Abo

„Kölner Drogenkrieg“Strafprozess gegen Schlüsselfigur hat begonnen – so positioniert sich Sermet A.

5 min
Der Angeklagte Sermet A. (r.) mit seinem Verteidiger Wolf Bonn beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Der Angeklagte Sermet A. (r.) mit seinem Verteidiger Wolf Bonn beim Prozessauftakt im Kölner Landgericht

Dem 24-jährigen Kölner droht bei einer Verurteilung die Sicherungsverwahrung.

Dem Bild des skrupellosen und hochgefährlichen Drogenbosses, das die Staatsanwaltschaft von ihm zeichnet, will der Kölner Sermet A. an diesem Montagmorgen offenbar entgegentreten. Bedächtig betritt der Mann mit Brille und Oberlippenbart den Saal 112, begleitet von einem Wachtmeister. Ruhig, fast schon zurückhaltend sitzt er auf der Anklagebank und lauscht, was ihm vorgeworfen wird. „Er ist ein sehr intelligenter junger Mann“, sagt Verteidiger Wolf Bonn über seinen Mandanten. Der 24-jährige A. gilt als die Schlüsselfigur im „Kölner Drogenkrieg“. Ihm droht die Sicherungsverwahrung.

Köln: Sermet A. will die Sicherungsverwahrung abwenden

Das Auftreten beim Prozessauftakt im Landgericht passt zu der Vorgehensweise, die Staatsanwältin Heike Nöldgen und ihr Kollege Tilman Reiner dem Beschuldigten in ihrer 315 Seiten starken Anklageschrift zuschreiben. Von Drogengeschäften im ganz großen Stil, Geiselnahmen und mehreren Explosionen ist die Rede – doch immer soll Sermet A. im Hintergrund agiert haben. Per Smartphone kamen die Anweisungen, so beschrieben es die Ankläger. Und Handlanger sollen die Gewaltakte ausgeführt haben. Viele von ihnen wurden schon verurteilt – und einige belasteten Sermet A. schwer.

Nach seiner Festnahme in Paris im Oktober 2024 soll A. laut den Gerichtsakten den Wunsch nach einer Befreiung geäußert haben. Er sei noch so jung und könne nicht für viele Jahre ins Gefängnis gehen, soll er gesagt haben. Da wusste A. noch nicht, dass sogar Sicherungsverwahrung droht, er bei einer Verurteilung womöglich gar nicht mehr freikommt. Das Thema Sicherungsverwahrung „wird auf jeden Fall ein Schwerpunkt“, sagt Verteidiger Bonn. Er wolle diese abwenden. Offenbar tritt Sermet A. dafür die Flucht nach vorne an. Er wolle sich im Laufe des Verfahrens ausführlich äußern, so Bonn.

Sermet A. wolle sich auch charakterlich öffnen und für eine Exploration mit dem psychiatrischen Sachverständigen zur Verfügung stellen. Die Kammer um Richter Ralph Ernst hat für die Beurteilung der Gefährlichkeit den äußerst erfahrenen Forensiker Stephan Roloff-Stachel verpflichtet. Der Leiter der LVR-Klinik für Forensische Psychiatrie in Essen hatte schon den Mammut-Prozess um Reemtsma-Entführer Thomas Drach begleitet – und mit seinem Gutachten für dessen Sicherungsverwahrung gesorgt. Drach hatte sich einem Explorationsgespräch mit dem Psychiater aber damals verweigert.

Verteidiger: „Vielleicht das ein oder andere in ein anderes Licht zu rücken“

Dass sich Sermet A. zu den Vorwürfen einlassen will, liegt auch an den bisherigen Verurteilungen von mutmaßlichen Komplizen, so deutete es Verteidiger Bonn an. Mehrere Kronzeugen hatten A. als fast schon übermächtigen Bandenchef skizziert, bei dem alle Fäden zusammenliefen. Den Begriff „Drogenboss“ unterstützt der Verteidiger für seinen Mandanten nicht. Dass er einen Freispruch für Sermet A. erreichen will, sagt Bonn am Rande des Prozesses aber auch nicht. Allerdings wolle der Mandant die Einlassung dafür nutzen, „vielleicht das ein oder andere in ein anderes Licht zu rücken“.

Der in Köln geborene Deutsch-Iraker soll sich laut Staatsanwaltschaft spätestens ab dem Jahr 2022 mit groß angelegten Drogengeschäften beschäftigt und mehrere Komplizen um sich geschart haben – darunter den Mitangeklagten Khedir K., dem ebenfalls Sicherungsverwahrung droht. Die Bande dealte laut den Ermittlern mit Marihuana, Ecstasy, Kokain und Heroin. Lieferanten soll A. in Marokko und den Niederlanden gesucht und gefunden haben. Die Anklagschrift listet eine erfolgreiche Lieferung von mehr als 580 Kilogramm Marihuana nach Leverkusen auf und Verkäufe daraus.

Staatsanwalt Tilman Reiner und seine Kollegin Heike Nöldgen verfassten die 315 Seiten starke Anklageschrift gegen Sermet A.

Staatsanwalt Tilman Reiner und seine Kollegin Heike Nöldgen verfassten die 315 Seiten starke Anklageschrift gegen Sermet A.

Wenige Tage später, im Juni vergangenen Jahres, soll eine Lieferung von mehr als 700 Kilogramm Cannabis den sogenannten „Kölner Drogenkrieg“ ausgelöst haben. Die Hälfte des Stoffes wurde aus einer Lagerhalle in Hürth geraubt. Sermet A. soll danach alles versucht haben, die gestohlenen Drogen wiederzuerlangen. Laut Anklageschrift suchte er in seinem engsten Umfeld nach den Tätern. Er soll Mitglieder seiner Bande verdächtigt und für diese eine Art Folter beauftragt haben. Drei engagierte Niederländer wurden dafür zuletzt vom Landgericht zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Auch soll Sermet A. hinter dem Kidnapping eines Pärchens aus dem Ruhrgebiet stecken, deren Umfeld ebenfalls verdächtigt wurde. Die Geiseln wurden in eine Villa im Eibenweg in Rodenkirchen verschleppt und schwer misshandelt. Einem Verwandten der männlichen Geisel soll A. gedroht haben, dass er dem Gefangenen die Finger abschneiden und diesen verbluten lasse. „Er werde ein Video davon machen, sodass auch der Zeuge das genießen könne“, so Staatsanwältin Nöldgen. Die beiden Opfer konnten nach dem Hinweis eines reuigen Mittäters noch rechtzeitig befreit werden.

Köln: Mehrere Explosionen vor und in Wohn- und Geschäftshäusern

Während die Geiselnahmen und Drogengeschäfte eher im Verborgenen abliefen, zeigten vor allem die öffentlichen Sprengstoffanschläge das beängstigende Ausmaß des Konflikts innerhalb des Drogenmilieus. Fünf Explosionen rechnen die Ermittler Sermet A. zu, vier davon sollten laut Anklage der Einschüchterung potenzieller Drogenräuber gelten. Die Serie startete am 29. Juni 2024 in der Keupstraße. Einen Tag später explodierte ein Sprengsatz vor einem Mehrfamilienhaus auf der Wichheimer Straße in Buchheim. Die Haustür wurde dabei herausgerissen, Fenster zersplitterten.

Scherben und Kleidungsstücke liegen nach der Explosion vor dem Geschäft in der Ehrenstraße in Köln.

Scherben und Kleidungsstücke liegen nach der Explosion vor dem Geschäft in der Ehrenstraße in Köln.

Ebenfalls angeklagt ist ein Fall, der derzeit parallel auch vor dem Amtsgericht verhandelt wird. Hier gab ein 18-jähriger Niederländer zu, im September 2024 einen Sprengsatz in einem Modegeschäft auf der Ehrenstraße gezündet zu haben. Laut Anklage soll ein früherer Mitarbeiter Schulden bei Sermet A. gehabt haben. Die Ermittler sehen bei Sermet A. auch in den Fällen, in denen Jugendliche vorgeschickt werden, eine große Empathielosigkeit. So sei ein 17-jähriger Auftragstäter bei einem ähnlichen Vorfall in Solingen einige Monate zuvor gestorben. Abgehalten habe das A. allerdings nicht.

Köln: Drei Männer gelten als wichtige Kronzeugen

Der mehrfach vorbestrafte Sermet A. soll den Großteil der angeklagten Taten aus dem Ausland heraus gesteuert haben. Zuletzt habe er sich in Dubai aufgehalten. Der heute 24-Jährige wurde nach einer Einreise nach Frankreich auf einem Pariser Flughafen festgenommen. Danach soll der Kölner weiterhin Drogengeschäfte betrieben und aus der Haft heraus mit einem Komplizen kommuniziert haben. Sermet A. sitzt nach seiner Auslieferung in der JVA Bielefeld ein. Verteidiger Bonn bat um eine Verlegung in ein näheres Gefängnis – der Austausch mit dem Mandanten gestalte sich mühsam.

Noch 38 Verhandlungstage hat das Gericht bis in den Juni 2026 angesetzt. Als zentrale Zeugen gelten drei frühere mutmaßliche Bandenmitglieder. Die Männer haben im Polizeiverhör und auch bereits vor Gericht ausführlich ausgesagt – und Sermet A. schwer belastet. Auch der im Zeugenschutzprogramm befindliche Mohammed B. wird erneut aussagen. Aus Sicherheitsgründen wurde er per Helikopter zum Justizgebäude gebracht. Eine Maßnahme, auf die die Behörden bei Sermet A. jedoch verzichteten. Damit entfielen auch die für Anwohner nervenaufreibenden Absperrungen der Straßen.