Vor der Puszta-Hütte am Neumarkt sind Vanessa und Günter Sardis täglich mit Müll, Gewalt und Verzweiflung konfrontiert – mitten in Kölns Drogenszene.
„Wollen weg, aber können nicht“Die Puszta-Hütte am Neumarkt kämpft mit der offenen Drogenszene
Um sechs Uhr morgens hält Vanessa Sardis mit ihrem Fahrrad vor der Puszta-Hütte in der Fleischmengergasse, gleich neben dem Neumarkt. Vor der Tür ihres Restaurants liegen Essensreste, Alufolie, Spritzen. Es stinkt nach Urin und anderen Körperflüssigkeiten. Manchmal klebt auch Blut an der Wand. Als die Stühle für die Terrasse noch draußen gelagert wurden, lief morgens der Urin zwischen den Tischen herunter. An manchen Stellen habe sich deswegen bereits Rost gebildet.

Günter und Vanessa Sardis haben die Puszta-Hütte von seinen Eltern 2019 übernommen.
Copyright: Charlotte Groß-Hohnacker
Die Puszta-Hütte gibt es seit 1948. Vieles ist geblieben: die Theke, das Rezept für den Gulasch, vielleicht auch der eine oder andere Stammgast. Doch was sich verändert hat, ist das Leben vor der Tür. Günter und Vanessa Sardis haben das Restaurant von Günters Eltern übernommen. Seit 1992 stand dort die Familie am Herd – und auch damals war die Drogenszene am Neumarkt bekannt. Aber, so Günter Sardis, seit etwa zehn Jahren habe die Aggressivität zugenommen. In den vergangenen zwei Jahren sei die Situation eskaliert.
„Früher konnte man mit ihnen reden. Heute sind es jeden Tag neue Gesichter – aggressiv, unberechenbar“, erzählt Vanessa Sardis. Die Drogenabhängigen, die sich hier früher aufhielten, seien respektvoll gewesen. Wenn man sie gebeten habe zu gehen, hätten sie sich entschuldigt und wären gegangen. Das sei heute undenkbar. Wenn es zu aggressiv wird, rufen sie die Polizei – inzwischen fast täglich. Eine Kollegin hat bereits gekündigt – aus Angst, abends nach Hause zu gehen, erzählt Sardis.
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Eine Stunde Putzen vor dem ersten Gast
Bevor die ersten Gäste ab zehn Uhr kommen, muss erst der Gehweg gereinigt werden – mit dem Gartenschlauch, denn ein Besen reicht längst nicht mehr. Eine Stunde jeden Morgen, zwei Angestellte müssen deswegen zusätzlich bezahlt werden. Zwischen sieben und acht Uhr füllt sich der Gehweg: 30, 40 Menschen stehen oder liegen vor der Tür. Das Vordach bietet Schutz, der Drogenkonsumraum liegt um die Ecke.
Vanessa Sardis geht dann nach draußen: „Guten Morgen zusammen. Könnt ihr bitte einen anderen Platz suchen?“ Meist bleibt die Antwort aus. Nur selten gehen die Menschen freiwillig. Meistens holt sie dann einen Koch aus der Küche. „Als Frau nimmt mich keiner ernst“, sagt sie.

Rund um das Haus liegen immer wieder Kleidung, Essenreste und Müll verteilt.
Copyright: Charlotte Groß-Hohnacker
Günter Sardis schätzt, dass er inzwischen rund 6.000 Euro in Reparaturen und Umbau investiert hat. Vor Weihnachten wurden die Fenster eingeschlagen. Eine Fensterbank ließ das Paar abschrägen, weil dort ständig Müll lag. Eine der beiden Lieferantentüren haben sie zugemauert – sie war zur Toilette geworden. „Der Urin lief bis in den Hausflur“, sagt Sardis. Vor der Kellertreppe haben sie jetzt eine schwere Gittertür installiert.
Wenn sie abends zugemacht haben, saßen dort manchmal Drogenabhängige mit der Spritze im Arm. An der verbliebenen Tür hat das Paar Sicherheitsschlösser anbringen lassen, zusätzlich Metallleisten gegen das Aufbrechen mit Karten. Zwei Kamera-Attrappen – längst wieder abgerissen.
Gäste bleiben lieber drinnen
Auch die Gäste spüren den Wandel. Sie werden im Außenbereich angebettelt und beschimpft, wenn sie kein Geld geben. Manchen wurde das Bier oder Brötchen vom Tisch genommen. Wenn das Personal nicht schnell genug ist, verschwinden Löffel. „Früher konnten Gäste ihr Fahrrad vor der Tür stehen lassen und eine Dose Gulasch kaufen – das Rad stand danach immer noch da“, erzählt Vanessa Sardis. Heute undenkbar. Viele wollen nicht mehr draußen sitzen, lieber hinten im Raum, ohne Blick auf das Geschehen. Die Terrasse sei diesen Sommer leerer gewesen als in den letzten Jahren.

Damit sich niemand mehr Zugang ins Haus und in den Keller verschaffen kann, haben Günter und Vanessa Sardis ein Gitter vor der Kellertreppe anbringen lassen.
Copyright: Charlotte Groß-Hohnacker
Mit den Nachbarn tauschen sich die Sardis regelmäßig aus. Das Sanitätshaus nebenan, der Thailänder, der sich inzwischen Gitter vor die Tür montiert hat – alle kämpfen mit denselben Problemen. Gemeinsam mit dem Sanitätshaus denken sie über einen privaten Sicherheitsdienst nach. „Zwei Nachbarn sind schon weg“, sagt Vanessa Sardis. „Wir können nicht – unser Geschäft lebt vom Standort. Wenn wir umziehen, ist das hier tot.“
Die Enttäuschung über die Stadt sitzt tief. Auf sie wirke es, als würde sich nur wenig ändern. Als Antwort auf Beschwerden bekomme sie nur eine Eingangsbestätigung. Sie wolle, dass den Menschen geholfen wird, sie seien krank. Aber die Situation setze auch ihnen zu. Vanessa Sardis erzählt von einigen Beispielen: Vor einigen Wochen ließ ein Mann direkt vor den Gästen die Hose herunter und verrichtete sein Geschäft auf der Straße. Ein anderer bedrohte sie mit einer Glasflasche. Wieder ein anderer Mann griff in einer Schlägerei zu einem Baustellenschild. Immer wieder wird draußen geschrien.
Die Stadt Köln erklärt, sie könne den Eindruck der Gewerbetreibenden nachvollziehen, dass nicht immer klar sei, wer am Neumarkt wofür zuständig ist. Viele verschiedene Herausforderungen und Zuständigkeiten träfen dort aufeinander. Als zentrale Anlaufstellen verweist sie auf das Zentrum für Kriminalprävention und Sicherheit sowie auf die vor Ort tätigen Kümmerer. Für Anfang 2026 sei geplant, deren Anlaufstelle in ein Ladenlokal zu verlegen – als festen Ort auch für die gemeinsamen Streifen von Ordnungsamt, Polizei und KVB.
Die grassierende Drogenproblematik beschäftigte in den vorigen Monaten auch intensiv den Stadtrat. Im Mittelpunkt stand das „Zürcher Modell“, das – wenn auch in unterschiedlicher Auslegung – breiten Zuspruch über Parteigrenzen hinaus findet.
Beschlossen ist, dass die Stadt einen alternativen Standort für den derzeitigen Drogenkonsumraum am Neumarkt finden soll. Dort sollen künftig, nach Vorbild Zürichs, mehr Aufenthaltsmöglichkeiten, Duschkabinen und Toiletten geschaffen werden. Offen ist bislang, wo dieser neue Standort entstehen könnte. Mehrere Orte stehen zur Diskussion, eine Einigung gibt es noch nicht. Nach dem „Zürcher Modell“ soll dort zudem auch der Kleinhandel zwischen den Konsumenten toleriert werden.
Aber all das dauert noch. Die Stadt betont, die Beschwerden ernst zu nehmen: „Zur Verbesserung der Gesamtsituation werden in Bezug auf das angesprochene Milieu verschiedene Maßnahmen umgesetzt“. Dies sei jedoch oft ein langwieriger Prozess, bis es zu einer für alle Beteiligten guten und nachhaltigen Lösung komme.
Das Ehepaar und ihre zwanzig Mitarbeiter wünschen sich Veränderung – aber die Hoffnung schwindet: „Wir wollen hier weg. Wirklich. Aber wir können nicht.“ Am nächsten Morgen wird Vanessa Sardis wieder mit dem Gartenschlauch vor der Tür stehen.