Kölner Experte über Schokolade zu OsternGute Qualität erzeugt weniger Heißhunger

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Marco Mühlberg Hernando Cortez RAKO

Marco Mühlberg vom Schokoladengeschäft Hernando Cortez

Köln – Mit einem industriell gefertigten Schokoladenhasen würde man Marco Mühlberg keine Freude machen. Nicht mal dann, wenn ein goldenes Glöckchen daran baumelte. „Ich weiß nicht, wie viele Tonnen Kuverture da tagtäglich verarbeitet werden“, sagt der Kölner mit Blick auf das bevorstehende Osterfest, das traditionell ein schokoladenreiches ist. Aber eben anders schokoladig, als es dem Verständnis von Schokoladen-Liebhaber Mühlberg entspricht. Denn der möchte gerade dann, wenn es um sein liebstes Genussmittel geht, keine Fließbandware konsumieren. Der 49-Jährige ist Inhaber von Hernando Cortez, einem fast ausschließlich auf Schokolade reduzierten Fachgeschäft in der Kölner Innenstadt.

Mühlberg ist nicht nur sechs Tage in der Woche beruflich von Schokolade umgeben, er genießt sie auch privat – täglich abends auf dem Sofa. Und er ist das beste Beispiel dafür, dass sich die Liebe zur Kakaobohne nicht zwangsläufig auf den Hüften abzeichnen muss.

Weniger Heißhunger

„Bei hochwertiger Schokolade gibt es nicht so einen Heißhunger“, sagt der Fachmann. Und zwar deshalb nicht, weil hochwertige Schokolade wenig (oder auch gar keinen) Zucker und erst recht kein Vanillin enthält, was nach Ansicht des in Bonn beheimateten Schokoladen-Testers und Schokoladenherstellers Georg Bernardini im Verdacht steht, Heißhunger-Attacken auszulösen und Migräne-Anfälle zu verursachen.

Mühlberg, der in seinem Sortiment auch handgefertigte Schokolade des Deutsch-Italieners Bernardini führt, greift hinter sich ins Regal und nimmt eine Tafel heraus mit 84 Prozent Kakaoanteil. Der eigentliche Hingucker auf der hübschen Verpackung ist jedoch eine andere Zahl, nämlich die deutlich hervorgehobene Zwei, die den Verbraucher darauf aufmerksam machen soll, dass dieses Produkt lediglich aus zwei Zutaten besteht: bolivianischem Edelkakao und etwas Zucker.

Weniger ist mehr 

Überhaupt scheint bei kaum einem anderen Genussmittel die Formel „weniger ist mehr“ so verlässlich zu sein, wie bei Schokolade, die nach Worten Mühlbergs definitiv ohne Hilfsstoffe wie Emulgatoren oder Stabilisatoren auskommt. Meistens handele es sich bei zusätzlichen Inhaltstoffen um „Ablenkungsmanöver“, die Fehlnoten eines Kakaos kompensieren sollen, der falsch fermentiert oder falsch geröstet wurde.

Mühlberg, der übrigens mit allem aufgewachsen ist, was der Zahnarzt nicht gerne hört, verdankt seine Abkehr von der handelsüblichen Nuss-Nougatcreme einer Genussreise, die ihn – ausgehend von einem Artikel im „Feinschmecker“ über ein Schokoladenfachgeschäft in Berlin – durch die ganze Republik und große Teile Frankreichs geführt hat. Irgendwann stand für den Kölner fest, dass er sich im Anschluss an seine Hotelfach-Ausbildung nur noch um die Bohne kümmern wollte. Seit der Eröffnung seines Geschäfts in der Gertrudenstraße im Jahr 2007 ist Mühlberg gewissermaßen als Missionar in Sachen gute Schokolade unterwegs.

Blasen sprechen für Minderwertigkeit 

Ähnlich wie ein guter Weinhändler erklärt er seinen Kunden die Unterschiede zwischen Kakao aus Madagaskar, der von Natur aus viel Säure und daher eine fruchtige Note hat im Gegensatz zum blumig-würzigen Kakao aus Ecuador. Wenn man Mühlberg beim Naschen beobachtet, fällt zunächst einmal auf, wie viel Zeit er sich dafür nimmt, und dass die Zähne bei der Verkostung fast untätig bleiben.

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Der Genuss fängt beim Betasten der Verpackung an, die vielfach aus ähnlich liebevoller Handarbeit besteht, wie das Produkt selbst. Dann erfolgt die optische Begutachtung. Ein schöner Glanz kann ein Qualitätsmerkmal sein, Blasenbildung auf der Rückseite hingegen ist eher ein Indiz für Minderwertigkeit. Definitiv korrekturbedürftig ist unser Bild einer leicht schmelzenden Materie. Bei hochwertiger Schokolade wird ein reibender Finger erstmal eine ganze Weile nichts ausrichten. Für die allmähliche Auflösung ist ohnehin eine andere Abteilung unseres Körpers zuständig. Mühlberg bricht ein Stück von einem Riegel ab, bildet sich ein weiteres Urteil mit der Nase, bevor er das Stück noch einmal in kleinere Stückchen zerteilt, die er dann zwischen Gaumen und Zunge schiebt. Dort lässt er sie ganz langsam wirken.

Nur wenige kennen die Unterschiede

Anders als beim Wein oder beim Fleisch seien sich viele Menschen noch gar nicht darüber bewusst, dass es bei Schokolade immense Unterschiede gibt, sagt der Kölner Experte. Aber er freut sich, dass ähnlich wie beim Craftbeer immer mehr Bean-To-Bar-Erzeugnisse auf den Markt kommen; sprich: Schokolade, bei denen der Hersteller den gesamten Prozess von der Kakaoernte, über die Röstung bis hin zur fertigen Tafel selber übernimmt. Dadurch werde der Geschmack des fertigen Produkts enorm beeinflusst.

So wie andere Konsumgüter ist auch die Schokolade gewissen Moden unterworfen, weiß Mühlberg. Die vor Jahren beliebte Kombination mit Chili sei völlig out. Neben Kreationen mit Nüssen, Mandeln oder Orange gehöre gesalzene Schokolade – „gerne auch mit Karamell“ zu den Dauerbrennern. Sowohl zuckerfreie als auch vegane Schokolade gibt es inzwischen in großer Auswahl. Allerdings täuschen die vielen verschiedenen Produkte im Geschäft über die Vielfalt der Sorten. Bei etlichen Tafeln wie etwa dem Sortiment Georgia Ramon, das 2015 vom Chocolatier Georg Bernardini und Ramona Gustmann gegründet wurde und seit Herbst 2020 dem gelernten Konditor Phillip Butzmann gehört, ergibt sich der Unterschied der einzelnen Tafeln im Wesentlichen durch die Herkunft des Kakaos. Bei besonders erlesenen oder seltenen Sorten kann die Tafel auch schon mal zwölf oder 14 Euro kosten. Ansonsten gibt es hochwertige Schokolade bereits ab 3,50 Euro.  

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