Als der Kölner Arzt Kai Störring an Post Covid erkrankt, versucht er, sich selbst zu heilen. Jetzt hilft er in seiner Sprechstunde auch Patienten.
Corona-FolgenWie ein Kölner Arzt sich selbst von Post Covid heilte und nun seinen Patienten hilft
Als Kai Störring an einem Tag im April 2023 Beethovens fünftem Klavierkonzert lauscht, sickert ein bisschen Energie in ihn zurück. Und die Hoffnung auf Genesung keimt nach Monaten in der Trostlosigkeit. Es ist zum Zeitpunkt dieses frühlingshaften Musikerlebnisses noch nicht viele Wochen her, da hat ihn allein das Klappern des Geschirrs, das aus der Küche zu ihm ins abgedunkelte Schlafzimmer herüberdrang, fast in den Wahnsinn getrieben. Seine Aktivitäten waren monatelang übersichtlich: Liegen, nach Atem ringen, an die Decke starren, an guten Tagen wanderte der Blick in den Garten. Nachtruhe fand er nur mit Schlafmittel. „Es war wie Folter“, sagt Störring.
Dr. Kai Störring ist 47 Jahre alt, Hals-Nasen-Ohren-Arzt in Köln, und hat versucht, sich selbst von Post Covid zu heilen. Derzeit stehe er bei „80 bis 100 Prozent Genesung“. Seit er wieder fit genug ist zu arbeiten, versucht er auch anderen Post-Covid-Patienten wieder auf die Beine zu helfen. Etwa fünf Menschen pro Woche besuchen seine Post-Covid-Sprechstunde und sind dankbar, dass sich da jemand aus eigener Betroffenheit heraus so viel Wissen über die Krankheit angeeignet hat, das nun auch ihren Zustand verbessern kann. Selbstverständlich ist das nicht. Denn auch vier Jahre nachdem sich die ersten Menschen in Deutschland mit Corona infizierten, ist die Forschung über die Krankheit noch immer höchst ausbaufähig. „Das Geld, das in der Erforschung von Multiple Sklerose steckt, ist etwa viermal so viel wie das, was für Post-Covid investiert wird – bei derzeit gleich vielen Betroffenen“, sagt Störring. Die Anstrengungen müssten dringend intensiviert werden.
Das tückischste Symptom: Die Post exertionelle Malaise
Wer nach einer Corona-Erkrankung nicht mehr gesund wird, der landet der Definition zufolge nach drei Monaten bei Post Covid. Die Symptome sind oft unspezifisch und variabel: körperliche und mentale Erschöpfung, Schlafstörungen, Nerven- und Muskelschmerzen, aber auch neurologische Beeinträchtigungen wie Konzentrationsschwierigkeiten, Lese- oder Wortfindungsstörungen, körperliche Beeinträchtigungen wie Gewichtsabnahme, Schwitzen, Herzrasen, Atemnot.
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Am entscheidendsten ist die Post exertionelle Malaise (PEM). Hinter dem Fachbegriff verbirgt sich ein Leiden, das viele Betroffene als besonders tückisch empfinden. Auf eine körperliche oder mentale Anstrengung folgt ein Crash, der komplette Zusammenbruch. Allerdings zeitlich versetzt, manchmal Stunden, manchmal auch Tage später. „Stecker gezogen“ nennt Störring das. Als er seinen ersten Zusammenbruch erlebt, glaubt der Arzt noch, eine verschleppte Infektion würde ihn plagen. Kalte Hände, kalte Füße, Störring muss die Sprechstunde am Ebertplatz von jetzt auf gleich abbrechen, kann plötzlich nur noch liegen. Seine Frau holt ihn ab. Es folgen viele Monate Dunkelheit. Auch später, in der Reha, ereilt ihn eine schwerwiegende PEM. „Ich musste dort 45 Minuten Akten sortieren, das war Teil der Therapie. Danach habe ich einen dreiwöchigen Crash erlitten.“ Stecker raus, Füße hoch, Augen zu, Licht aus.
An Post Covid denkt Störring in diesem November vor knapp zwei Jahren noch nicht. Alle Impfungen hatte er gut vertragen, seine erste Covid-Infektion im Sommer desselben Jahres hatte ihm einige Erkältungssymptome beschert. „Aber schon nach einer Woche konnte ich wieder normal arbeiten.“ Erst im Dezember 2023 diagnostiziert Störring nach Eigenrecherche von Fachliteratur und Blogeinträgen sowie zusammen mit seinem Hausarzt, dass er an Post-Covid erkrankt sein müsse.
Sorge um Berufsunfähigkeit und Familieneinkommen überschattete Alltag
Störring zieht einen Papierbogen der Berliner Charité hervor. Unter der Überschrift „Kanadische Kriterien“ kann man darauf ankreuzen, was einem fehlt und schließlich auswerten, ob eine Myalgischer Enzephalomyalgie vorliegt - das schwerwiegendste Krankheitsbild, in das Post-Covid münden kann. „Eindeutiger Fall“, sagt Störring und malt Kreuze. „Die Symptome können durch jede Art von körperlicher oder mentaler Anstrengung oder Stress verschlechtert werden“, „Schlaf führt zu keiner Erholung“, „Gewichtsabnahme“ – zum Beispiel. Zehn Kilogramm hat Störring zu Beginn der Erkrankung abgenommen. Jede Woche einen. Ursächlich dafür sei eine Störung im Nervensystem. „Der Sympathikus fährt hoch und verbraucht unglaublich viel Energie“, so Störring.
Die Monate der Krankheit legen sich wie ein zäher Kaugummi auf Störrings Alltag. Auch seine Familie ist betroffen, denn der Arzt hat drei Kinder, das kleinste vier Jahre alt, und eine Frau. „Sie mussten ein Jahr lang viel auf mich verzichten.“ Hinzu kommen Existenzängste. Denn an Arbeit in der Praxis ist nicht zu denken. Zunächst hilft ein Glücksfall, ein Arzt, der gerade seine Praxis verkauft hat, verspricht für einige Monate einzuspringen. Als Störring im Oktober 2023 seinen bislang letzten heftigen Rückfall hat, muss er sich mit ganz neuen Gedanken auseinandersetzen. „Berufsunfähigkeit, Verkaufsgespräche, Sorge um das Familieneinkommen“.
Doch wie im Frühjahr zuvor kehrt die Kraft zurück. Nicht einfach so. Aber Störring ist Mediziner, er hat seine eigene Krankheit eingekreist, ihr aufgelauert, sie in die Mangel genommen. Er hat sich Studie um Studie durchgelesen, das Wenige, das betroffene Blogger im Internet empfehlen, an sich selbst ausprobiert. Geholfen hat ihm am Ende ein atypisches Neuroleptikum, das er sich selbst verschrieb. Ferner ein Serotoninwiederaufnahmehemmer, der eigentlich gegen Depressionen eingenommen wird – und Nikotin. „Das klingt schräg, aber ich hatte von den Erfolgen eines Patienten gelesen, der an Myalgischer Enzephalomyalgie litt und seinen Zustand damit deutlich verbessern konnte. Also habe ich es ausprobiert.“ Störring arbeitet mit Nikotinpflastern, steigert die Dosis als Nichtraucher langsam, aber schon nach dem ersten Pflaster kann er plötzlich wieder eine kurze Unterhaltung führen, er schafft 4000 Schritte täglich und lauscht Beethoven. Sein vegetatives Nervensystem gerät wieder ins Gleichgewicht.
Störring kann wieder lesen, Radfahren, mit den Kindern spielen, arbeiten
Das Leben kehrt zurück. Ausflüge mit den Kindern in den Rheinpark sind wieder möglich. Heute fährt der Mediziner wieder Fahrrad, mit der Familie reiste er in den Sommerferien nach Sardinien und in die Normandie. Er kann wieder lesen, sich auf einen Film konzentrieren. Die Nikotinpflaster hat Störring mittlerweile wieder abgesetzt, das Neuroleptikum nimmt er weiterhin ein. Seit Anfang des Jahres hat sich sein Zustand stabilisiert. Störring hat begonnen, wieder in seiner Praxis zu arbeiten.
Den Weg in die Überforderung hat er sich allerdings verboten. Pacing heißt nun die Überschrift, unter der sein Leben firmiert. Dreieinhalb Tage in der Woche empfängt er Patienten zur Sprechstunde – darunter eben auch Post-Covid-Patienten. Für sie ist er ein Glücksfall. Ein Arzt, der selbst erlebt hat, wovon er redet. Und als überwiegend Genesener Hoffnung verbreiten kann. Und vielleicht auch ein Stück Lebensklugheit. „Ich war früher sehr ehrgeizig. Heute nehme ich mir Zeit, vor allem für meine Kinder. Da habe ich einiges nachzuholen.“ Störrings ständiger Begleiter ist ein Gefühl der Dankbarkeit. „Ich freue mich wirklich jeden Tag, dass es mir so gut geht.“ Und darüber, dass die Liebe zur Musik zurückkehren konnte. An freien Nachmittagen setzt sich Störring nun selbst ans Klavier. Und übt geduldig.