Kölner EinkaufsmeileJunge Unternehmer erobern die Severinstraße

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Phillis Maaß in ihrem Geschäft „Glanz & Glück“:  Im Hirschgäßchen verkauft die 26-Jährige gebrauchte Designer-Handtaschen.

  • Auf der Severinstraße vollzieht sich ein Generationenwechsel. Unter alte Traditionsgeschäfte mischen sich junge Unternehmer.
  • Ein neuer App-Dienst für die EInkaufsmeile liefert Waren bald an die Haustür.

Innenstadt – Das Internet macht die kleinen Läden kaputt – so oder ähnlich klingen die Klagen von Kunden und Geschäftsinhabern oft, wenn sie über Veränderungen in der Einkaufsstraße in ihrem Viertel sprechen. In einer der ältesten der Stadt, in der Severinstraße, stürzen sich die Händler dagegen bald in ein digitales Abenteuer.

Motiviert von jungen Kollegen, die in den vergangenen Monaten ausgerechnet zwischen Fischhändlern, Traditionsbäckereien und Buchläden den Sprung in die Selbständigkeit gewagt haben, werden in wenigen Wochen mindestens acht Geschäfte auf der Severinstraße ihre Dienste mit Hilfe einer Handy-App anbieten. Der Name ist schlicht: „Shoppen“.

So funktioniert die App

Das Angebot besteht aus den Waren der teilnehmenden Einzelhändler in der Umgebung. Per Smartphone wählen die Kunden zu Hause auf dem Sofa oder unterwegs in der Bahn aus, was sie haben möchten. Nach dem Kauf sorgt ein Radkurier für den Transport. 90 Minuten, versprechen die Macher, dauert das maximal. 7,20 Euro kostet der Service den Käufer.

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Der Kurier wartet auf Wunsch 15 Minuten, während der Kunde anprobiert. Sollte das Gewählte nicht passen oder nicht gefallen, geht es per Fahrrad zurück ins Geschäft. Alternativ kann der Kunde den gewünschten Artikel reservieren und im Laden anprobieren.

Dass die Severinstraße zu den Einkaufsstraßen gehört, die die App demnächst nutzen, mag zunächst verwundern. Viele Geschäfte haben den Widrigkeiten des U-Bahnbaus und dem Archiveinsturz getrotzt und werden von Inhabern geführt, die lange Jahre eher auf das wirtschaftliche Überleben konzentriert waren. Es ist aber trotzdem kein Zufall.

Generationswechsel auf der Severinstraße

Optikermeister Markus Hauschild und Denise Moskopp, Geschäftsführerin von Optik Scholten.

Optikermeister Markus Hauschild und Denise Moskopp, Geschäftsführerin von Optik Scholten.

Auf der Severinstraße vollzieht sich allmählich ein Generationenwechsel. Patrick Köhler etwa ist begeistert von den Möglichkeiten, die das Internet für den Einzelhandel bietet. Seit März gehört der 27-Jährige zum Vorstand der IG Severinsviertel, die die Interessen der Händler und Gastronomen vertritt. Er betreibt eine Werbeagentur und spürt Aufbruchstimmung im Viertel, in dem er aufgewachsen ist.

„Im Juli vorigen Jahres war ich noch der einzige unter 50 im Vorstand“, sagt er, der sich zunächst um die Facebook-Seite der IG gekümmert hatte. Inzwischen gehören dem Gremium überwiegend Leute in seinem Alter an. Ihre gemeinsame Vision ist die „Digitale Severinstraße“: ein Bündel von Ideen, die die Einzelhändler vor Ort stärken sollen – mit Hilfe des Internets.

Neben der Shoppen-App gehören das dazu bereits vorhandene kostenfreie W-Lan auf der Straße, Aktivitäten in den sozialen Digitalnetzwerken und in Zukunft vielleicht per Bluetooth verbreitete historische Informationen über das Viertel und Werbung.

Bislang hat die Geschäfte der IG ein hauptamtlicher Veedelsmanager geführt. Seine Arbeit haben die Mitglieder nun unter sich aufgeteilt. „Der alte Vorstand hat eher wie ein Aufsichtsrat funktioniert“, sagt Köhler. Das sei nun vorbei: „Alle haben erkannt, dass es Zeit für einen Umbruch ist.“

Auf die Erfahrung der Älteren, die nach wie vor auch im Vorstand vertreten sind, greifen sie oft zurück, wenn es etwa um die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung geht. Beim gut besuchten Stammtisch der Interessengemeinschaft wiederum erklärt die internetaffine Generation ihnen, wie sie Instagram, Facebook oder Snapchat für Werbezwecke nutzen.

Alte und Junge profitieren

Beim Schlendern über die Straße sieht man den bärtigen Hipster an der Theke des alteingesessenen Fischhändlers. Wer im neuen, geschmackvoll durchgestylten Klamottenladen „Keep Loving“ nicht fündig geworden ist, macht einen Abstecher in die seit langen Jahren auf der Severinstraße beheimateten Boutique Di Perri. Vom Generationenwechsel profitieren alle.

„Man merkt, dass wieder Potenzial in der Straße steckt“, sagt Denise Moskopp, 28. Sie ist Teilhaberin und Geschäftsführerin von Optik Scholten, seit April auf der Straße vertreten. Viele Alteingesessene hätten ihr Angebot angepasst. „Und viele junge Leute bringen neue Ideen“, sagt sie.

Wenn man sich umhört bei den Geschäftsleuten, wie das Internet den Handel verändert, fällt oft der Name von Phillis Maaß und ihrem Geschäft „Glanz & Glück“. Im Hirschgäßchen verkauft die 26-Jährige gebrauchte Designer-Handtaschen für „um die 500 Euro“. Angefangen hat sie damit während des Studiums zur Gesundheitsökonomin – im Internet.

Ihre Taschen hat sie zunächst online verkauft. Weil aber viele Kundinnen vorher einen Blick auf die Waren werfen wollten, hatte sie irgendwann fast jeden Tag Besuch. Also eröffnete sie im September 2015 den Laden. „Showroom und Lager“, sagt sie zu dem kleinen Raum. Inzwischen macht sie im Severinsviertel mehr Umsatz als online, wenngleich beide Absatzarten für Wachstum sorgen. „Das Internet wird immer als Konkurrenz gesehen“, sagt sie. Dass das nicht sein muss, beweist sie mit ihrer „nicht ganz klassischen Existenzgründung“.

Eine Rolle für die Entwicklung im Viertel spielt sicher auch die steigende Kaufkraft im Viertel. Die Mieten gehören zu den höchsten in ganz NRW. Hier zu wohnen, muss man sich leisten können. Das scheint für die Händler aber auch Nachteile zu haben. Ladenlokale, die neu vermietet werden, sind ebenfalls mitunter recht teuer. Der mit jahrelangen Bauzäunen und Einschränkungen für die Händler verbundene U-Bahnbau hat daran wenig geändert. „Die Mieten sind nicht im gleichen Maße gesunken wie die Umsätze“, sagt Köhler. Heute stellen sie eine Hürde für Existenzgründer dar. Doch: „Die Besucherzahlen gehen ganz klar nach oben“, sagt Köhler.

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