Kölner Konzertveranstalter Jan Krauthäuser„Corona ist wie ein Stresstest für uns“

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Jan Krauthäuser beim Gespräch im Odonien

  • Der Kölner Konzertveranstalter Jan Krauthäuser hat kurz nach dem Corona-Lockdown die erste Konzertreihe unter Hygieneregeln in der Stadt veranstaltet.
  • Was er daraus für die Durchführbarkeit von Konzerten gelernt hat und wie der erste Corona-Sommer gelaufen ist, erzählt er im Interview.
  • Außerdem spricht er darüber, wie sich Kölns interkulturelle Musikszene verändert hat und warum Kölns Kulturpolitik nicht offen genug für Vielfalt ist.

Mit dem Verein „Humba e.V.“ organisieren Sie seit 25 Jahren die multikulturelle Karnevalsparty „Humba“. Der nächste Karneval wird vermutlich größtenteils flachfallen. Planen Sie dennoch? Wir wollen etwas versuchen, auch aus Solidarität zum Gloria und zu den Musikern. Denn je weniger stattfindet, desto mehr wird auch kaputtgehen. Wie machen wir das finanzierbar? Womöglich durch erhöhte Eintrittsgelder. Während wir früher 700 bis 800 Menschen einließen, werden es dann nur noch 200-300 rein, die dann sitzen werden. Hier wäre unkomplizierte Kulturförderung wichtig. Wie passen Karneval und interkulturelle Musik überhaupt zusammen?

Ich habe einige musikalische Recherchen in Afrika und Brasilien unternommen und dabei gelernt, dass die regionale Musikkultur häufig eine Festkultur im Zentrum hat – und progressive Popmusik in einer Festkultur verwurzelt ist. Auch der elegante Bossa Nova ist von der brasilianischen Karnevalstrommelei nicht so weit entfernt. In Köln gibt es eine verrückte, regionale Festtradition, deren Musik in den 90er Jahren aber nicht besonders interessant war. Andererseits gab es tolle zugereiste Musiker. Diese Leute haben wir eingeladen: Bringt Eure Vielfalt in den Kölner Karneval ein! Von Afrikanern aus der Südstadt über Iraner aus Nippes bis zu kölschen Kegel-Omas aus Kalk. Es war ein Riesenerfolg – aber leider kein kommerzieller, weil scheinbar nicht so viele Menschen solch eine Vielfalt verarbeiten können.

Bald nach dem Lockdown haben Sie im Odonischen Biergarten den Global Music Club Cologne eröffnet – die erste corona-konforme Konzertreihe der Stadt. Was nehmen Sie aus der Corona-Krise mit?

Eine Chance von Corona ist, dass man einen Stresstest hat und schaut, was funktioniert und was nicht. Was kann man beibehalten? Odo Rumpf (Bildhauer und Betreiber des Veranstaltungsortes Odonien, Anm. d. Red.) und ich haben überlegt, wie wir unser jährliches Brasilonia-Festival retten können. Dafür haben wir uns dieses duale Modell überlegt: Erst der Live-Stream, und sobald es geht wieder Live-Konzerte. Daraus ist dann eine wöchentliche Reihe im Odonien geworden. Wir wollten so früh wie möglich wieder bereit sein. Die Musiker waren happy, wieder auf die Bühne zu kommen. Insgesamt war mein Corona-Sommer mit 35 Konzerten und einer Vereinsgründung erstaunlich produktiv.

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Sie meinen den Verein „Globale Musik Köln“. Seit 30 Jahren bewegen Sie sich in der interkulturellen Musikszene. Wieso kommt der Verein gerade jetzt?

Das hat verschiedene Gründe. Vielfalt ist ein tolle Sache, aber bei der Kommunikation manchmal auch ein Problem. Heterogenität ist häufig eben das Gegenteil von Strategie. In unserer Szenevertretung „AG Globale Musik“ haben unterschiedliche Konzepte drei Jahre miteinander gerungen. Letztlich hat sich eine Mehrheit klar für eine demokratische Vereinsstruktur stark gemacht, damit wir eine gemeinsame Basis haben. Corona hat zudem gezeigt, dass wir uns solidarisch organisieren müssen, um mit unseren kreativen Nischen zu überleben.

Was ist das Ziel?

Dass man dieser globalen Musikszene eine Stimme gibt. Es sind Musikbereiche, die eine externe Herkunft haben und von Lobbys und Institutionen kaum erfasst werden. Da gibt es Wahnsinnsmusiker, die eigentlich längst Vorzeigekünstler dieser Stadt sein müssten. Es geht darum, die ganze Vielfalt zu vernetzen und zu präsentieren. Der politische Wille bis rein ins konservative Lager ist mittlerweile da. Weil die Gesellschaft diverser geworden ist – in Köln allemal. Das müsste man endlich als Stärke und Marke in unserer Kulturpolitik aufnehmen und umsetzen. Stattdessen ist es in Köln aber ein Treppenwitz, dass man sein Multikulti-Image herausstellt, aber wenn es drauf ankommt, zu ängstlich ist und lieber beim Bewährten bleibt.

Wo haben Sie diese Einstellung konkret erlebt?

Ich habe in den letzten Jahren an diversen runden Tischen gesessen: vom Kulturentwicklungsplan bis hin zur Rettung des Straßenkarnevals. Überall gibt es tolle Diskussionen und Ideen. Aber es bleibt in Sachen Vielfalt meist bei Absichtserklärungen. Auch deswegen braucht es eine starke Vertretung.

Wie hat sich die interkulturelle Szene entwickelt?

In Köln gab es in den 90ern eine Aufbruchsituation, wie überall. Da ist die sogenannte „World-Music-Szene“ entstanden – erfunden wohl von der Londoner Labelszene, die ein Fach brauchte für die tollen Schallplatten, die sonst nirgends reinpassten. Das brachte neues Selbstbewusstsein: Wenn die Araber in Paris plötzlich einen Hit schreiben, warum sollen wir das in Deutschland nicht auch machen? Es hat sich hier leider nicht so erfolgreich entwickelt wie erhofft. Tolle Bands wie die Schäl Sick Brass Band konnten trotzdem nicht davon leben. Mainstream und Ignoranz waren zu stark. Die Szene hat sich dann weiter in ihre Nische begeben: In der iranischen Migrantenszene sind viele Intellektuelle, die ein Interesse an komponierter, konzertanter Musik haben. Die füllen dann auch mal die Philharmonie. Andere Szenen sind von Studenten- und Freakpublikum abhängig, da ist es schwer, Geld zu holen. Dann gibt es die Salsa-Szene, die lebendig ist, weil da auch der Tanzmarkt funktioniert. Hinter dem künstlerischen Aspekt steht immer auch ein politischer: Zu zeigen, dass andere Kulturen auch etwas Starkes einbringen.

Wieso gibt es keine feste Bühne in Köln für die interkulturelle Szene?

Gute Frage. In kleineren Städten gibt es häufig ein tolles Kulturzentrum, wo sich sowohl die großen als auch die kleinen Namen treffen. In Köln war das zum Teil nicht gewollt. Im Stadtgarten gab es zwar eine Offenheit für die World-Music-Szene, aber das ging nicht über ein bestimmtes Level hinaus. Auch an anderen Orten diente sie eher als exotische Dekoration. Das ist kein großer Vorwurf, aber man kann schon konstatieren, dass es eine gewisse Angst gibt, dass die gewohnte Kultur-Architektur erschüttert wird. Was mich ärgert, denn der internationale Austausch ist ja ein Innovationsmotor.

Sie wünschen sich also eine Heimstätte...

Ja, einen zentralen Anlaufpunkt. Das hätte das neue Rautenstrauch-Joest-Museum werden können. Aber leider ist es nicht der versprochene Begegnungsraum für die interkulturelle Szene geworden. Das gibt schon die selbstverliebte Architektur mit dieser riesigen Mauer vor, die sich monumental gegen das älteste Multikulti-Viertel Kölns mit seinen asiatischen und afrikanischen Shops und Restaurants abgrenzt. Aber ich setze große Hoffnung in die neue Direktorin. Ich habe mich auch für die Akademie der Künste der Welt engagiert. Dort wurde aber bald ausschließlich ein globaler Akademismus konstruiert. Über die Jahre bin ich enttäuscht worden, dass keine dieser Institutionen die musikalische Vielfalt in Köln wirklich unterstützt und genutzt hat.

Globale Musik, world music, alles Begriffe, um nicht „Weltmusik“ zu sagen. Wieso eigentlich?

Also ich meide gar keinen Begriff. Ich halte es für Wichtigtuerei, darüber zu streiten, weil letztlich alle wissen, worum es geht. Nämlich darum, darzustellen, dass es auf der Welt mehr gibt, als der westliche Mainstream hergibt. Ich bin auch kein Freund von Antirassismus-Veranstaltungen: Man kann viel mehr gegen Rassismus tun, indem man die Vielfalt feiert. Ich habe über zehn Jahre mit Kölner Zigeunern zusammengearbeitet, die darauf bestanden haben, dass man sie so nennt, und die stinksauer waren, dass ihre großartige Kultur, die sie einfach mal positiv darstellen wollten, ständig auf die Opferrolle reduziert wurde. Man sollte eben auch die Vielfalt der Meinungen und Perspektiven akzeptieren.

Zur Person

Jan Krauthäuser ist 58 Jahre alt und aus Köln. Er ist mit einer Brasilianerin verheiratet und hat vier Kinder. Der studierte Grafikdesigner betrieb von 1994 bis 2001 den World-Music-Plattenladen „Yalla Music“ in Köln.

Den Verein Humba e.V. gründete er 1995 und initiiert seitdem jährlich die „Humba-Party“, eine multikuturelle Karnevalsfeier. Seit 2005 organisiert Krauthäuser auch das Edelweißpiratenfestival im Friedenspark, das wegen Corona dieses Jahr auf 18 Stationen aufgefächert wurde. Dieses Format soll zukünftig weiterentwickelt werden.

Das nächste Konzert findet am Freitag, 9. Oktober, statt. Die Band HopStop Banda präsentiert in der Lutherkirche Südstadt am Martin-Luther-Platz eine Mischung aus osteuropäischer, lateinamerikanischer und jiddischer Musiktradition. Beginn ist um 19 Uhr. Tickets kosten 17 Euro im Vorverkauf und 20 Euro an der Abendkasse. (gam)

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