Zwei Männer, zwei Schicksale: Mathias verlässt freiwillig sein altes Leben, Björn verliert alles – gemeinsam finden sie auf Deutschlands Radwegen ihre Freiheit.
HomelessZwei ungleiche Männer – eine gemeinsame Reise mit Fahrradwohnwagen

Mathias Zöhrer (links) und Björn Grotheer vor ihren Fahrradwohnwagen
Copyright: Inge Swolek
Björn Grotheer aus Köln und Mathias Zöhrer aus der Schweiz könnten unterschiedlicher kaum sein. Und doch verbindet die beiden Männer etwas Besonderes: Seit Monaten reisen sie gemeinsam mit dem Fahrrad quer durch Deutschland. Sie schlafen in ihren selbstgebauten Fahrradwohnwagen, kochen unter freiem Himmel und genießen die Freiheit und Nähe zur Natur. Zwei Aussteiger – mit ganz unterschiedlichen Geschichten.
„Als mein Vater, der ein Leben lang hart gearbeitet hat, plötzlich mit 64 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben ist, war mir klar: So möchtest du nicht enden“, erzählt der 34-jährige Mathias Zöhrer. Bis dahin hatte er gemeinsam mit seinen Brüdern im Familienbetrieb gearbeitet. Der Tod des Vaters wurde für ihn zum Wendepunkt. „Ich beschloss, mir eine Auszeit zu nehmen – zwei Jahre ohne Geld, ohne Luxus.“ Seit April ist er unterwegs.
Wenn du in zwei Jahren noch leben willst, musst du etwas ändern
Für den 44-jährigen Björn Grotheer war der Ausstieg weniger freiwillig. 2019 verlor er von heute auf morgen erst seinen Job, dann seine Wohnung. Er landete auf der Straße – einer von über 6000 Obdachlosen in Köln. „Ich habe zunächst in der Severinstraße zu dritt auf zwölf Quadratmetern gewohnt. Der eine duschte nie, der andere sprach den ganzen Tag mit der Wand – das war ganz schlimm“, erinnert er sich.
Alles zum Thema Severinstraße
- „So familiär wie rotzig“ Mit der Kölner Travestie-Künstlerin Swanee Feels durch die Südstadt
- Zweitälteste Schule von Köln Friedrich-Wilhelm-Gymnasium feiert 200-jähriges Jubiläum mit Prominenz
- „Längste Desch vun Kölle“ Jubiläum lockt Tausende Besucher zum ältesten Kölner Straßenfest
- 50 Jahre IG Severinsviertel „Dä längste Desch vun Kölle“ feiert Jubiläum
- Kölner Nahverkehr Warum so viele Bahnen und Busse der KVB zu spät kommen und ausfallen
- KVB-Qualitätsbericht Auf welcher Linie Bahnen 2024 am unzuverlässigsten waren
- „Unwürdige Situation“ Streit in Kölner Ehrengarde geht in die nächste Runde
Vom letzten Geld ein Fahrrad, einen Anhänger und ein Zelt gekauft
Bald geriet er in falsche Kreise, wurde alkoholabhängig. „Irgendwann hat sich der Körper gemeldet: Wenn du in zwei Jahren noch leben willst, musst du etwas ändern.“ Von seinem letzten Geld kaufte er ein gebrauchtes Fahrrad, einen alten Kinderanhänger und ein Zelt. Tagelang fuhr er durch Wälder und Felder, fern der Stadt, und fand neue Lebenskraft. „Ohne das Rad wäre ich untergegangen“, sagt Björn heute.
Ein Zufall führte die beiden Männer zusammen. Auf einem Fahrradwohnwagentreffen kreuzten sich ihre Wege. Die Community der Fahrradwohnwagen-Fans ist schräg bis skurril: Von fabrikneuen Modellen für fast 6.000 Euro bis hin zu abenteuerlichen Eigenbauten ist alles dabei. Eine Art Messe unter Gleichgesinnten.

Die kleine Wohnung ist laut Mathias Zöhrer komfortabel.
Copyright: Inge Swolek
Mathias Zöhrer war nur aus Neugier zu dem Treffen gekommen. Er wollte testen, wie sein selbst gebauter Camper im Vergleich zu anderen abschneidet. Sein mobiles Schlafzimmer aus drei Zentimeter dicken Styrodurplatten wog rund 65 Kilogramm, war 1,72 Meter hoch und bot eine Liegefläche von 2,20 mal 0,90 Metern – kompakt, leicht und nach eigener Aussage komfortabel.
„Ich entdeckte Björn mit seinem Kinderanhänger und dem kleinen Zelt“, erinnert sich Zöhrer. „Wir kamen ins Gespräch. Sein Schicksal hat mich berührt – und ich beschloss, ihm einen eigenen Anhänger zu bauen und zu schenken.“
Nur das nötigste Gepäck wird mitgenommen
Das Geschenk hat Björn Grotheer etwas Luxus beschert. Seitdem reisen die beiden als ungewöhnliches Gespann quer durch Deutschland, immer der Nase nach, immer draußen. Zehn Euro pro Tag – mehr geben sie nicht aus. „Man braucht gar nicht so viel, wie man denkt“, sagt Mathias.
Im Gepäck ist nur das Nötigste: ein Schlafsack, sechs Jogginghosen, 15 Boxershorts zwei Jacken, zwei Paar Schuhe, eine Warnweste und ein Verbandskasten. Das Herzstück ihrer mobilen Küche besteht aus einem Gaskocher, dazu ein Kartoffelstampfer und eine Muskatreibe. „Ich liebe Kartoffelstampf mit Muskat – dazu Möhren oder anderes Gemüse“, erzählt Grotheer. Der gelernte Koch zaubert einfache, aber nahrhafte Gerichte – genau das Richtige nach einem langen Tag im Sattel.
Den Strom für Kühlschrank, Handy und Laptop liefert ein Solarpanel auf dem Dach. Geduscht wird auf Campingplätzen oder in öffentlichen Schwimmbädern. Ein Leben mit wenig Besitz – aber mit viel Freiheit, Bewegung und Begegnung.
Reisen können auf Youtube verfolgt werden
Der Kölner Björn Grotheer hat inzwischen auch eine kleine Online-Community. Unter dem Namen „Homeless on Tour“ betreibt er einen eigenen Youtube-Kanal. Mit einer Kamera filmt er sich bei seinen Radtouren, beim Kochen oder zeigt, wie er den Alltag auf engstem Raum meistert.
„Ich freue mich über jeden Klick“, sagt er. „Mein größter Wunsch ist, daraus bald ein Kleingewerbe machen zu können und meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Ich bin ein freier Vogel – wenn ich irgendwann eine Frau kennenlerne, dann muss Mathias mir einen größeren Wagen bauen. Zu zweit wird’s auf Dauer sonst zu eng.“
„Ich könnte jederzeit zurück – aber ich bleibe“
Aktuell sind die beiden in Köln, wo für Björn Grotheer alles begann. Ihr nächstes Ziel: Südfrankreich. „Wenn wir an Silvester an der Côte d’Azur sind, dann haben wir alles richtig gemacht“, sagt er und lacht. Über 20.000 Kilometer hat er in den letzten drei Jahren bereits zurückgelegt – und kein Kilometer davon sei umsonst gewesen.

Für Mathias Zöhrers Katze gibt es sogar ein Bullauge, aus dem sie gucken kann.
Copyright: Inge Swolek
„Ich und meine Katze hatten eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung, 120 Quadratmeter“, erzählt Mathias Zöhrer. „Ich könnte jederzeit zurück – aber ich bleibe. Mir und meiner Katze, die ein eigenes Bullauge hat, fehlt nichts, seit ich gegangen bin.“ Für ihn ist der Verzicht kein Verlust, sondern ein Gewinn.
Zwei Männer, zwei Schicksale – und eine gemeinsame Reise, die zeigt, dass Freiheit nicht viel braucht: nur Mut, ein Fahrrad und den Willen, einfach loszulassen.

