100 neue S-Bahnen für KölnVergabeverfahren macht Kritiker fassungslos

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Ein neues Stellwerkhat am 2. November die Steuerung des S-Bahnverkehrs am Hauptbahnhof übernommen.

Köln – Der Fahrbetrieb der S-Bahn Köln ist ein lukrativer Großauftrag für jedes Eisenbahnunternehmen. Acht S-Bahn-Linien mit einer maximalen Fahrleistung von 14,1 Millionen Kilometern pro Jahr wird der Verband Nahverkehr Rheinland (NVR) in Kooperation mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) in ein paar Tagen europaweit ausschreiben.

Und das für voraussichtlich zehn Jahre, vom Fahrplanwechsel im Dezember 2023 bis Ende 2032 plus Verlängerungsoption von maximal zwei Jahren pro Linie.

Sieger steht schon vor der Ausschreibung fest

Man sollte meinen, dass die Bewerber Schlange stehen, doch das Gegenteil ist der Fall. Der Sieger steht im Grunde schon vor der Ausschreibung fest.

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Die DB Regio NRW, ehemaliger Monopolist und derzeitiger Betreiber der Kölner S-Bahn, muss mit keinem ernsthaften Gegner rechnen. Das liegt nicht etwa an der Schwäche der privaten Konkurrenz, sondern an den Bedingungen der Ausschreibungen.

Betreiber muss auch alle Züge stellen

Der neue Betreiber ist nämlich verpflichtet, bis voraussichtlich Dezember 2029 nicht nur das Personal, sondern auch alle Züge zu stellen und sich um deren Wartung und Instandhaltung zu kümmern. Und dazu sieht sich bis auf die DB Regio niemand in der Lage. Schon gar nicht bis zum Vertragsstart Dezember 2023.

Der Nahverkehr Rheinland (NVR) bereitet zurzeit zwar die Ausschreibung für den Kauf von bis zu 100 neuen einteiligen S-Bahn-Zügen vor, die bis zu 170 Meter lang sein werden und deutlich mehr Pendler aufnehmen können. Ein Auftrag, der die Milliardengrenze deutlich überschreiten wird. Vor September 2027 werden die ersten Züge aber nicht fertig sein.

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Heiko Sedlaczek

„Wir müssen jetzt einfach einen Zeitraum überbrücken, bis die Industrie die neuen Fahrzeuge liefern kann, die wir dem Betreiber dann sukzessive zur Verfügung stellen“, versucht NVR-Geschäftsführer Heiko Sedlaczek, die außergewöhnliche Lage zu erklären. „Natürlich wissen wir auch, dass sich unter diesen Bedingungen nicht viele Eisenbahnunternehmen bewerben werden.“

Bei Mofair, dem Bündnis für fairen Wettbewerb im Schienenpersonenverkehr, sieht man das Verfahren äußerst kritisch. Normalerweise mische sich der Verband in konkrete Vergabeverfahren nicht ein, weil daran Bahnunternehmen wie National Express oder Abellio beteiligt sein könnten, die miteinander konkurrieren.

Bahnverband kritisiert Ausschreibungsverfahren

Bei der Vergabe der S-Bahn Köln stelle sich aber die Frage, ob es sich überhaupt um einen Wettbewerb handelt, sagt Mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen. Es sei nichts dagegen einzuwenden, dass man bestehende Verträge verlängern müsse, „wenn neue Fahrzeuge nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Aber einen Vertrag, bei dem der Betreiber die Gebrauchtfahrzeuge erst einmal mitbringen muss, um dann später nahtlos mit neuen Zügen, die der Verkehrsverbund stellt, weiterfahren zu können, habe ich noch nirgendwo gesehen“.

Doppelter Vorteil für DB Regio

Aus Sicht von Mofair hat die DB Regio gleich einen doppelten Vorteil. Durch die „unmittelbar anstehende Vergabe von 2023 bis 2032 kann sie Monopolpreise aufrufen, weil sie ja der einzige Bieter sein wird“, sagt Stoffregen. „Und sie verschafft sich ab 2032 eine privilegierte Ausgangsposition, weil sie dann bereits praktische Erfahrungen mit den neuen Fahrzeugen haben wird.“

Der NVR hätte ein anderes Verfahren wählen müssen und die S-Bahn-Linien zur Not auch einzeln neu ausschreiben müssen, sobald die neuen Züge eingetroffen sind. „Dann hätten sich alle zu gleichen Bedingungen beteiligen können.“

NVR-Chef will Chaos beim S-Bahn-Ausbau vermeiden

Genau das will der Nahverkehr Rheinland verhindern, weil zwischen 2027 und 2030 im Bahnknoten Köln die S-Bahn-Stammstrecke zwischen Köln-Hansaring und Hürth-Kalscheuren auf sechs Gleisen ausgebaut wird.

„Da wird es rund um den Hauptbahnhof Streckensperrungen mit Zugausfällen und Schienenersatzverkehr in nie dagewesener Größenordnung geben“, sagt Geschäftsführer Sedlaczek. „In diesem Zeitraum ist ein völlig anderes Verkehrskonzept notwendig, bei dem Linien und Fahrzeuge durchgetauscht werden müssen.“

Bei allen laufenden Bauprojekten der Bahn gebe es bereits jetzt Materialprobleme durch unterbrochene Lieferketten aus Fernost und den Krieg in der Ukraine.

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In einer solchen Bauphase mit Neuausschreibungen das S-Bahn-Netz zusätzlich zu überfrachten, könne der NVR bei sechsstelligen Fahrgastzahlen am Tag nicht riskieren. „Wir würden sehenden Auges in ein totales Chaos laufen.“ Falls es bei der Auslieferung der neuen Züge zu Verspätungen kommt, sei man auf eine Rückfallebene angewiesen. „Das kann nur das Eisenbahnunternehmen sein, welches den Übergangsvertrag gewinnt.“ Man habe bei der Ausschreibung ein Instrumentarium installiert, „dass es dem Gewinner der Ausschreibung der Stufe 1 nicht ermöglicht, überzogene Preise aufzurufen.“

Für die Folgeausschreibung werde man vorab über eine Limitierung reden. „Aus meiner Sicht darf dann nicht ein Eisenbahnverkehrsunternehmen alle Ausschreibungspakete und damit das Gesamtnetz gewinnen.“

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Zum S-Bahnnetz Köln zählen die Linien S 6: Essen – Düsseldorf – Langenfeld - Köln Worringen, S 10: Köln-Nippes – Köln Hbf – Köln-Dellbrück, S 11: Düsseldorf Flughafen Terminal – Düsseldorf – Neuss – Köln – Bergisch Gladbach, S 12: Horrem/Sindorf – Köln – Siegburg/Bonn – Hennef – Au (Sieg), S 13: Troisdorf – Bonn Oberkassel (ab Dezember 2027), S 19: Aachen West – Düren – Köln – Flughafen Köln/Bonn – Siegburg/Bonn – Au (Sieg), S 38: Bedburg – Horrem – Köln Messe/Deutz (ab Dezember 2029) und S 68: Langenfeld – Düsseldorf – Wuppertal-Vohwinkel.

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