlose Verschickungen von Fünftklässlern in Schulen am anderen Ende der Stadt und jede Menge Kindertränen hingenommen.
Erst mit Verspätung kam der Druck der verzweifelten Eltern und ihrer Kinder in der Stadtspitze an. Dann aber zeigte Köln, dass Probleme durchaus gelöst werden können, wenn man sie nur entschlossen angeht. Bei den großen Themen Ost-West-Achse und FC-Ausbau am Geißbockheim gelang das bis heute nicht. „Ins Museum muss man nicht gehen, in die Schule schon“, so begründete Reker den Kraftakt bei den Bildungsbauten.
Die Museumslandschaft in der einst so glänzenden Kulturstadt Köln hingegen bleibt ein Sorgenkind. Viele Häuser sind entweder ganz geschlossen oder im Interim, Sanierungen ziehen sich über Jahrzehnte, Neubauten werden auf die lange Bank geschoben. Selbst das Museum Ludwig und die Philharmonie mussten in dieser Woche ungeplant für mehrere Tage schließen, wegen technischer Probleme.
Die größte Krise ihrer Amtszeit bewältigte Reker dagegen weitgehend mit Bravour, jedenfalls mit höchstem persönlichem Einsatz, der sie viel Kraft kostete: Die Corona-Pandemie legte zwar ab März 2020 die Millionenstadt vollständig lahm, die Bilder der völlig menschenleeren Innenstadt sind unvergessen. Doch fast vom ersten Tag an zog der eilends zusammengesetzte Krisenstab ein wirkungsvolles Management auf, richtete in aller Eile die ersten Testzentren ein und sorgte später durch eine Mischung aus gigantischen Impfzentren in der Messehalle und dezentralen, aufsuchenden Impfangeboten in den Stadtteilen für eine wirksame Bekämpfung der Pandemie, die bundesweit Anerkennung fand.
Engagierter Umgang mit Flüchtlingskrisen
Eine klare Position bezog Reker im Umgang mit den Flüchtlingswellen, von denen es gleich mehrere gab. Den Satz „Wir schaffen das“ verteidigte sie stets, in der Flüchtlingskrise ab 2015 stand sie fest an der Seite der Bundeskanzlerin, allen Anfeindungen zum Trotz warb sie für einen positiven Umgang mit all jenen, die kamen und die eilends eingerichteten Notunterkünfte füllten.

Die Friedensdemo des Festkomitees auf dem Zugweg des Rosenmontagszugs am 28. Februar 2022.
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Das galt auch dann wieder, als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einfiel. Der Rosenmontagszug, er sollte pandemiebedingt im Stadion stattfinden, wurde kurzerhand abgesagt und zur Friedensdemonstration umfunktioniert, selbstverständlich mit Henriette Reker an der Spitze.
Ihr konsequenter Umgang mit den Ratsmitgliedern von rechtsaußen speiste sich aus der gleichen Haltung, die ihr weit über Köln hinaus Bekanntheit eintrug. Dass sie in einer Zeit abtritt, in der Offenheit und Vielfalt, Diversität und Integration – lange Markenzeichen Kölns – nicht mehr uneingeschränkt gefragt sind, in der die Debatten in ganz andere Richtungen gehen, wird sie persönlich schmerzen.
Reker bleibt Köln mit Herz verbunden
Denn sie hat den Job nicht verwaltet, sie hat ihn gelebt. Mit all seinen Höhepunkten, aber auch mit allen Schattenseiten: Arbeit fast rund um die Uhr, weitgehende Aufgabe des Privatlebens, ständig in der Kritik, Zielscheibe für Beleidigungen jeder Art, für Beschimpfungen und Morddrohungen. Sie hat sich dem gestellt, nie versteckt, eben immer wieder Haltung gezeigt. Am Ende kokettierte sie gar lange mit einer erneuten Kandidatur, es wäre die dritte gewesen. Sie wolle damit die Parteien zwingen, sich Mühe bei der Kandidatenkür zu geben, so ihre offizielle Lesart.
Doch wenn Amt und Person so intensiv verwachsen, fällt die Trennung eben schwer. Mit dem Vorsitz des Fördervereins für die romanischen Kirchen hat sich Henriette Reker nun eine Aufgabe gesucht, die sie auch weiterhin fordern wird. Eine echte Herzenssache sei dieses Engagement, sagte Reker, die im Dezember 69 Jahre alt wird.
Ihre Stimme wird man also weiterhin hören in Köln. Und wer wäre besser für den Job geeignet, als die in Bickendorf geborene und in Lindenthal aufgewachsene Herzenskölnerin Reker? Die, wie ihre 97-jährige Lehrerin aus der Liebfrauenschule anlässlich ihrer Wahl in den Vorsitz sagte, vermutlich als Einzige alle romanischen Kirchen der Stadt in alphabetischer Reihenfolge aufzählen kann.


