„Es wird von Tag zu Tag mehr“Kölner Kitas rechnen mit Anstieg – kann das gut gehen?

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Kinder sollen nur im Notfall in Kindertagesstätten betreut werden. Doch der Bedarf wächst. (Symbolfoto)

  • Lange waren die Kölner Kitas verwaist. Viele hatten ganz geschlossen, in anderen spielten zwei oder drei Kinder. Das hat sich zum Ende dieser Woche spürbar geändert.
  • Mit der deutlichen Ausweitung der Berufsgruppen, die als systemrelevant eingestuft werden, steigt die Zahl der Anfragen von Eltern in den Kitas.
  • Kann das gut gehen? Wir haben uns mit Verantwortlichen, Kita-Mitarbeitern und Eltern über die Situation unterhalten.

Köln – „Es wird von Tag zu Tag mehr“, sagt Claudia March, Geschäftsführerin evangelischen Kita-Verband Köln-Nord. De facto haben nämlich durch die Ausweitung der Kita-Betreuung inzwischen eine Vielzahl Kölner Eltern Anspruch auf Betreuung: Auf der langen Liste der Anspruchsberechtigten finden sich Anwälte, Notare, Tankwarte, Banker, Reinigungskräfte, Postboten und Mitarbeiter der Kosmetikindustrie und der chemischen Industrie und viele mehr. Wenn ein Elternteil die entsprechende Bescheinigung des Arbeitgebers vorlegt und beide Partner auf Nachfrage versichern, ihr Kind nicht adäquat betreuen zu können, kann die Kita eine Betreuung nicht ablehnen.

Kölner Kitas: Angst vor dem Dominoeffekt

Nachprüfen tut das allerdings keiner. „Es ist das Problem, dass es letztendlich die Entscheidung der Eltern ist“, erläutert Arnt Kirchner, Vorstandsmitglied der Elterninitiative „Rio“ in Ehrenfeld. Während manche jede Menge Aufwand und blanke Nerven in Kauf nähmen, um die Kinder irgendwie zu betreuen, wählten andere den vermeintlich einfacheren Weg und schicken ihre Kinder in die Kita. Er befürchtet, dass daraus ein Dominoeffekt entstehen könnte, weil immer mehr Eltern sich fragen, warum sie unter großen persönlichen Opfern Rücksicht nehmen sollten, wenn andere, die womöglich sogar bessere Bedingungen hätten, das nicht täten.

Wenn ab kommenden Montag auch die Alleinerziehenden Anspruch auf Betreuung haben, rechnen die Kölner Kitas mit einem erneuten Anstieg. Schon innerhalb dieser Woche hat sich die Zahl der Kinder in vielen Kölner Einrichtungen verdoppelt. Im Fall der evangelischen Kitas von 14 Kinder auf mehr als 30 Kinder. Bei der eingruppigen Elterninitiative „Rio“ stieg die Zahl innerhalb einer Woche von Null auf 4, in der evangelischen Kinderarche von 3 auf 7. Die städtischen Kitas betreuen derzeit 702 Kinder im Notbetrieb. Jugenddezernent Robert Voigtsberger rechnet offiziell nur mit einem „moderaten“ weiteren Anstieg. Aber sicher weiß das keiner, zumal das allgemeinen Verhalten im öffentlichen Raum eher auf zunehmende Sorglosigkeit schließen lässt und gleichzeitig viele Eltern ihr Kontingent an Urlaub oder freien Tagen ausgereizt haben.

Abstand in der Kita ist Utopie

Die bange Frage, die sich die Kölner Erzieher stellen, ist, wie „wir mit dieser riesigen Herausforderung umgehen, wenn jetzt sukzessive mehr Kinder kommen“, sagt March. „Ein Arbeiten mit Mundschutz ist gerade bei den ganz Kleinen keine Option. Sie reagieren darauf verstört und brauchen auch die Mimik der Erwachsenen“, betont Beate Robie, Leiterin der Kita Kinderarche. Auch Abstand halten ist Utopie: „Wickeln, aufheben, Trösten, da geht mit Abstand gar nichts“, so Robie. „Sollen wir einem Zweijährigen, der sich das Knie aufschlägt, sagen, mach dir die Wunde selber sauber?“

Dabei treibt alle die Sorge um, was das bedeutet, wenn jetzt wöchentlich mehr Kinder durcheinanderwuseln. Was es für die Ausbreitung der Infektion in Köln bedeutet und was für die Gesundheit der Mitarbeiter. Denn die ursprüngliche Vorgabe, dass sich nur fünf Kinder als feste Gruppe in einem Raum aufhalten sollen, wurde in dieser Woche an die Kitas verschickten neuen Fachempfehlungen der Landesregierung aufgehoben. „Das Infektionsgeschehen lässt zu, dass von bisherigen Maßgaben bezüglich der Kontaktnetze abgewichen wird“, heißt es darin.

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Obergrenzen für Gruppengrößen sind künftig nicht definiert. Es bleibt bei der Empfehlung, dass feste Gruppen gebildet werden sollen, die in klar definierten Räumlichkeiten spielen, damit Rückverfolgung möglich wird. Dass sich die neuen Kontaktnetze auch immer wieder verändern, weil täglich neue Kinder dazukommen, wird als „erhöhtes“, aber „vertretbares Risiko“ eingestuft. „Wie soll das mit den festen Gruppen gehen, wenn bestimmte Kinder nur an bestimmten Tagen kommen und täglich neue Kinder dazukommen? Das ist de facto unmöglich“, meint Kirchner. Maßgeblich sei, dass Personal, Eltern und Kinder im Privaten weiter Sozialkontakte meiden, betont die Landesregierung.

Eine Maskenpflicht für das Personal soll es nicht geben. Hygienemäßig sehen sich die Kölner Kitas gut aufgestellt mit Stoffrollen, Seife und Desinfektionsmitteln. Die neue Richtlinie von Familienminister Joachim Stamp sieht aber keine regelmäßige Flächendesinfektion von Kontaktflächen, Böden, Möbel oder Spielzeug vor. „Auch bei häufigen Kontaktflächen reicht die Reinigung mit einem handelsüblichen Reiniger aus“, steht dort. Empfohlen wird lediglich viermal täglich zehn Minuten zu lüften und bevorzugt im Freien zu spielen. Die Vorgaben sind also deutlich weniger restriktiv als in den Schulen, wo regelmäßig etwa Handläufe und Klinken und Kontaktflächen wie Schülerpulte desinfiziert werden müssen.

Regelmäßige Desinfektion

Das sei seiner Kita zu wenig, so Kirchner. Auf Betreiben des Vorstands sollen dort auch regelmäßig die Böden sowie alle Kontaktflächen und das Spielzeug desinfiziert werden. Zudem sollen in allen Kitas die Eltern draußen bleiben. Ob das reicht, um bei immer mehr Kindern und wechselnden Konstellationen das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen.

Es sei absolut zentral, dass trotz der Erweiterung Anspruchsberechtigten weiter nur die kämen, die wirklich gar keine andere Option mehr sähen“, betont March. „Wir führen mit jeder Familie noch mal Gespräche, um zu eruieren, ob es nicht doch Alternativen gibt und bitten, genau zu überlegen, ob sie das Risiko eingehen wollen“, sagt Robie.

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