Yakup Aras erfährt als Kind, dass Bildung, Einkommen und soziale Teilhabe zusammenhängen. Nun ermöglicht er Kindern, wofür die Eltern nicht sorgen können.
Teilhabe im Kölner Brennpunkt„Ich habe den Strand zum ersten Mal mit 19 gesehen“

Yakup Aras, rechts, mit Kindern bei einem Angebot der durch ihn gegründeten Firma „Learn Company“.
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Das Görlinger Zentrum am Rande Kölns ist das, was Behörden einen sozialen Brennpunkt nennen. Im 12. Stock eines der Wohntürme des Viertels ist der hippe Kern des Bezirks Ehrenfeld weit weg, an dessen Rand die von Plattenbauten geprägte Siedlung liegt. Colonius, Kölnturm, Dom – die Skyline der Millionenstadt am Horizont gehört nicht mehr zu dieser Welt aus grauem Beton.
„Einmal ging es auf Klassenfahrt, da war ich in der 4. Klasse. Wir standen am Reisebus und ich habe meinem Vater gesagt, dass ich Geld brauche. Da hat er mir 5 Euro gegeben und gemeint, wenn ich am Freitag wiederkomme, dann solle ich von dem Rest Brot mitbringen“, wird Yakup Aras später erzählen. „Er hatte kein Verhältnis zum Geld und zu den Realitäten, die es an einer deutschen Schule gab.“ Sein Händedruck bei der Begrüßung ist kräftig, sein Blick entschlossen. Von der Verzweiflung der Armut keine Spur.
Die Realität der anderen

Die Großwohnsiedlung Görlinger Zentrum im Kölner Stadtteil Bocklemünd. Mehr als 10.000 Menschen leben hier, die meisten in Familien, die als sozial schwach bezeichnet werden.
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Der 32-Jährige ist lange raus aus der Lebenswirklichkeit der Mehrheit dieser 10.000 Bewohner zählenden Großwohnsiedlung. Wer könnte diesen Menschen besser helfen, wenn nicht einer von Ihnen? Vor acht Jahren hat Aras die „Learn Company“, einen Anbieter für Nachhilfe, zusammen mit einem Kommilitonen gegründet. Im Erdgeschoss eines der niedrigen Querriegel liegen die Bocklemünder Räumlichkeiten des Unternehmens, gegenüber eine Sparkassenfiliale, ein Discounter, ein Barbershop in einer dunklen, heruntergekommenen Ladenpassage. Eine von vielen dunklen, heruntergekommenen Ladenpassagen, aus denen mal mehr, mal weniger hohe Blocks wachsen. Seit 2018 fährt die Linie 3 bis ins Görlinger Zentrum, abgehängt bleiben dessen Einwohner trotzdem.
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Die Mutter Analphabetin, der Vater spricht kaum Deutsch
Wie wichtig Bildung nicht nur für die Schullaufbahn, sondern für soziale Teilhabe ist, hat Aras selbst erfahren. Aufgewachsen in Wuppertal mit acht Geschwistern, muss er sich selbst beibringen, was er für Schule und Studium braucht. Die Eltern flohen einst aus den kurdischen Gebieten der Türkei, die Mutter ist bis heute Analphabetin. Der Vater „wusste, was er für die Arbeit braucht, wie er mit seinem Vorgesetzten zu reden hat, hat aber ansonsten kaum Deutsch gesprochen“, erzählt Aras. Die Sprache zu Hause ist Kurdisch.
Trotzdem legt der Vater Wert auf Bildung, nimmt jedes Buch mit, das er in Bücherregalen, auf dem Sperrmüll, auf Flohmärkten findet.„Er hat Bücher für uns gesammelt.“ Einmal teilt er Lexika unter den vier Jüngsten auf, ohne zu wissen, was das ist.
Bildung ermöglicht soziale Teilhabe
„Er bestand darauf, dass wir die lesen, also haben wir uns aufgeteilt, einer hat von A bis D gelesen und so weiter, und die Bände dann untereinander getauscht. Er hat sehr viel Wert auf Bildung gelegt, obwohl er selber keine hatte“, erzählt Aras.
Mit der „Learn Company“ versuchen der Gründer und sein Team, Kindern aus einkommensschwachen Familien Bildung und soziale Teilhabe zu ermöglichen, denn auch Freizeitkurse finden sich im Angebot.
„Aufgrund dieser Armut bei uns zu Hause konnte ich nie mit den Kindern über andere Sachen als die Schule sprechen. Hobbys, Urlaube – das gab es bei uns nicht“, so Aras. Er habe dann in den Sommerferien immer gehofft, dass er nicht gefragt werde, wo er im Urlaub gewesen ist. „Damit ich keine Lügengeschichten erfinden muss“, erinnert er sich. Der Vater ist Alleinverdiener, arbeitet wegen einer Gehbehinderung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Dazu gibt es Kindergeld, das war’s. Schon früh jobbt Aras und hilft mit, übersetzt auf dem Amt, übersetzt auf dem eigenen Elternsprechtag.

Yakup Aras, 32, erfuhr als Kind selbst, wie Bildung, soziale Teilhabe und finanzielle Mittel zusammen hängen. Heute versucht er mit seinem Unternehmen „Learn Company“ die Situation für Kinder aus einkommensschwachen Familien zu verbessern.
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Heute will er alle abholen: Die Kinder, die berechtigt sind, ihre Nachhilfe staatlich gefördert zu bekommen. Aber auch die, die gerade so aus dem Raster fallen, weil die Eltern zu viel verdienen – und trotzdem arm sind.Dafür hat er das sogenannte Plus 1-Programm entwickelt: Eltern, die finanziell besser aufgestellt sind, bezahlen für die Nachhilfe ihrer Kinder, wie bei anderen kommerziellen Anbietern auch. „Wir nehmen von diesem erwirtschafteten Geld eine gewisse Prozentzahl und verwenden sie für das Plus-1-Programm oder stecken sie in soziale Projekte im Sozialraum, Feste und Veranstaltungen, die wir unterstützen und alles, was dazu gehört“, erläutert Aras.
Bundesweit einmaliges Programm
Dieses Programm sei bundesweit einmalig und habe der Firma den Sprung nach Berlin ermöglicht. Neben der Bundeshauptstadt ist die „Learn Company“ auch in Chorweiler und Porz zu finden, in Remscheid und Wuppertal, seiner Heimatstadt. Das Büro ist in Ehrenfeld. „In Köln ist alles entstanden, hier ist die Zentrale, das Herz“, des Unternehmens, das laut dessen Gründer „ungefähr 3000 Schüler“ im gesamten Bundesgebiet betreut.
Ich konnte nie darüber reden, wie ein Stadion von innen aussieht, darüber reden, wie ein Strand aussieht.
Kooperationen mit zwei Dutzend Schulen in Köln
Der Erfolg des Konzepts messe sich daran, dass „immer wieder neue, aber jedes Jahr überwiegend andere Schüler kommen“, erklärt Aras. 300 Kräfte geben den Kindern bundesweit Nachhilfe. Die Nachhilfestunden werden auch online angeboten, bei den Kindern zu Hause, in den Schulen – 32 sind es insgesamt, 24 davon in Köln – Unterkünften für Geflüchtete oder CVJM-Einrichtungen.
Aras versteht, wo die Problematik der Kinder herkommt, er versteht, dass Armut und Bildung und damit die Zukunftschancen zusammenhängen.„Ich konnte nie darüber reden, wie ein Stadion von innen aussieht, darüber reden, wie ein Strand aussieht. Ich habe den Strand zum ersten Mal mit 19 gesehen, als ich von meinem Ersparten in Urlaub geflogen bin.“
Die Noten des zweitjüngsten Kindes der Familie waren ordentlich, trotzdem fliegt er zweimal von Schulen und bricht dann ab. Er habe früh keinen Bock mehr gehabt, erst im Erwachsenenalter holt er die Abschlüsse auf dem zweiten Bildungsweg nach, macht eine duale Ausbildung.
Angebot reicht über Nachhilfe hinaus
Heute unterstützt er Kinder bei ihrem Weg. „Oft kommen die Schulen auf uns zu, weil sie durch andere Kooperationspartner von uns gehört haben. Oder Schulsozialarbeiter, durch Kollegen, durch gemeinsame Arbeitskreise.“ Auch die Mitarbeitenden der „Learn Company“ gehen aktiv auf Partner zu, nehmen an Stadtteilkonferenzen teil und sind in Arbeitsgruppen vertreten.
„Vieles läuft auch über Projekte, die wir im Sozialraum machen“, erzählt Aras. Die reichen von Sportangeboten über Rap-Workshops bis hin zu Demokratieförderung – denn Bildung, weiß Aras aus eigener Erfahrung, reicht weit über die Schulbildung hinaus.


