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Spekulanten, Fööss, BrikettsApp macht Severinsviertel der 1970er Jahre begehbar

Lesezeit 3 Minuten
Bömmel Lückerath steht mit einem Tablet auf dem Severinskirchplatz.

Bömmel Lückerath am Severinskirchplatz: In der App ist die historische Fassade des Eckhauses zu erkennen. Cornelia Jülich-Rademacher spricht als Expertin.

Mit einer neuen kostenlosen App mit Augmented-Reality-Funktion kann man in das Severinsviertel der 1970-er Jahre eintauchen. 

Es ist eine begehbare Zeitreise durch das Severinsviertel der 1970er Jahre. Und Ex-Fooss Bömmel Lückerath ist einer der ersten, der die neue App ausprobiert hat, die ab sofort zu haben ist. Sie hat eine „Augmented Reality“-Funktion, mit der man durch Kippen des Handys oder des Tablets und durch Vor- und Zurückgehen an verschiedenen Stationen regelrecht in das Bild und die Vergangenheit eintauchen kann. Eine Brille wie bei Virtual-Reality-Formaten ist nicht notwendig.

Angeleitet wird der Nutzer dabei von Südstadt-Experten. An der Station am Severinskirchplatz ist das Cornelia Jülich-Rademacher. Sie betreibt die Gastronomie in der Severinstorburg und ist auf der Severinstraße aufgewachsen. In der App berichtet sie, dass es hier früher nach Schokolade aus der Stollwerck-Fabrik roch, nach Hefe aus der Reissdorf-Brauerei und nach Briketts. Die Arbeiterklasse wohnte hier, mittags machten die Geschäfte zu. Hinter ihr tauchen historische Bilder von den Fassaden auf, die man nun direkt mit dem aktuellen Zustand vergleichen kann.

Severinsviertel wurde 1974 zum Sanierungsgebiet erklärt

Auch Künstler Cornel Wachter, der seit 60 Jahren in dem selben Haus in der Südstadt wohnt, taucht im Display auf und erinnert an die Gastarbeiter, die hier in den damals sehr einfachen Wohnungen lebten. Er erzählt von den Italienern, die Bars eröffneten und – neu für Köln – einfach Tische und Stühle davorstellten. Im Display füllt sich dann der Severinskirchplatz passend mit Tischen und Stühlen.

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Die Kölner Filmemacherin Christel Fromm erzählt, dass das Viertel 1974 zum Sanierungsgebiet erklärt wurde – eingeblendet wird ein Artikel aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ und historische Fotos von Hinterhöfen – und die ersten Immobilienhaie wie der berüchtigte Günter Kaußen anfingen, die großen alten Häuser am Ubierring aufzukaufen.

Köln: Südstädter hatten Angst, verdrängt zu werden

„Damals hatten die Menschen Angst, an den Rand der Stadt gedrängt zu werden. An der Severinstorburg haben wir viele Kundgebungen organisiert.“ Die Brötchen kamen damals von der heute noch existierenden Bäckerei Brochmann. Ein Tablett mit Brochmann-Brötchen kann man ganz nah heranholen.

Vier Stationen gibt es bisher, zu denen man mit GPS geleitet wird. Im Laufe der nächsten Monate sollen es zehn werden. Auch Bömmel Lückerath wird dann als Veedel-Spezialist in der App zu sehen sein. „Wir hatten ja damals unseren Probenraum am Karolingerring im Keller unter der Ringschänke. Und unser Spanien-Lied haben wir zum ersten Mal im Pfarrsaal von Sankt Severin gespielt.“

Gemacht wurde die App „Köln 70er“ von der Berliner Produktionsfirma Pimento Formate und dem Kölner App-Entwickler Yona. Die städtische Wirtschaftsförderung Köln-Business unterstützte das Projekt mit 10.000 Euro. „Die Südstadt haben wir für das Projekt ausgewählt, weil sich hier in den 70ern viele Entwicklungen konzentrierten“, sagt Elle Langer von Pimento Formate.

So wurde die Stollwerck-Produktion eingestellt, es gab die ersten Häuserkämpfe und die Bands Bläck Fööss und BAP wurden gegründet. Bömmel Lückerath: „An die Stollwerck-Proteste kann ich mich noch gut erinnern. Da haben wir auch oft gespielt.“

Als weitere Zeitzeugen werden unter anderem Klaus der Geiger und Architekt Christian Schaller dazukommen. Alle Informationen und die kostenlose App zum Herunterladen gibt es auf www. artour.koeln

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