Corona an der Kölner Uniklinik„Deutschland hat das beste Gesundheitssystem der Welt“

Lesezeit 6 Minuten
Universitaetsklinik_64506689

Die Uniklinik Köln.

  • Wie erlebt die Kölner Uniklinik die Corona-Krise – medizinisch, organisatorisch und finanziell?
  • Die Geschäftsführer Edgar Schömig und Damian Grüttner sprechen mit uns über die aktuelle Situation und die Folgen für die Uniklinik.
  • Außerdem äußern sie sich zur Funktionsweise des deutschen Gesundheitssystems in der Krise.

Köln – Herr Prof. Schömig, wie sieht es aktuell auf der Corona-Station der Uniklinik aus?

Edgar Schömig: Wir haben momentan knapp unter 20 Patienten, mit leicht abnehmender Tendenz. Die Hälfte der Patienten muss beatmet werden. Das Teuflische an der Covid-19-Erkrankung ist, dass einige Menschen schnell von einem scheinbar wenig beeinträchtigten Zustand in die Intensiv- und Beatmungspflicht fallen können.

Die rückgängigen Zahlen der schwer Erkrankten sind auf den Lockdown zurückzuführen?

Alles zum Thema Universitätsklinikum Köln

Schömig: Zweifelsohne. Wenn es nicht zu den drastischen Maßnahmen auf Bundesebene gekommen wäre, befänden wir uns jetzt mitten in einer nationalen Katastrophe. Wir standen zirka zwei bis drei Wochen vor dieser Katastrophe und haben gewaltiges Glück gehabt, dass die Maßnahmen gegriffen haben. Ein großes Lob gebührt den Menschen, die die Kontaktsperren angenommen und ernst genommen haben – das hat uns vorläufig gerettet.

Aber von Entwarnung kann keine Rede sein?

Schömig: Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir eine Basisreproduktionsrate des Virus von knapp unter eins haben, sich das aber ganz leicht ändern kann: Kommen wir wieder über die Reproduktionsrate eins, geraten wir wieder in ein exponentielles Wachstum – es ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Wir leben in einer verantwortungsvollen Zeit für jeden einzelnen, von Entwarnung kann keine Rede sein. Es geht darum, die Abstandsregeln strikt einzuhalten und genau abzuwägen, wo gelockert werden kann – und wo nicht. 

Zur Unsicherheit trägt bei, dass niemand weiß, wie viel Prozent der Bevölkerung die Infektion schon durchlaufen haben. Ist es denkbar, für eine Großstadt wie Köln eine Studie wie in Heinsberg durchzuführen? Schömig: Im Moment ist das so noch nicht denkbar. In Heinsberg gab es eine Sondersituation mit vielen Infizierten, die Publikation liegt uns aber noch nicht vor. Wenn jemand zu uns kommt und glaubt, die Krankheit durchgemacht zu haben, weil in seinem Umfeld vor kurzem viele eine Erkältung hatten – der ist ziemlich sicher negativ. Die Durchseuchung der Bevölkerung ist noch außerordentlich gering – und durch derzeit zur Verfügung stehende Tests nicht sinnvoll zu messen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Woran liegt das – sind die Tests so unsicher? Warum sollte man nicht Menschen, die jetzt wieder arbeiten gehen, auf Antikörper testen?

Weil es noch keine ausreichende Antikörperbasis in der Bevölkerung gibt. Im Moment wären solche Antikörpertests sogar brandgefährlich. Warum? Die Genauigkeit der im Moment verfügbaren Antikörper kombiniert mit der noch relativ geringen Durchseuchung der Bevölkerung führt dazu, dass die meisten positiven Ergebnisse falsch sind. Ich sehe mit Schrecken, wie diese Tests in einigen Medien und in sozialen Netzwerken gerade beworben werden.

Wie viele Antikörpertests bringen denn ein falsches Ergebnis?

Wenn wir einen Antikörpertest mit einer Trefferquote, die wir Spezifität nennen, von etwa 98 Prozent haben, ist das für einen solchen Test schon sehr gut. Wenn die Menschen aber nur die Wahrscheinlichkeit von einem halben Prozent haben, die Infektion durchgemacht zu haben, dann ist von vier positiven Tests nur einer richtig – die restlichen drei Personen besuchen unter der falschen Annahme, die Krankheit nicht verbreiten zu können, ihre gefährdeten Großeltern. Wenn die Durchseuchung hoch ist, sieht das anders aus. Wir bräuchten einen Antikörpertest mit einer Trefferquote von weit über 99 Prozent – den gibt es aber leider noch nicht. 

Wie haben sich die Belegungszahlen in der Uniklinik durch die Krise in den vergangenen Wochen entwickelt?

Schömig: Wir haben bereits am 13. März, als in der Politik noch nicht die Rede davon war, auf einen Corona-Modus umgeschaltet – das heißt, Behandlungen ohne Gesundheitsgefährdungen verschoben. Bei 50 Prozent der Patienten waren die Eingriffe nicht verschiebbar. So konnten wir einerseits die notwendigen Kapazitäten für Covid-19-Patienten schaffen – und andererseits die Zahl von Patienten, Mitarbeitern, Besuchern und Studenten im Klinikum reduzieren. Weil ein Klinikum ein hochgefährdetes Areal für einen Ausbruch ist, mussten wir das schon aus Sorgfaltspflicht tun. 

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat den Eindruck, dass weniger Menschen mit dem Verdacht auf Schlaganfall und Herzinfarkt in die Kliniken kommen – weil sie verunsichert sind. Lässt sich auch für Köln so eine traurige Entwicklung feststellen?

Schömig: Die Sorge ist berechtigt, wir können das für Köln allerdings nicht zahlenmäßig abschätzen. Wir und die anderen Kölner Krankenhäuser haben auch in den letzten Wochen zahlreiche Schlaganfälle und Herzinfarkte behandelt. Wir fragen in einer solchen Situation auch nicht lange nach, ob der Patient unter normalen Umständen schneller zu uns gekommen wäre. Wenn man das aber systematisch in Deutschland untersuchen würde – die Dauer zwischen Symptombeginn und Behandlung im Krankenhaus – würde ich darauf wetten, dass diese Zeitspanne größer geworden ist. Und das wäre ein sehr negativer Effekt. Wir haben unsere Kapazitäten für Nicht-Covid-19-Patienten bereits seit einiger Zeit wieder erhöht, um eben diese Effekte so gering wie irgend möglich zu halten – allerdings wegen der andauernden Krise gegenwärtig nur auf 80 Prozent des normalen Niveaus, weil wir die Dynamik der Entwicklung nicht voraussagen können.

Wie wirkt sich die Krise auf die Finanzen aus?

Damian Grüttner: Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Anpassung an die Krise, bei einer Belegung von mitunter nur 50 Prozent, sind für die Uniklinik Köln enorm. Wir liegen normalerweise bei rund 87 Prozent. Dazu kommen erhebliche Ausfälle bei ambulanten Behandlungen. Das bedeutet, uns fehlen Erlöse von 20 bis 30 Millionen Euro pro Monat. Demgegenüber steht eine Refinanzierung nach dem Krankenhausentlastungsgesetz zwischen sechs und neun Millionen Euro – da klafft also noch eine riesige Lücke. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen reichen nicht aus, um unsere Erlösausfälle und Mehrkosten zu decken. Von der Politik kam die klare Aussage, dass die wirtschaftlichen Folgen ausgeglichen werden – darauf vertrauen wir, das erwarten wir auch.

Wo fallen Mehrkosten vor allem ins Gewicht?

Grüttner: Allein bei den Schutzmaterialien sind das acht Millionen Euro – zum einen durch den Mehrbedarf, vor allem aber auch durch den Preisanstieg. Der Mund-Nasen-Schutz kostet normalerweise nur wenige Cent, in der Krise hat sich der Preis mehr als verzehnfacht. Wir gehen davon aus, dass die Erlösausfälle und Mehrkosten in diesem Jahr für uns im dreistelligen Millionenbereich liegen werden.

Wie könnte den Ängsten der Menschen in den kommenden Monaten am besten begegnet werden – sie also auch ermutigen, zum Arzt und ins Krankenhaus zu gehen?

Schömig: Ich würde mir wünschen, dass bundeseinheitlich weiter die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, um das Risiko der Epidemie so stark wie möglich zu reduzieren. Lockerungen müssen mit weiteren Schutzmaßnahmen einher gehen. Ich würde mir eine bundesweite Mundschutzpflicht und eine App wünschen, die ein sehr schnelles Nachverfolgen der Infektionsketten ermöglicht. Menschen können schon vor Infektionsbeginn den Erreger weitergeben – eine App würde helfen, diese Betroffenen rechtzeitig zu isolieren und die Epidemie auszutrocknen.

Da klingt etwas Kritik an unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern durch.

Schömig: Eine Beurteilung steht mir nicht zu. Es ist auf Bundes- und Landesebene viel richtig gemacht worden. In dieser Krise zeigt sich, dass Deutschland das beste Gesundheitssystem der Welt hat. Darauf können wir sehr stolz sein. Wir müssen uns aber auf einen Marathonlauf einstellen – bis es einen wirksamen Impfstoff gibt, wird es vermutlich deutlich mehr als ein Jahr dauern. 

KStA abonnieren