Zaun rund um den Brüsseler Platz?Stadt Köln verliert Klage im Lärm-Streit

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Deutliche Worte vor Gericht: Die Stadt Köln muss die Bürger am Brüsseler Platz besser schützen.

Entscheidung nach acht Jahren: Das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) hat am Donnerstag (28. September) die Berufung der Stadt Köln im Lärm-Streit am Brüsseler Platz zurückgewiesen. Fünf Anwohner hatten die Stadt Köln verklagt, sie fordern von der Stadt, im Belgischen Viertel für die gesetzliche Nachtruhe zwischen 22 und 6 Uhr zu sorgen (siehe Chronik am Ende des Textes).

Richterin Annette Kleinschnittger sagte Richtung der Stadt: „Die bisherigen Maßnahmen der Stadt sind evident unzureichend. Wir sagen Ihnen nicht, was Sie zu tun haben, aber wir sagen Ihnen, dass Sie etwas zu tun haben.“ Die Stadt muss laut Kleinschnittger einschreiten, um die Gesundheit der Bürger zu schützen. „Damit haben Sie jetzt ernsthaft etwas zu tun“, sagte sie zu den städtischen Vertretern. Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig.

Urteil des Verwaltungsgerichts: Stadt ging 2018 in Berufung

Die Stadt war zuvor gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln 2018 in Berufung gegangen; damals hatte das Gericht Maßnahmen gefordert, um die Nachtruhe zwischen 22 und 6 Uhr sicherzustellen.

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Richterin Kleinschnittger sagte: „Man kann anhand des Verhaltens der Stadt Köln nicht davon ausgehen, dass sie das missbilligt, was dort passiert.“ Bevor eine Stadt sage, sie müsse akzeptieren, wie es ist, müsse sie alle Register ziehen. Kleinschnittger sprach ein Alkoholverbot oder ein Verweilverbot an. Und sie regte sogar einen Zaun um die Kirche St. Michael an, die im Zentrum des Platzes steht. Laut Kleinschnittger stellt sich sogar die Frage, ob die Stadt sich nicht zum Veranstalter einer Party gemacht hat.

Laut OVG sind die Lärm-Messwerte aus dem Sommer 2022 „jenseits von Gut und Böse“ und „nicht zumutbar“. Erlaubt sind nachts 45 Dezibel, im Schnitt waren es gegen Mitternacht vor dem Fenster von Kläger Dieter Reichenbach in der fünften Etage beispielsweise knapp 70 Dezibel, in Spitzen sogar 85 Dezibel. Kleinschnittger sagte: „Das ist weit entfernt davon, was irgendwelche Regelwerke erlauben.“

Wie geht es jetzt weiter?

Die große Frage ist, was das nun konkret heißt: Darf die Außengastronomie am Brüsseler Platz nicht mehr so lange wie bisher öffnen? Wird die Stadt den Platz, notfalls mit der Polizei, räumen, weil die Stadt dort ein nächtliches Verweilverbot ausspricht? Bislang wollte sie das nicht.

Die Stadt Köln hatte schon im Vorfeld angekündigt, sich inhaltlich am Donnerstag nicht zum Urteil äußern zu wollen. Sie teilte mit: „Die Stadt Köln wird dieses Urteil ausführlich prüfen. Die Verwaltung bittet in diesem Zusammenhang um Verständnis, dass zuerst die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werden muss, ehe eine ausführliche Stellungnahme seitens der Stadt Köln erfolgen kann.“ Das OVG hat keine Revision zugelassen, dagegen kann die Stadt Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlegen.

Rückblick: Einen weiteren Teilerfolg nach 2018 hatten die klagenden Anwohner im November 2019 gefeiert. Damals einigten sie sich vor dem OVG mit der Stadt auf sechs Maßnahmen, um für Ruhe zu sorgen. Sie gelten bis zum finalen OVG-Urteil. Eine davon war, dass die Stadt vor allem an warmen Wochenenden streng kontrollieren sollte, ob sich die Gastronomen an die Regeln halten, also nicht zu laut sind oder später als 23.30 Uhr schließen. Allerdings kam kurz darauf die Corona-Pandemie, in der auf dem Brüsseler Platz teils ohnehin ein Verweilverbot herrschte.

Ähnliche Probleme in Freiburg

Im August hatte auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Stadt Freiburg rechtskräftig dazu verurteilt, am Augustinerplatz für Nachtruhe zu sorgen. Beispielhaft nannte das Gericht ein Verbot von Glasflaschen oder die Beschlagnahmung von Musikboxen. Das Urteil war mehrfach Thema in Münster.

Die Richterin las am Donnerstag sogar eine Passage von der städtischen Internetseite vor, in der der Brüsseler Platz als Szene-Treff beschrieben wird. Kleinschnittger sagte sehr deutlich in Richtung der städtischen Vertreter: „Das liest sich wie ein Werbeschreiben für das Treffen am Brüsseler Platz. Was da nicht steht, ist: Bleibt zu Hause. Das liest sich wie eine Einladung. Es fehlt die deutliche Positionierung der Stadt Köln zu sagen, es gibt ein Recht auf Nachtruhe.“

Der Streit im Belgischen Viertel läuft seit vielen Jahren. Ein Problem laut Stadt: Die einzelnen Menschen für sich sind nicht zu laut, doch die Gesamtheit aller Menschen überschreitet die zulässigen Lärmwerte.

Berater Detlev Wiener leitete vor mehr als zehn Jahren ein Meditationsverfahren, das letztlich zu keiner dauerhaften Befriedung führte, er sagte im Vorfeld des Urteils: „Ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, eine Lösung zu finden, um rund um den Platz Frieden zu schaffen.“


Chronik des Lärm-Streits am Brüsseler Platz

2005: Der katholische Weltjugendtag findet statt, manche Anwohner sehen diese Veranstaltung als Beginn für das abendliche Treffen am Brüsseler Platz. Andere berichten, dass es auch schon vorher losging. 

2008: Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt: „Anwohner des Brüsseler Platzes klagen über Lärm und Dreck.“ Die Stadt erwägt ein Alkohol- und Flaschenverbot. Die Bezirksvertretung Innenstadt beschließt ein Moderationsverfahren.

2013: Anwohner und Stadt einigen sich auf einen sogenannten „modus vivendi“. Unter anderem soll das  Ordnungsamt die Menschen ab 22 Uhr zum Verlassen überreden.

2015: Anwohner verklagen die Stadt Köln vor dem Verwaltungsgericht Köln, sie wollen ihre Nachtruhe.

2018: Das Verwaltungsgericht Köln verpflichtet die Stadt, die Gesundheit ihrer Bürger zwischen 22 und 6 Uhr zu schützen. Der Richter nennt unter anderem ein Verweilverbot für den Brüsseler Platz als Option. Der damalige Stadtdirektor Stephan Keller bezeichnet das als massiven Eingriff in die Grundrechte der Menschen. In der Corona-Pandemie allerdings spricht die Stadt eben jenes Verweilverbot auf dem Brüsseler Platz aus.

2018: Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) legt die Stadt Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ein.

2019: Die Anwohner stellen einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Das Ziel: Sie wollen nach vier Jahren eine schnellere Entscheidung. Wenige Monate später im selben Jahr verhängt die Stadt die ersten sechs Maßnahmen, sie gelten bis zum Urteil. (mhe)

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