KaffeebudSportteil, Käffchen und Silvia

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Silvia ist die Seele der Kaffeebud am Alter Markt.

Silvia ist die Seele der Kaffeebud am Alter Markt.

Innenstadt – Radio Paloma ist bereits auf Sendung. "Nur nicht aus Liebe weinen", dudelt es aus dem Radio über der Theke. Es ist 5.36 Uhr, die "Kaffebud am Aldermaat" hat seit sechs Minuten geöffnet. Fahles Morgenlicht liegt über dem Platz der Plätze inmitten der Kölner Altstadt. Vor "Peters Brauhaus" sind die Tische und Stühle noch für die Nacht zusammengeschoben. Dicke Stahlseile sichern das Mobiliar. Die Straßen sind menschenleer.

Werner sitzt ganz hinten in der "Bud". Er hat einen Kaffee bestellt, dazu ein Nusshörnchen mit schokoladenbraunen Ecken. So wie jeden Morgen. Er hat sich den Sportteil aus der Zeitung geangelt, die an einem Halter an der Wand hängt. Hat einen Stift für das Kreuzworträtsel bereitgelegt. So wie jeden Morgen.

"Sportteil, Käffchen und ein Nusshörnchen - mehr brauche ich nicht", sagt er und beugt sich tief über die Tageszeitung. Sein Gesicht ist zerfurcht wie das des alten Charles Bronson. Kurz vor sechs wird Werner den Stift wieder einstecken, wird kurz herübernicken zu Lisa, die gerade frischen Kaffee aufbrüht, und hinüberschlendern zum Schokoladenmuseum unten am Rhein, wo er einen Putztrupp leitet. "Ich bin der Vorarbeiter." Jetzt geht er. So wie jeden Morgen.

Niemand kennt Werners vollen Namen. In der Kaffeebud´ ist er "der Werner" und steht auf Du und Du mit der Lisa und der Annemie, die abwechselnd hinter der Theke bedienen - und natürlich mit der Silvia, der das alles hier gehört.

Werner ist Stammgast in der Kaffeebude im Herzen der Altstadt - wie so viele, die tagtäglich zwischen 5.30 und 15 Uhr einkehren am Kölner Alter Markt 58-60. Seit 31 Jahren behauptet sich "die Bud" als eine der letzten ihrer Art gegen die wachsende Konkurrenz von internationalen Ketten wie "Starbucks" und "Mc Café". Ein Schlauch von Laden, nur wenige Meter breit. Fünf Stehtische, zehn Hocker, eine Theke aus Glas.

Radio Paloma und Strammer Max

Das Radio ist dauerhaft auf Radio Paloma eingestellt, "die Nummer eins für deutsche Schlager". Von der Decke baumeln bunte Plastikschilder: "Strammer Willi mit 4 Eier 4,50 Euro", "Feuer Topf ein leckerer Fleischgulasch". Eine Tasse Kaffee kostet einen Euro, jedes Stück Kuchen zwei. Der Nudelsalat und die Frikadellen sind selbst gemacht, und jedes Kind bekommt wie in alten Zeiten zum Abschied einen bunten Lutscher.

Bis in die 90er Jahre gab es in Köln noch Dutzende wie sie. Die Bläck Fööss widmeten den Mini-Cafés 1978 eines ihrer berühmtesten Lieder und setzten dem kölschen Biotop damit ein unverrückbares Denkmal: "Un dann stonn se en d´r Kaffeebud / un schödden sich de Kaffe in d´r Kopp. / Jeder lis in singer Zeidung röm, / jeder deut sich noch e Brütche renn. / Op eimol weed de Schnüss jeschwaat, / dä Pützer hät zovill jesaat ..."

Kaffeebuden, das sind Orte der Zuflucht. Der Geständnisse. Der Rituale. Orte, wo die Welt noch übersichtlich scheint. Und nicht zuletzt: Kaffeebuden sind ein Stück vom alten Köln.

"Zwei Kaffee, ein Zigarettchen. Dann passt das schon", sagt Klaus. Es ist 7.15 Uhr, die Luft ist frisch und morgenkalt. Klaus trägt einen blauen Anzug und spiegelblank geputzte Schuhe. An seinem Revers steckt ein Abzeichen der Stadt Köln, in seinen Ohrläppchen glänzen zwei kleine goldene Motorräder. Klaus wohnt in Langenfeld und arbeitet für den Oberbürgermeister der Stadt Köln. Jeden Morgen marschiert er vom Hauptbahnhof direkt zum Büdchen. "Hier ist es gemütlich", sagt er und saugt an seiner Zigarette.

"Tschööö, Mädels, ich verlasse euch", wird er kurz vor acht sagen und sich wie jeden Morgen seine Aktentasche schnappen. "Ich wünsche euch einen schönen Tag."

Klaus zählte schon zu den Stammgästen, als "der Willi", der Gründer der Kaffeebude, noch lebte. "Der Willi" ist überall präsent in dem kleinen Lokal. Auf Fotos. Auch auf den Urkunden der Karnevalsgesellschaften, die an den Wänden hängen: "Das Festkomitee Kölner Karneval 1823 e. V. verleiht Willi Ferling in Würdigung und Anerkennung der langjährigen Verdienste an dem Kölner Karneval den Verdienstorden in Gold." Präsent ist er vor allem in der Erinnerung seiner Gäste.

Und natürlich im Herzen von Silvia Senn (59), der Krankenschwester aus der Schweiz, die Willi Ferling 2008 nach Köln folgte. Dem Paar blieben nur zwei gemeinsame Jahre. Im Oktober 2010 starb der Kölner Großbäcker nach langer Krankheit. Seitdem führt Silvia die Geschäfte.

Trinkgelder werden gestiftet

Bis heute werden alle Trinkgelder dem Verein "Brezelkinder" gestiftet, den Ferling 2001 ins Leben rief, um kranken Kindern einen besonderen Wunsch zu erfüllen.

Ferling besaß in Köln mehr als 20 Kaffeebuden, doch das 1981 eröffnete "Aldermaat"-Büdchen lag dem Karnevalisten am meisten am Herzen. Bis kurz vor seinem Tod stand er hinter der Theke. "Ich führe das Büdchen für Willi weiter", sagt Silvia. Der habe ihr einmal anvertraut: "Die Jahre am Alter Markt waren meine schönsten, weil ich so nahe an den Menschen dran war." Und er habe sie gebeten: "Mach erst mal zwei Jahre weiter und entscheide dich dann."

Jetzt sind fast zwei Jahre seit seinem Tod vergangen, und Silvia hat sich entschieden: Sie wird weitermachen, "auch für mich selber. Das Büdchen hat mir über den Schmerz hinweggeholfen, ich habe Erfolg damit, und das ist schön." Auch wenn es ein Knochenjob mit Risikofaktor ist. Die Konkurrenz ist groß. "Wenn es regnet, bleiben viele Gäste weg", und so setzt die Schweizerin weiterhin auf Altbewährtes und das familiäre kölsche Wir-Gefühl.

Vor allem ältere Männer zählen zu den Stammgästen der Kaffeebude, aber auch Arbeiter der umliegenden Baustellen, Rathausangestellte und Touristen aus der ganzen Welt. Man hört türkische Töne, englische, japanische.

"Für viele Stammgäste ist es, als kämen sie zur Mama nach Hause", sagt Silvia. "Das Büdchen gibt ihnen einfach ein warmes, wohliges Gefühl." Die meisten nennt sie beim Namen, das ist ihr wichtig. Wer sich ihr mit dem Vornamen vorstellt, für den ist sie "die Silvia", für alle anderen "Frau Senn".

"Ferdinand, mein Schätzchen, was willst du essen?" Sie nimmt einen weißhaarigen alten Mann in den Arm und drückt ihn kurz an ihre Brust. Es ist kurz vor zehn, der Laden ist rappelvoll. Es riecht nach frisch geschnittenen Zwiebeln, nach Kaffee und Sellerie. In einem großen braunen Eisentopf hinter der Theke köchelt bereits das Gulasch für die Mittagsgäste. Eben hat Doris Poss, die Tochter von Willi Ferling, ein Blech mit frischem Obstkuchen angeliefert.

"Bei uns wird viel geknuddelt", sagt Silvia und gießt dem alten Herrn eine Tasse Kaffee ein. "Wie immer ein Leberwurstbrötchen?" Ferdinand nickt. Früher konnte er zwei Brötchen hintereinander verdrücken. Seit der Gallenoperation im vergangenen Jahr schafft er nur noch eines. "Ist irgendwie alles dicht hier." Er deutet auf seinen Magen. Zum Glück versorgt ihn die Ex-Frau regelmäßig. Mit der versteht er sich wieder richtig gut.

Treff der Einsamen

Ferdinand ist in Köln geboren. "Der erste Bombenangriff auf Köln war schlimm", bricht es unvermittelt aus ihm heraus. Der Vater habe den Nachbarn geraten, sofort in den Keller zu gehen. "Aber die wollten erst noch baden." Ferdinands Blick geht in der Ferne. "Und dann waren sie tot." Sechs oder sieben muss er damals gewesen sein.

Ferdinand wohnt in Köln-Poll und kommt fast jeden Tag, einer von den Einsamen, von denen es einige hier gibt. Sein Stammplatz ist der Tisch ganz hinten in der Ecke, rechts von der Neonreklame mit der großen, dampfenden Kaffeetasse. Eben haben hier noch Monika und Heinrich aus Nippes gesessen. Auch sie trinken hier mehrmals in der Woche ihren Kaffee. Und gleich, gegen zwölf, wenn es allmählich leer wird an den vorderen Tischen, wird ihn "der bergische Jung" begrüßen.

"Geht´s gut?", fragt der bergische Jung´ aus Wermelskirchen, den man im Büdchen nur unter seinem Spitznamen kennt. Er schaut dem alten Herrn prüfend ins Gesicht. "Bisschen schmal geworden." Schmal? Ferdinand schüttelt den Kopf und wandert langsam Richtung Ausgang. "Tschüss, Ferdinand" - er wird noch eine Runde durch die Stadt drehen. Und morgen gegen zehn wird er wiederkommen.

"Sich treffen, sich unterhalten, Spaß haben", umreißt der Kölner Meinungsforscher Stephan Grünbaum "die berühmte Kaffeebud-Mentalität" der Kölner. Dazu gehöre auch, dass man sich gehenlassen könne, wenn man wolle.

"Genau das ist es", sagt Wilfried. "Hier wird über alles gesprochen, so wie früher in den klassischen Eckkneipen, aber die gibt es ja nicht mehr. Und im Gegensatz zur Eckkneipe weiß nachher jeder noch, was er gesagt hat, weil keiner besoffen ist." Vor zwei Jahren, mit 70, ist Wilfried in Rente gegangen, ein sportlicher 72-Jähriger in Jeans und Polohemd. 55 Jahre war er im Kölner Einzelhandel tätig, bei einem Spezialgeschäft für Jagdbedarf.

Jetzt kommt er regelmäßig zum Alter Markt, um "andere Menschen und andere Interessen kennenzulernen". Hier sei das noch möglich, denn insgesamt nehme die "zwischenmenschliche Kommunikation" doch sehr ab in Köln.

Als kürzlich Wilfrieds 95-jährige Mutter starb, haben die übrigen Stammgäste ihm "ein sehr nettes Schreiben" geschickt. "Und wir haben ihn ein bisschen in den Arm genommen", ergänzt Walter (65), der in Köln-Weidenpesch wohnt und früher "etwas mit EDV" gemacht hat.

Gemeinsame Reisen

Der harte Kern der Stammgäste trifft sich jeden Mittag kurz vor zwölf. "Ich habe schon die Eingangstür finanziert", sagt Walter. Er trägt ein gediegen aussehendes Jackett, auf seiner Nase sitzt eine goldgefasste Brille. Auch Herr Schneider gehört zu dem lockeren Kreis von sechs, sieben Männern. Niemand hier kennt seinen Vornamen, "und das", sagt Walter, "wird vermutlich auch so bleiben. Sie und Herr Schneider".

Herr Schneider ist 71 Jahre alt und hat einer Baker-Zyste im Knie. Heute Nachmittag wird er trotzdem nach Frankfurt fahren, um dort ein Fahrradgeschäft aufzusuchen. "Ist ja nur eine Stunde Fahrt", sagt er. Herr Schneider kennt die Strecke Köln-Frankfurt aus dem Effeff. Er geht in Frankfurt regelmäßig zu einem Friseur, der noch den Fassonschnitt beherrscht: "Das kann in Köln nämlich keiner mehr."

Dreimal sind sie schon zusammen verreist, Herr Schneider, Walter, Wilfried und die anderen. Amsterdam, Brüssel, zuletzt Paris. Dort ist ihnen bei der Rückreise am Gare du Nord der Klaus abhandengekommen. Der saß allein im falschen Abteil und kommt seit diesem Vorfall nicht mehr. "Er ist beleidigt, weil er meint, wir hätten nach ihm suchen müssen." Auch in der Kaffeebude gibt es Konflikte.

"Kennt ihr den?", fragt Wilfried. "Der Tünn steht nackig auf der Hohe Straße und macht seinen Mantel auf und zu. Kommt der Schäl vorbei und fragt: Was machst du da? Sagt der Tünn ..."

Es ist kurz vor drei. Die letzten Gäste sind gegangen, der Alter Markt liegt im hellen Sonnenschein. "Ich bin morgen gegen zwölf Uhr hier", hat Walter zum Abschied gesagt. "Ich könnte mich an der Runde beteiligen", hat Herr Schneider geantwortet.

Silvia wischt ein letztes Mal über die Stehtische. "Heute war ein guter Tag", sagt sie, "schönes Wetter, viele Gäste." Morgen um 5.30 Uhr geht Radio Paloma wieder auf Sendung.

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