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„So familiär wie rotzig“Mit der  Kölner Travestie-Künstlerin Swanee Feels durch die Südstadt

6 min
Eine Frau mit roten Haaren und Kappe, die Travestie-Künstlerin Swanee Feels, steht vor der Severinstorburg.

Annemarie Haupert ist Stadtführerin. Für sie beginnt ihre geliebte Südstadt an der Severinstorburg.

In Luxemburg geboren, in Köln schon lange heimisch: Annemarie Haupert, alias Swanee Feels, tritt als Travestie-Künstlerin auf und ist Stadtführerin. 

„Ich bin Travestiekünstlerin und Stadtführerin. Beides ist eine Show. Man muss performen, sich auf die Menschen einlassen - sonst laufen sie weg“, sagt Annemarie Haupert. Viele Jahre lang stand sie im legendären Kölner Travestie-Club „Timp“ auf der Bühne, parodierte unter ihrem Künstlernamen Swanee Feels Stars wie Judy Garland, Zarah Leander und Tina Turner. Doch 2008, nach 30 Jahren, schloss der Club seine Türen – und für Haupert war es vorbei mit den allnächtlichen Auftritten.

Swanee Feels gehörte zum Ensemble  im legendären Hotel „Timp“

„Ich trauere nicht, ich lebe im Jetzt. Es war eine fantastische Zeit, aber sie ist eben vorbei“, erinnert sie sich. Schon am Tag nach der Schließung fiel ihr eine Anzeige ins Auge: Stadtführer gesucht. Sie bewarb sich, erhielt die Zusage und absolvierte eine Ausbildung. Ihr erster Einsatz: eine Brauhaustour mit zwanzig Frauen. „Das lief ganz wunderbar. Wer von der Bühne kommt, kann us d’r Lamäng arbeiten. Aber Improvisation funktioniert nur, wenn man die Stadtgeschichte im Detail kennt und gut vorbereitet ist, “ betont Haupert.

Eine Frau mit blonder Perücke, Paillettenkleid und roter Federboa singt in ein Mikrofon.

Travestie heißt Verwandlung, hier Annemarie Haupert als Swanee Feels bei einem Aufritt im „Törtchen, Törtchen“ in der Apostelnstraße

Geboren in Luxemburg, aufgewachsen in Deutz und seit mehr als zwanzig Jahren zu Hause in der Südstadt, kennt sie ihr Viertel aus dem Effeff. „Das ist mein Revier. Die Südstadt ist so familiär wie rotzig“, sagt sie und erinnert sich an Kindheitserlebnisse. Ein Ausflug „op d’r schäl Sick“ war für die Familie stets etwas Besonderes: „Beim Hermann in der Severinstraße (heute der Trödelladen ‚Königslust‘ von Linus - Anm. d.Red.) wurde man vermessen und bekam eine perfekt sitzende Hose oder Jacke. Danach kaufte mein Vater beim Metzger einen Kranz Fleischwurst. Meine Schwestern und ich bekamen ein Brötchen mit einem Stück Wurst in die Hand – und so gingen wir mümmelnd über die Severinsbrücke wieder nach Hause.“

Anekdoten zum Stollwerck und Kartäuserkloster in der Südstadt

Auch heute noch weiß Haupert ihre Führungen mit persönlichen Geschichten zu würzen. Ob Severinstorburg, Stollwerck-Mädchen, das Narrenschiff oder das Kartäuserkloster. Hinter jeder Station verbirgt sich eine Anekdote, gern auch mal schlüpfrig, aber nie langweilig. „Historisch korrekt, aber lebendig erzählt“, so beschreibt sie ihren Stil.

Egal, wo die Touren stattfinden, ob auf Melaten, in der Altstadt oder in der Südstadt, der erste Weg führt in die Kirche. „Ich bin keine Kirchgängerin, aber katholisch, gläubig und abergläubisch. Vor jeder Tour gehe ich in meine Hauskirche St. Georg am Waidmarkt, eine der zwölf romanischen Kölner Kirchen. Ich werfe eine Münze ein, zünde eine Kerze an und halte kurz inne. Es kann nicht schaden.“

Vor einem Kreuz kniet eine  Frau mit rotem Haar mit gefalteten Händen.

Annemarie Haupert ist gäubig und abergläubig. Vor ihren Stadttouren zündet sie immer eine Kerzchen in ihrer Hauskirche in St.Georg an

Und was das Wetter betrifft: dafür sei in der Südstadt eigentlich Schutzpatron St. Severin zuständig, dessen Denkmal an der Severinsbrücke steht. „Aber auf den war in den letzten Jahren nicht immer Verlass“, sagt Haupert zwinkernd und man merkt, dass sie ihr Veedel kennt und liebt.

Severinstraße ist wie Via Toledo in Neapel, findet Annemarie Haupert

Die Südstadt gilt als das älteste Veedel Kölns und im Sommer mit den vielen Tischen und Bänken, sei es hier wie in Italien. Die Severinstraße ist so etwas wie die Via Toledo in Neapel. In den kleinen Nebenstraßen entdeckt man wunderschöne Ecken. Besonders sehenswert sind die typischen Kölner Hinterhöfe – ein Blick über die Mauern lässt einem manchmal den Atem stocken. Der Umgangston unter den Menschen ist herzlich und kumpelhaft.

„Man erzählt sich auf der Straße, wie hoch der Blutdruck heute ist und wo es zu was zu essen gibt. Hier ist Heimat; man braucht nicht in die Innenstadt. Beim Metzgermeister Werner gibt es die besten Mettwürstchen, beim Stürmer das beste Mett, eine wunderbare Erbsensuppe mit Eisbein oder Bohnensuppe mit Speck schmecken immer.  Und zur Karnevalszeit ist die Flönz der Renner.“

Ein Mann und eine Frau stehen nebeneinander in einem Fischgeschäft.

Thomas Hembsch führt in vierter Generation den Fischladen in der Südstadt. Annemarie Haupert ist Stammkundin.

Wer statt Fleisch lieber Fisch isst, dem empfiehlt Annemarie Haupert einen Besuch im Fischgeschäft Hembsch. Der Familienbetrieb hat sich seit über 100 Jahren auf Fisch spezialisiert und wird heute in vierter Generation von dem 35-jährigen Thomas Hembsch geführt.

„Wenn du auf der Kirmes Backfisch kaufst, bekommst du zwar ein riesiges paniertes Stück – machst du die Panade ab, dann musst du den Fisch aber mit der Lupe suchen. Hier stimmt die Relation. Zwei Mal im Jahr – an Heiligabend und Silvester – kaufe ich immer den roten Heringssalat. Einfach köstlich“, schwärmt die Südstadt-Kennerin.

Blick durch einen Torbogen in einen Kopfstein-gepflasterten Innenhof mit weiteren alten Gebäuden.

Im Innenhof der Kartäuserkirche findet jedes Jahr der Weihnachtsmarkt der KG Ponyhof statt.

Ein Veedel ohne Brauhaus, ohne Stammtisch – das wäre kaum denkbar. In der Südstadt gibt es davon einige, doch für die Travestiekünstlerin ist das Haus Wirtz, direkt neben dem Severins-Klösterchen, die erste Adresse.

„Den Besitzer kenne ich schon seit meiner Zeit im Timp. Er ist the Godfather of Kotelett. Wenn Familie oder Freunde zu Besuch kommen, dann gehe ich mit denen genau dorthin, um ihnen das kölsche Jeföhl zu zeigen. Die Kneipe ist so alt wie der Eiffelturm, die Wände haben seit 1970 keine frische Farbe mehr gesehen. Sogar die Bläck Fööss haben hier ihr 40 -jähriges Bühnenjubiläum gefeiert.“

Ein Mann mit Bart und eine Frau mit Kappe und Jeansjacke stehen nebeneinander.

Alex Haag ist seit 1977 der Pächter vom Haus Wirtz, die Bläck Fööss haben hier das 40 Jährige Bühnenjubiläum.

Alex, der Wirt, und Annemarie, alias Swanee, bedauern, dass es in ganz Köln kein wirkliches Nachtleben für Menschen über 50 gibt. Für die Jüngeren bis Mitte zwanzig halte die Südstadt im Ferkulum zwar einige Clubs bereit – doch für die ältere Generation bleibe die Auswahl dünn.

Rosa Ball und Röschensitzung

Auch fast 20 Jahre nach dem Ende des Timp steckt der Transfrau die Travestie-Kunst immer noch im Blut. Deshalb tritt sie auch heute noch regelmäßig als Moderatorin bei „Törtchen Törtchen“ in der Apostelnstraße auf. Dazu greift sie in ihren Fundus, der aus über 30 Roben und 20 Perücken besteht, und verwandelt sich in wenigen Minuten in Swanee Feels.

„Früher war Travestie etwas Exotisches – ob Peter Alexander oder Toni Curtis und Jack Lemmon in dem Film ‚Manche mögen’s heiß‘: Wenn Männer in Frauenkleider schlüpften, war das ein besonderes Ereignis. Heute ist das Genre übersättigt. In fast jeder TV-Show steht eine Drag Queen auf der Bühne – das hat mit Travestie im eigentlichen Sinne nichts zu tun“, sagt Haupert, die den Rosa Ball gemeinsam mit Ralph Morgenstern moderiert hat und im nächsten Jahr wieder bei der Röschen Sitzung im Gloria auf der Bühne steht.

Zwei Frauen stehen an einem Stehtisch am Einsturzloch des Kölner Stadtarchivs.

Anja Spörk, die Wirtin im Papa Rudi's, und Annemarie Haupert haben sich im Travestie-Nachtclub Timp kennengelernt und sind eine Lebensgemeinschaft.

Egal, ob als Stadtführerin oder als Swanee live auf der Bühne – die Liebe zur Show ist geblieben. „Ich bilde seit 27 Jahren mit Anja, der Pächterin von ‚Papa Rudi’s‘, der Kneipe am ehemaligen Stadtarchiv, eine Lebensgemeinschaft. Wir haben uns im Timp kennengelernt. Zweimal im Jahr gibt es eine Sommer- und eine Weihnachtsshow – ein bisschen Nostalgie muss sein.“

Und mit dieser Show in ihrem Veedel dokumentiert sie auch ihre Bindung an das Veedel. Hier fühlt sie sich wohl und in gewisser Weise auch geborgen. „Denn Köln ist einfach tolerant. Den Menschen hier ist es egal, wen Du liebst, woher Du kommst, welches Kölsch Du trinkst. Und Beleidigungen und Übergriffe habe ich hier nie erlebt, höchstens mal einen dummen Spruch, aber dann muss man einfach zurückpöbeln und alles ist gut“, betont die exotische Stadtführerin.


Annemarie Haupert empfiehlt einen Spaziergang durch die Südstadt mit Einkehr bei 1)Hembsch, Severinstraße 68-70, 2) Kotelett im Haus Wirtz, Isabellenstraße  3) Weihnachtsmarkt im Innenhof der Kartäuserkirche, Kartäuserwall 4) Besuch der Travestie-Show Ende November im Papa Rudi's, Waidmarkt 2

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