Nach Razzia im Erzbistum KölnVerfahren, Vorwürfe, Widerspruch – Die wichtigsten Fragen im Fall Woelki

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Kardinal Rainer Maria Woelki bei einem Gedenkgottesdienst für den verstorbenen Papst Benedikt XVI. im Kölner Dom. (Archivfoto)

Kardinal Rainer Maria Woelki bei einem Gedenkgottesdienst für den verstorbenen Papst Benedikt XVI. im Kölner Dom. (Archivfoto)

Welche Ermittlungsverfahren führt die Staatsanwaltschaft gegen Woelki, was sagt er selbst, wie lauten die Vorwürfe? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat bei ihren Ermittlungen gegen Kardinal Rainer Maria Woelki mehrere Räumlichkeiten unter anderem im Erzbistum durchsuchen lassen. Die Aktion laufe seit 8 Uhr an sechs Orten, teilte die Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Ziel der Durchsuchungen war unter anderem die Sicherstellung von Dokumenten, die im Zusammenhang mit Äußerungen Woelkis stehen, in denen er laut Vorwürfen nicht die Wahrheit gesagt haben soll. Das teilten Staatsanwaltschaft und Polizei Köln mit.

Welche Ermittlungsverfahren führt die Staatsanwaltschaft Köln gegen Woelki, was sagt er selbst, wie lauten die Vorwürfe genau? Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

Welche Verfahren werden gegen Kardinal Rainer Woelki geführt?

Die Staatsanwaltschaft Köln führt inzwischen mehrere Ermittlungsverfahren gegen den Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Woelki.

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In zwei Fällen geht es um den Verdacht einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Eine Falschaussage an Eides statt ist strafbar. Die Mindeststrafe liegt bei drei Monaten Freiheitsstrafe, die Höchststrafe bei fünf Jahren.

Im Mai kam ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Meineids hinzu. Ein Meineid ist ein Verbrechen, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geahndet wird. In minder schweren Fällen bewegt sich der Strafrahmen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren.

Was sind die Vorwürfe gegen Woelki?

Fall 1 und 2: Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Meineid und uneidliche Falschaussage

Es geht hier um Woelkis Kenntnissen von Missbrauchsvorwürfen gegen einen Priester, den er 2017 in ein herausgehobenes Amt beförderte.

Woelki geht presserechtlich gegen Berichte der „Bild“-Zeitung vor, dass er bei der Beförderung Kenntnis von bestimmten belastenden Dokumenten gegen den Priester gehabt habe. Konkret handelt es sich erstens um ein Polizei-Protokoll nach dem sexuellen Kontakt des Geistlichen mit einem jugendlichen Prostituierten am Kölner Hauptbahnhof im Jahr 2001. Die Polizei warnt darin vor einem weiteren Einsatz des Priesters in der Jugendarbeit. Ein zweites Dokument ist das Protokoll einer bistumsinternen Vernehmung des Priesters aus dem Jahr 2010 zu den Anschuldigungen gegen ihn.

Vor dem Landgericht Köln bekam Woelki Ende April 2023 vorläufig Recht. Die „Bild“-Zeitung darf nicht mehr schreiben, dass Woelki die beiden Dokumente gekannt habe. Der Springer-Verlag hat allerdings Berufung gegen das Urteil angekündigt.

Im Zuge des Verfahrens musste Woelki am 28. März persönlich vor dem Landgericht Köln erscheinen und seine Aussage am Ende beeiden. Darin erweiterte er seine bisherigen Angaben zum Fall des beförderten Priesters. Er erklärte zum einen, er habe die beiden strittigen Dokumente „bis heute nicht gesehen“. Zudem habe ihm „bis heute“ niemand etwas von konkreten Vorwürfen berichtet, die in dem Gesprächsprotokoll von 2010 enthalten waren.

Aufgrund dieser von Woelki beeideten Aussage erstattete eine Privatperson Strafanzeige wegen des Verdachts auf Meineid. Denn in einem persönlichen Brief an den Präfekten der Glaubenskongregation im Vatikan, Kardinal Luis Ladaria, vom November 2018 sind die Vorwürfe gegen den Priester detailliert geschildert – unter Bezugnahme auf das Gesprächsprotokoll.

Nach der Anzeige und der Einleitung von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurde das Protokoll einer zweitägigen Sitzung der Kreis- und Stadtdechanten Ende September 2022  bekannt. In der Runde konfrontierten die Teilnehmenden Woelki mit dem Fall des beförderten Priesters und sprachen ausführlich mit ihm darüber. Woelki berichtete am zweiten Tag überdies von der Antwort aus Rom, die „einen weiteren Recherche-Auftrag“ enthalten habe. Zudem betonte er, dass in seinem Schreiben nach Rom „der Vollständigkeit halber“ auch die „unbewiesenen Gerüchte aufgeführt“ seien.

Schon vor den Meineid-Ermittlungen leitete die Staatsanwaltschaft auch zu diesem Fall ein Verfahren wegen des Verdachts einer Falschaussage an Eides statt ein. Grundlage dafür war die Aussage der früheren Sekretärin von Kardinal Meisner vor Gericht, dass sie Woelki auf seinen eigenen Wunsch um das Jahr 2010 herum in einem vertraulichen Telefonat ausführlich über den Lebenswandel und übergriffiges Verhalten des Geistlichen informiert habe, den der Kardinal dann 2017 beförderte.

Was sagt Woelki zu den Vorwürfen?

Woelki bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe samt und sonders. Er beharrt auf der Stichhaltigkeit seiner Aussagen – sowohl in den eidesstattlichen Versicherungen als auch in der von ihm beeideten Aussage vor dem Landgericht Köln, das ihn in seinem Presserechtsstreit mit der „Bild“-Zeitung als Verfahrensbeteiligten vernommen hatte.

Den Meineid-Vorwurf lässt Woelki mit der Erklärung zurückweisen, er habe seinen Brief nach Rom aus dem Jahr 2018 zwar unterschrieben, könne sich aber nicht erinnern, ihn gelesen zu haben. Auch sei es heute für ihn nicht mehr nachvollziehbar, ob dem Schreiben nach Rom zum Zeitpunkt der Unterschrift der umfangreiche Anhang beigefügt war, der sowohl den Polizeivermerk von 2001 als auch das Gesprächsprotokoll von 2010 enthielt.

Zum Protokoll der Sitzung mit den Kreis- und Stadtdechanten im September 2022 hat das Erzbistum eine Stellungnahme mit dem Hinweis abgelehnt, es handele sich um vertrauliche Unterlagen, die nicht kommentiert würden.

Zum Bericht von Meisners Sekretärin über ihr Telefonat mit Woelki wegen des später beförderten Priesters erklärte der Kardinal in seiner beeideten Aussage im März, er könne sich nicht an ein solches Telefonat erinnern.


Fall 3: Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf uneidliche Falschaussage

Gegen den früheren „Sternsinger“-Präsidenten Winfried Pilz (gestorben 2019) werden seit längerem Missbrauchsvorwürfe erhoben. Woelkis Vorgänger, Kardinal Joachim Meisner, verhängte eine Kirchenstrafe sowie Kontaktbeschränkungen gegen den Geistlichen. Die Information hierüber gab das Erzbistum aber jahrelang nicht an das Bistum Dresden-Meißen weiter, wo Pilz bis zu seinem Tod als Ruhestandsgeistlicher lebte – eine klare Pflichtverletzung. 2022 holte Woelki die Meldung nach.

Er wehrt sich presserechtlich gegen die Behauptung, dass er von den Vorwürfen gegen Pilz gewusst und die Informationen darüber bewusst zurückgehalten habe. Im Zuge der Rechtsstreitigkeiten über die Berichterstattung zum Fall Pilz gab Woelki im August 2022 eidesstattliche Versicherungen ab, denen zufolge er vor Ende Juni 2022 nie mit dem Fall Pilz befasst worden sei. Dass Kardinal Meisner den Fall pflichtwidrig nicht nach Dresden-Meißen gemeldet hatte, sei ihm unbekannt gewesen. Daher habe er auch keinen Anlass gehabt, selbst tätig zu werden oder sich gar aktiv gegen eine Nachmeldung zu entscheiden.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Köln noch im Oktober 2022 keinen Anlass für Ermittlungen wegen des Verdachts einer strafbaren Falschaussage Woelkis zu seinen Kenntnissen im Fall Pilz gesehen hatte, revidierte sie diese Einschätzung im November 2022 nach einem Interview der Bistumsmitarbeiterin Hildegard Dahm.

Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ widersprach die frühere Sekretärin des Personalchefs im Erzbistum Woelkis Darstellung, er sei mit dem Fall Pilz erst 2022 befasst worden. Dahm konnte auf eine im Jahr 2015 eigens für Woelki erstellte Liste mit 14 Täternamen verweisen – unter ihnen auch der von Pilz. Sie habe Woelki zweifelsfrei mit dem Fall Pilz befasst, erklärte sie. Die Liste sei dem Kardinal von ihrem Chef auch übergeben worden.

Was sagt Woelki zu den Vorwürfen?

Auch hier betont Woelki, seine eidesstattliche Versicherung sei zutreffend. Was die für ihn 2015 erstellte Täterliste betrifft, könne er sich „nicht daran erinnern, dass ich diese Liste erhalten habe, dass ich diese Liste zur Kenntnis genommen, also angesehen habe.“ Somit könne er sich auch nicht daran erinnern, dass er auf dieser Liste den Namen Pilz gesehen habe.

Wie reagiert Woelki auf die Durchsuchung?

Journalisten vor Woelkis Wohnsitz.

Journalisten vor Woelkis Wohnsitz.

Mit Blick auf die Razzia vom 27. Juni weist das Erzbistum auf die Unschuldsvermutung hin. Bis zum Abschluss der Ermittlungen, die erfahrungsgemäß geraume Zeit in Anspruch nähmen, „bitten wir die Öffentlichkeit, eine ergebnisoffene Untersuchung nicht zum Anlass zu nehmen, Vorverurteilungen auszusprechen“, erklärte eine Sprecherin.

Gegen die Durchsuchung legten Woelkis Rechtsvertreter dem Vernehmen nach Widerspruch ein. Die Frankfurter Strafrechtlerin Justine Diebel bewertete dies als üblich. Es handele sich um einen Rechtsbehelf, von dem „rege Gebrauch gemacht wird“, sagte die Anwältin und Lehrbeauftragte der Goethe-Universität dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Schritt gebe „keinerlei Aufschluss über den Ausgang der Ermittlungen“. Am Ende gehe es oft um die Frage der Verwertbarkeit beschlagnahmter Dokumente vor Gericht.

Wie ist die Durchsuchung juristisch einzuschätzen?

Der Mainzer Strafrechtler Sebastian Sobota spricht von einem außergewöhnlichen, bemerkenswerten Schritt. Zwar liege die rechtliche Schwelle für eine Durchsuchung in Deutschland eher niedrig. Es genüge ein Anfangsverdacht mit „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten“, die eine Straftat aus Sicht der Ermittler möglich erscheinen lassen. Allerdings müsse vor der Anordnung auch die Verhältnismäßigkeit geprüft werden.

Auch Diebel bezeichnete die Durchsuchung als spektakulär. „Gerade vor dem Hintergrund, dass Verfahren wegen Meineids heutzutage eine Seltenheit sind und kriminalpolitisch sehr an Bedeutung verloren haben, ist das Vorgehen der Staatsanwaltschaft brisant“, sagte Diebel. Im Jahr 2021 habe es in Deutschland nur 62 Fälle gegeben, in denen es zu einer Verurteilung wegen Meineids kam.

„Wer der Beschuldigte ist, ist von Rechts wegen zunächst einmal unerheblich“, erläuterte Sobota. Trotzdem sei von einer erheblichen Hemmschwelle auszugehen, wenn sich eine Durchsuchung gegen eine so prominente Persönlichkeit wie den Erzbischof von Köln richte.

„Die Außenwirkung und die öffentliche Aufmerksamkeit spielen bei einem solchen Eingriff in die Privatsphäre natürlich eine Rolle“, erläuterte der Jurist, der an der Uni Mainz tätig ist. In der Vergangenheit habe es immer wieder den Vorwurf gegeben, die staatlichen Ermittler fassten die Kirchen und ihre führenden Vertreter mit Samthandschuhen an und verzichteten auf Zwangsmaßnahmen, die „sonst nahegelegen hätten“.

Auch angesichts dessen müsse man davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft sich jetzt „ihrer Sache ziemlich sicher“ sei, so Sobota weiter. Der Hinweis des Erzbistums, dass eine Durchsuchung auch der Sicherstellung entlastenden Materials diene, sei zwar im Prinzip zutreffend. „Typischerweise“ bräuchte es dafür aber gerade keine Durchsuchung. Vielmehr habe der Beschuldigte ein ureigenes Interesse, den Ermittlern von sich aus alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die einen Tatvorwurf widerlegen könnten.

Woelki habe zwar bei der Einleitung der Ermittlungen gegen ihn volle Kooperation zugesichert. „An dieser Bereitschaft zur Kooperation hat die Staatsanwaltschaft aber offenkundig Zweifel“, sagte Sobota.

Für eine Anklage-Erhebung, erläuterte Diebel, müsse die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht annehmen, und  eine Prognose für eine Verurteilung anstellen. Wenn nach Einschätzung der Kölner Behörde die Wahrscheinlichkeit überwiege, dass Woelki verurteilt wird, werde sie Anklage erheben. Andernfalls werde das Verfahren eingestellt.

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