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Kann Gebäck rassistisch sein?Das Problem mit den Kölner „Mohrenköpfen“

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Schokokuss

Die Konditorei Fromme verkauft ganzjährig „Mohrenköpfe“ (Symbolbild)

Köln – Ein Kölner Bäcker bietet zur Karnevalszeit „Mohrenköpfe“ mit Verkleidung an: dicke Lippen, Knochen im Haar, lustige Hütchen. Ein Foto davon landet im Internet, das Wort Rassismus macht die Runde (hier lesen Sie mehr). In Tausenden Kommentaren verlangen Menschen, die Backware aus dem Angebot zu nehmen. Andere wiederum sehen kein Problem und fragen sich, woher die Empörung kommt. Was genau ist denn nun das Problem mit dem verkleideten Karnevalsnaschwerk? Wir haben die häufigsten Fragen und Argumente gesammelt.

Gebäck kann doch nicht rassistisch sein!

Nein, das Gebäck ist nicht rassistisch – und noch dazu wirklich lecker. Das problematische am Gebäck ist auch nicht die Schokolade oder seine dunkle Farbe. Problematisch ist die Tatsache, dass die Dekoration sich gewisser Stereotype bedient: dicken Lippen, Knochen im Haar, Fez auf dem Kopf. In dieser Karnevalsaufmachung soll der Bisquitballen aussehen wie ein lustiger „Schwarzer“.

Die Deko ist doch lustig und schön!

Schön im Sinne von kunstvoll gearbeitet ist sie sicher. Aber das „lustige“ Bild vom „schwarzen Mann“ (oder der „schwarzen Frau“) entstammt der Kolonialzeit und ist durch weiße Menschen propagiert worden, um im Rahmen von Rassentheorien die Abgrenzung zur „schwarzen Rasse“ zu verdeutlichen: „Der Schwarze“, das war der Kulturlose, der Ungebildete, der Unterlegene. Er trug keinen Frack, keinen Zylinder, sondern Lendenschurz und Knochenschmuck. Er war nicht zivilisiert. Er hatte keine Herrscher sondern Häuptlinge, keine Gesellschaften sondern Stämme. Er war der Wilde aus dem Busch.

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Dieser Wilde war weder eine reine Fantasiefigur, noch ein realer Mensch. Er war ein Stereotyp, gedacht zur Einheitlichmachung und Entmenschlichung einer eigentlich völlig heterogenen „Gruppe“, die von außen, von der europäischen weißen Mehrheitsgesellschaft, über vermeintlich verbindende Merkmale wie Hautfarbe und angebliche Kulturlosigkeit als ein einziges einheitliches „Anderes“ wahrgenommen wurde. Die Bildung dieser Stereotype bildete im Kolonialismus die Grundlage für die Legitimierung, die vermeintlich primitive „Rasse“ zu unterdrücken und auszubeuten. Rassentheorie wird heute als rassistisch erkannt.

Aber das war damals, wir denken doch heute nicht so!

Sind also der Hersteller des Backwerks und Kunden, die es kaufen automatisch Rassisten? Die Antwort lautet: Nein. Das macht die verwendeten Stereotype in sich aber nicht weniger rassistisch. Was Kritiker verlangen ist, dass Käufer und Verkäufer sich die Fragen stellen: Warum halten wir an solchen Bildern fest? Warum finden wir das lustig? Und muss das heute wirklich noch sein?

Rassismus existiert. Er ist genauso wenig wie Antisemitismus eine Erfindung vermeintlich Betroffener, und er wird nicht allein über Intention definiert. Menschen können Rassistisches tun und sagen, ohne damit Böses zu meinen oder andere erniedrigen zu wollen. Dass ein Bäcker niemandem etwas Böses will, wenn er verkleidete Backware anbietet, negiert nicht die Historie der Unterdrückung, die durch die verwendeten Stereotype evoziert wird.

Dann ist der Berliner auch rassistisch!

Gerne wird gefragt: Ist der „Berliner“ dann auch rassistisch? Wären Lederhosen und bayrischer Hut rassistisch? Die simple Antwort ist: Nein. „Berliner“ und „Bayern“ werden nicht aufgrund von vermeintlich äußeren Merkmalen einer vermeintlichen Rasse zugeordnet, wurden historisch nicht von der Mehrheitsgesellschaft aufgrund ihrer Hautfarbe und anderer körperlicher Merkmale unterdrückt und verfolgt.

Wer fragt, ob er sich als Deutscher auch diskriminiert fühlen darf, vergisst: Auch die Persons of Color, die in diesem Fall Rassismus anprangern, sind Deutsche. Eben nur nicht „weiß“. Sich in den USA aufgrund seiner Nationalität den Spitznamen „Krauts“ anhören zu müssen, ist nicht dasselbe, wie sein Leben lang systematisch aufgrund seines Aussehens oder seiner vermeintlichen „Wurzeln“ diskriminiert zu werden und sich damit in eine Jahrhunderte alte Tradition der Unterdrückung und Diskriminierung einzureihen.

Darf man denn gar nichts mehr sagen?

Bei der aktuellen Kritik an den Kölner Backwaren geht es nicht um ihren Namen, sondern um ihre Dekoration. Aber auch die Diskussion über die Wörter „Negerkuss“ und „Mohrenkopf“ kocht wieder hoch. Beide Wörter verschwinden zusehends aus dem Sprachgebrauch, auch wenn viele Menschen weiter daran festhalten.

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Die Wörter werden als problematisch angesehen, weil ihnen eine rassistische Konnotation zugesprochen wird. Weder „Mohr“ noch „Neger“ wurden historisch durchgängig als wertungsfreie Begriffe verwendet. Sie bezeichneten nicht nur „eine dunkle Hautfarbe“ sondern transportierten ein vermeintliches Konzept von „Menschen mit dunkler Hautfarbe“, das oft herabwürdigend war. Viele Firmen nennen ihre Produkte deshalb längst anders: Der Sarotti-Mohr ist der Sarotti-Magier, der Negerkuss ist der Schokokuss.

Ich nenne das trotzdem weiter „Negerkuss“!

Man ist nicht automatisch Rassist, weil man an gewohnten Begriffen festhält. Doch genauso wie bei der Dekoration der Backwaren kann man sich fragen: Muss ich das wirklich und es das wert? So oder so wird das Festhalten den Sprachwandel nicht aufhalten. „Daß“ wird heute mit doppeltem „s“ geschrieben, „Schwuchtel“ ist eine Beleidigung und in einigen Generationen wird niemand mehr wissen, was mit dem Wort „Negerkuss“ gemeint ist. Sprache ändert sich.

Früher war das doch auch kein Problem!

Doch, auch früher war das ein Problem, man hat nur nicht in diesem Ausmaß darüber gesprochen. Höhere Sensibilität für schwierige Fragen bedeutet nicht, dass Probleme aus dem Nichts geschaffen werden. Einst war es normal, dass Frauen nicht wählen durften und man Kinder übers Knie gelegt hat.

Schwule Männer nannte man Schwuchteln, Zeichnungen von Juden mit riesiger Nase waren „lustig“. Das heißt nicht, dass es richtig war, als sich noch niemand darüber beschwert hat. Bewusstsein entwickelt sich, Diskussionen über Normen und Tabus sind müßig, und die Grenzen werden in jeder Generation neu ausgehandelt. Traditionen sind etwas Schönes. Doch nicht alles muss so bleiben, nur weil es „schon immer so war“.

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