Streit im Drach-Prozess eskaliertVerteidiger wirft Richter Lüge vor – Zeuge nennt ihn Kleinkind

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Der Vorsitzende Richter Jörg Michael Bern (l.) und Verteidiger im Drach-Verfahren Wolfgang Heer.

Der Vorsitzende Richter Jörg Michael Bern (l.) und Verteidiger im Drach-Verfahren Wolfgang Heer.

Im Strafprozess gegen Reemtsma-Entführer Thomas Drach gerieten die Beteiligten aneinander. Auch ein Zeuge aus den Niederlanden mischte munter mit.

Wie die Kesselflicker zofften sich am Freitag die Beteiligten am Strafverfahren gegen Thomas Drach und überschatteten damit den gesamten Verhandlungstag. Im Mittelpunkt der Streitigkeiten stand wie so oft der Kölner Rechtsanwalt Wolfgang Heer. Dessen verbale Spitzen lockten den Vorsitzenden Richter Jörg Michael Bern regelmäßig aus der Reserve. Ein niederländischer Zeuge kommentierte das Verhalten des Verteidigers so: Heer führe sich auf wie ein kleines Kind.

Köln: Videoschalte zu Polizisten nach Amsterdam

Anfang März hatte ein niederländischer Polizeibeamter den Zeugenstand in Köln entnervt verlassen – und führte das laut seiner Aussage unangemessene Verhalten Heers als Grund an. Da ein Zeuge aus dem Ausland nicht zur Aussage vor einem deutschen Gericht gezwungen werden kann, einigten sich Richter und Polizist, die Vernehmung per Videoübertragung fortzusetzen. „Guten Morgen nach Amsterdam“, hieß es daher seitens des Richters zu Beginn des Prozesstages.

Auf den Leinwänden in Saal 112 des Landgerichts waren der niederländische Beamte, eine Richterin und eine Dolmetscherin in einem Büro in der niederländischen Hauptstadt zu sehen. Als der Kölner Richter Bern noch die Technik überprüfte und die niederländischen Kollegen fragte, ob sie ihn verstehen, schaltete sich bereits Verteidiger Heer ein. Mehrfach fragte er, warum nicht alles übersetzt werde, da die Hauptverhandlung ja offenbar schon begonnen habe. Das verneinte Bern.

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Kölner Richter reagiert auf Lügenvorwurf: „Dreistes Stück“

„Die Hauptverhandlung hat noch nicht begonnen, jetzt machen Sie ihr Mikro aus und sind mal still“, sagte Bern in Richtung des immer weiter insistierenden Verteidigers, der Drachs Mitangeklagten verteidigt. Als ein weiterer Anwalt mehrere Anträge ankündigte, schaltete sich Heer erneut ein: „Wird das jetzt noch übertragen?“ „Ja, warum auch nicht?“, entgegnete Bern, woraufhin Heer laut wurde:. „Da ist direkt wieder ein Vorwurf drin, verdammt noch mal.“

„Ich rüge das ausdrücklich, Sie unterbrechen mich hier permanent, seien Sie still“, wies Richter Bern den Verteidiger zurecht. Heer holte zum Gegenschlag aus: „Das ist gelogen.“ „Ach, das ist gelogen?“, fragte Bern und schien überrascht. „Das kann man jetzt mal langsam protokollieren“, kommentierte das Staatsanwältin Anja Heimig. Richter Bern legte nach: Das ist ein dreistes Stück. Sie werfen mir hier Lügen vor, besinnen Sie sich mal auf ihre Rolle als Organ der Rechtspflege.“

Köln: Verteidiger bezeichnete Richter als „Entenmama“

Immer wieder gerieten der Verteidiger und der Vorsitzende in der Vergangenheit aneinander. Einmal bezeichnete Heer den Richter als „Entenmama“, dem „die Küken“ hinterher watscheln. Gemeint war eine Szene, als Bern plötzlich von seinem Platz aufgestanden und ins Beratungszimmer gegangen war. Dabei ist es ein völlig normaler Vorgang, dass die beisitzenden Richterinnen und Schöffinnen den Vorsitzenden begleiten.

Für Gelächter aus Richtung der Staatsanwältinnen sorgte Heer, als er dem Richter vorwarf, ihn so aus dem Konzept gebracht zu haben, dass er eine Pause brauchte. Bern lehnte das ab. Nachdem die Befragung des niederländischen Polizisten nach mehreren Unterbrechungen endlich starten konnte, nahm Verteidiger Heer diesen unter Beschuss. Der Anwalt wollte wissen, warum der Niederländer so respektlos gewesen sei, vor vier Wochen einfach aus dem Saal zu verschwinden.

Kölner Anwalt beantragte Zeugenvernehmung in Amsterdam

„Ich empfinde Sie als respektlos gegenüber dem Richter in Deutschland“, entgegnete der niederländische Beamte und brachte den Vergleich mit einem Kleinkind. „Ich beantrage, ihn zu Rügen und zur Sachlichkeit anzuleiten“, sagte Heer daraufhin zum Richter. „Er sitzt in den Niederlanden, ich gebe ihm gar nichts vor“, meinte Bern. Heer: „Und wenn der Zeuge Sie jetzt als Suppenkasper bezeichnet, was machen Sie dann?“ Der Richter trocken: „Hat er ja nicht.“

Zwischenzeitlich hatte Heer sogar beantragt, den Zeugen in Amsterdam zu vernehmen. Aber der Antrag zu einer solchen „Klassenfahrt“ mit Richtern, Staatsanwältinnen und Verteidigung fand kein Gehör. Fünfeinhalb Stunden waren bereits vergangen – dem Zeugen wurde noch kaum eine sachdienliche Frage gestellt – da klagte der Mitangeklagte von Thomas Drach unter starken Kopfschmerzen. Auf ärztlichen Rat hin wurde die Hauptverhandlung daraufhin abgebrochen.

Kölner Drach-Verfahren: Zeuge vergrault, Schöffin abgelehnt

Der Polizist hatte im Rahmen eines Rechtshilfegesuchs aus Köln mehrere Zeugen in den Niederlanden befragt. Es ging um die Fluchtautos der Raubtaten auf Geldboten, die Thomas Drach und der niederländische Mitangeklagte begangen haben soll. Der Richter fragte, ob der Polizist zu einer weiteren Videokonferenz bereit sei. „Lieber nicht“, übersetzte die Dolmetscherin. Was das heiße, fragte ein Anwalt. Der Polizist antwortete direkt und energisch auf Deutsch: „Das heißt nein!“

Während der Zeuge aus den Niederlanden nun offenbar endgültig vergrault wurde, wollte Drachs dritter Verteidiger Christian Kemperdick zum Abschluss noch eine Schöffin loswerden. Die Laienrichterin werde als befangen abgelehnt, da sie auf eine Frage von Anwalt Heer mit einem „Seufzer“ reagiert habe. Eine Absetzung erscheint aber unrealistisch: Denn tief durchatmen musste schließlich auch der Vorsitzende Richter in dem nervenaufreibenden Verfahren schon häufig.

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