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Kölner Künstler in der Not„Mein Leben ist leer, versuche mich gerade umzuorientieren“

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Viele Bühnen in Köln bleiben derzeit leer (Symbolbild)

  • Die Terminkalender der Kölner Künstler sind noch immer größtenteils blank, coronabedingt fallen die meisten Veranstaltungen aus.
  • Von den staatlichen Hilfsgeldern profitieren viele nicht, dabei bemüht sich das Land.
  • Einige Kulturschaffende aus Köln haben bereits einen Antrag auf Hartz IV gestellt.

Köln – Soforthilfe, Überbrückungshilfe, Notfallfonds: Bei dem Dschungel der Corona-Hilfen gewinnt man schnell den Eindruck, es regne Geld für alle, die unter der Krise hohe Einnahmeeinbußen bis hin zu Totalausfällen verzeichnen. Das sehen Künstler und Solo-Selbstständige im Kulturbereich anders. Ihre Lage ist trotz gut gemeinter Geldpakete desaströs: Wer die Soforthilfe empfangen hat, der kann nur 2000 von 9000 Euro für den Lebensunterhalt behalten – der Rest ist für Betriebsausgaben vorgesehen, die Solo-Selbstständige kaum haben.

Zudem finden seit März so gut wie keine Veranstaltungen statt. Alle zwei Wochen werden die Hygiene-Auflagen erneuert, die Konzerthäuser und Theater vor Hürden stellen, weil sich der Aufwand für eine geringe Auslastung häufig nicht lohnt. So fahren die Kultureinrichtungen auf Sicht und wissen noch nicht, wie es etwa im September weitergehen soll, wenn die Sommerpause vorbei ist. Die Terminkalender der Künstler sind weiter blank.

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„Laschet hat gesagt, er möchte, dass kein Künstler Hartz IV beantragt“, sagt die Kölner Kabarettistin Eva Eiselt. „Zu spät“, fügt die 44-Jährige hinzu. Dabei bemüht sich das Land: Nach dem schnell aufgebrauchten Topf für Künstler am Anfang der Pandemie ist nun ein weiteres millionenschweres Paket für die Kultur beschlossen worden. Von 185 Millionen Euro sind allein 105 Millionen für freischaffende Künstler reserviert, „um neue kreative Potenziale freizusetzen“, wie das Ministerium für Kultur und Wissenschaft mitteilt. 15.000 Personen sollen bald ein Stipendium in Höhe von 7000 Euro erhalten, derzeit arbeite man an den Richtlinien.

Unklare Situation der Künstler in Köln

„Das ist sicher ein richtiger Weg. Wir wissen noch nicht, wie viel Geld davon in Köln ankommt und wie die Stadt darauf reagiert“, sagt SPD-Ratsmitglied Klaus Schäfer. Der Termin für die Anhörung von freischaffenden Künstlern, die im der vergangenen Sitzung des Kulturausschusses des Stadtrats angestoßen wurde, stehe immer noch nicht fest. „Die Verwaltung ist dabei, umzusetzen, was wir angeregt haben. Die Politik erhofft sich eine genaue Lagebeschreibung, denn wir wissen wenig darüber, wie es den Künstlern geht, nur, dass die Not groß ist“, so Schäfer, der für die nächste Sitzung Ende August Klarheit fordert, damit vor der Kommunalwahl am 13. September noch etwas passiere.

Bis dahin können die Künstler noch auf besagtes Stipendium hoffen: Geld, das projektgebunden verwendet werden soll. Doch Eiselt ist skeptisch. „Das Geld ist doch wieder an Bedingungen geknüpft, und ein Stipendium bekommen ist wie ein Lotterie-Spiel. Das hat mit Bedarf nichts zu tun“, so die Kabarettistin. Auch Musiker Ebasa Pallada von der alternativen Karnevalssitzung „Deine Sitzung“ zweifelt an dessen Sinn. „Es ist immer gut, die Kultur zu fördern, aber in so einer Krise wäre es wichtiger, Geld für die Existenzsicherung zu erhalten“, sagt der 51-jährige Trompeter, der seit März keinen Auftritt hatte und noch von seinen Einnahmen aus der Karnevalssaison zehrt. Wie soll man „Potenziale freisetzen“, fragt der Musiker, wenn man damit beschäftigt ist, zu überleben?

Die Stimmung unter den Künstlern ist entsprechend gedrückt, die Situation für viele eine seelische Herausforderung: „Mein Leben ist leer. Ich versuche mich gerade umzuorientieren, aber ich liebe meinen Beruf, ich will ihn auch ausüben dürfen“, sagt Schauspieler Thomas Wißmann. Er hat gerade einen Antrag auf Hartz IV gestellt.

Kölner Wohnung für Hartz IV fünf Quadratmeter zu groß

Während bereits die ersten Mitteilungen zur Rückzahlung der Corona-Hilfen eintrudeln, scheint das Ende der Krise nicht absehbar. 2000 Euro in vier Monaten? Das helfe nicht, sagt Anny Hartmann, politische Kabarettistin. Dabei sei am Anfang noch keine Rede davon gewesen, dass nicht die gesamte Summe, also 9000 Euro, für den Lebensunterhalt zur Verfügung stünden. „Auf den Bewilligungsbescheiden von Anträgen, die vor dem 1. April gestellt wurden, stand von einer solchen Einschränkung in der Verwendung des Geldes nichts. Seitdem wurden die Richtlinien mehrfach geändert“, sagt Hartmann. „Mein Mann und ich haben gemeinsam 1800 Euro Fixkosten im Monat. 

Die Krankenversicherung zählt nicht zu den Betriebsausgaben. Und die Beiträge der privaten Rentenversicherung auch nicht. Mich ärgert, dass bei Künstlern immer so getan wird, als würde man dem Staat auf der Tasche sitzen“, so Hartmann. Man richte jene zugrunde, die maßgeblich zum Staatseinkommen beitrügen. Sie lebe nun von ihren Rücklagen, denn ihre Wohnung sei für Hartz IV fünf Quadratmeter zu groß.

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Mancher Künstler meidet lieber das System Grundsicherung. „Man kommt in so eine Beweislast, man gilt als schuldig, obwohl man nichts gemacht hat. Eine Sachbearbeiterin entschuldigte sich wegen der vielen demütigenden Fragen. Da habe ich beschlossen, dass ich das nicht will“, erzählt Kabarettistin Eiselt, die in Bad Münstereifel eine Open-Air-Bühne betreibt. Doch auch hier zeige sich die Ungerechtigkeit des Systems. „Alles, was ich dazuverdiene, muss ich dann wieder zurückzahlen. Kurzarbeiter dürfen doch auch aufstocken“.

Die Corona-Krise offenbare die mangelnde Wertschätzung für Kultur und insbesondere die freie Szene – und das Fehlen einer Lobby. Noch kein Politiker habe auf die oft gestellte Frage, warum im Flugzeug jeder Platz besetzt werden könne, im Theater aber nicht, eine Antwort parat gehabt. Und nun? „Ich bekomme Anfragen, dass ich zweimal pro Abend mein Solo-Programm spielen soll. Die Leute unterschätzen, wie anstrengend das ist“, sagt Hartmann. Und Eiselt: „Wir sind solidarisch und halten uns an die Auflagen. Wenn ich Mallorca-Urlauber sehe, denke ich: Bitte Abstand halten. Wir dürfen immer noch nicht richtig arbeiten“.

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