Maler BockKölner Bürgerschreck wird zum Mythos

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Maler Bock Orden

Zum eigenen Straßennamen hat er es gebracht: „Maler-Bock-Gässchen“ steht auf dem Schild in der Altstadt-Süd. Der Namensgeber ist als „Original“ stadtbekannt. Über den Menschen Heinrich Peter Bock hingegen weiß kaum jemand etwas. Vor 200 Jahren, am 30. Juli 1822, kam er in der Kölner Maximinenstraße zur Welt.

Auch ein Zeitgenosse Bocks bleibt ein „bekannter Unbekannter“: Arnold Wenger. Karl Berbuer widmete ihm den Evergreen vom „Fleuten Arnöldchen“. Im Lied feiern Arnold, Bock und weitere Straßengänger des 19. Jahrhunderts „Fastelovend em Himmel“. Im irdischen Leben gingen sie sich eher aus dem Weg. Der Weg zum nostalgischen Glanz führt offenbar übers Jenseits.

Posthum sucht das Bürgertum die Nähe zu Menschen, die es im Leben lieber auf Distanz hielt. Heute adelt man sie als Originale. Banken und Brauereien werben mit ihnen, und auf der Sitzung im Nobelhotel werden Orden mit ihrem Konterfei verliehen. Begehrten die darauf Abgebildeten indes real Einlass zur Veranstaltung, kämen sie an der Saalwache nicht vorbei.

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Maler Bock Figur

Als die mittelalterliche Stadtmauer die Stadt noch einschnürte, waren sie überall dabei, gehörten aber nirgendwo dazu. Ihre Mitmenschen zeigten sich belustigt, einige auch bedroht. Manche kokettierten mit ihrer Anwesenheit, die Behörden sperrten sie weg. Den alkoholkranken Fleuten-Arnold etwa in der Arbeitsanstalt Brauweiler.

Mindestens 25 Jahre Verhaftung

Auch Bock war „auf Anordnung der Königlichen Regierung zu Cöln“ mehrfach in Brauweiler. Auf insgesamt vier Jahre addieren sich seine fünfmaligen Aufenthalte, unter anderem nach Vorkommnissen wie diesen: „Bewohner belästigt er mit seinen lakonischen Redensarten, zugleich erweckt er auch Schrecken unter Frauen in gesegneten Umständen und verursacht überall, wo er erscheint, einen Straßenauflauf.

Es ist in der Tat dringendes Bedürfnis, dass B. durch Unterbringung in eine Anstalt unschädlich gemacht wird.“ Mindestens 25 Verhaftungen beziehungsweise Arretierungen sind belegt. Darunter drei wegen „zwecklosen Umhertreibens“ und neun wegen „Obdachlosigkeit“. Mit der Begründung „arbeitsscheu“ saß er bis zu 28 Tage ein.

Die detaillierten Angaben über den „Maler Bock“ stehen in seiner Krankenakte. Der Gründungsdirektor der „Städtischen Irrenanstalt Lindenburg“, Prof. Heinrich Laudahn (1830–1900), erhob persönlich die Anamnese. „Irrenanstalt“ war damals keine abschätzige Bezeichnung. „Irrenarzt“ nannten sich die Psychiater. Es war ein Fortschritt, dass psychisch Auffällige nun primär unter medizinischer Kompetenz gesehen wurden. Im ehemaligen Bürgerhospital waren die Betroffenen teils noch in Holzverschlägen mit Stroheinstreu verwahrt worden.

Manische Selbstinszenierung

Am 3. August 1878 beantwortet Laudahn penibel in Kurrentschrift die 30 Fragen zur Biografie sowie zum körperlichen, geistigen und seelischen Befund des „als sogenannter Maler Bock bekannten Geisteskranken“. Die Notizen bestätigen, wovon Heimatchronisten gerne verniedlichend berichten. Etwa, dass er „auffällig geputzt oder in sehr nachlässigem Anzuge, mit Blumen oder Bildern in der Hand auf der Straße“ erschien und „die Kinder ihm nachriefen: »Maler Bock, gecke Bock«, wodurch er aufgeregt wurde und schimpfte.“

Auch Bocks manische Selbstinszenierung findet sich im Protokoll des Mediziners wieder. Ein Reitsporn am Pantoffel soll ihn als ehemaligen Dragoner ausweisen. In Wirklichkeit hatte ihn die Truppe schon nach wenigen Tagen rausgeworfen. Auch war vom „Malergenie“ nie ein Pinselstrich zu sehen.

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Maler Bock Bierdeckel

Man mochte das lustig finden. Hochstapelei war es jedenfalls nicht, denn anderen schaden wollte er mit seinem Aufschneiden nicht. Auch ohne psychiatrisches Gutachten wusste man in Köln, dass Bocks Ruf mehr auf Größenwahn denn Geistesgröße gründete. Sein frech behaupteter Reichtum, der angebliche Besitz von Ländereien, Gemälden, Diamanten entlarvte sich bei Stationsaufnahme als ärmliche Habseligkeit im mitgeführten Beutel.

Verarmung aufgrund seiner psychischen Krankheit

Professor Laudahn konnte noch nicht wissen, was Sigmund Freud wenige Jahre später über das Unbewusste erforschen wird. Doch die bemerkenswert detaillierten Aufzeichnungen des Kölner Psychiaters zeugen von Interesse, im Verrückten eine Logik zu erkennen, eine Psycho-Logik. Unser Wissen von heute lässt zumindest ahnen, warum und wie der kleine Heinrich zum komischen Kauz werden konnte.

Acht Jahre ist er, als der Vater stirbt, ein Mann aus einst vermögendem Hause, das infolge von Krankheiten jedoch verarmte. Auch sechs der sieben Geschwister Bocks sterben früh an Typhus, an Schwindsucht oder Krämpfen beim Zahnen. Nach Heinrichs Geburt bleibt die Mutter, inzwischen 42, erwerbsunfähig. Schwärmerisch und frömmelnd klammert die von Schicksal Gebeutelte sich an ihren Glauben – und an ihren Jüngsten.

Er scheint der Robusteste in der kränkelnden Familie zu sein. Früh lernt er laufen und sprechen. Heinrich „war gutmütig und folgsam, wurde bald ein guter Schüler der Jesuitenschule, konnte leicht lesen und behalten“, vermerkt Laudahn. Heinrichs kindliche Schwärmerei, ein großer Maler zu werden, entzückt die Mutter. Keiner leitet ihn jedoch an, sich dem Ideal durch Übung zu nähern. „Applaus für nichts“ mag schön sein für ein Kind. Doch dem späteren Jugendlichen können unaufgelöste Größenfantasien zum Problem werden. Bock hält nichts durch. Eine Metzgerlehre bricht er bald ab.

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Bock will keine Partnerschaft, sondern Bewunderung

Aufmerken lassen im Arztprotokoll „elektrische Schläge“, die Bock aus Kinderjahren berichtet. Er deutet die Attacken als Zeichen seiner „Auserwähltheit“. „Hatte immer große Ideen im Kopf von Kaisern und Königen, stand nachts auf, ging in den Garten und predigte“, notiert Laudahn. Das altkluge Kerlchen wird dafür beklatscht. Ihn neurologisch untersuchen zu lassen, vielleicht mit Verdacht auf ein Krampfpotenzial, ist noch kein Gedanke.

Bis zum 30. Lebensjahr schafft Bock den Spagat zwischen Fantasterei und Lebensunterhalt durch kleinen Bilderhandel. Dann stirbt die Mutter, sein Halt bricht weg. Schnorrerbriefe an die ältere Schwester unterbindet deren Ehemann. Bock sucht Ersatz in der Damenwelt des ausgehenden Biedermeiers. In deren Enge verfängt seine Koketterie – ungefährlich für die Herren.

Bock will nicht Liebschaften, geschweige denn Partnerschaft. Er will Bewunderung. Je mehr er sich jedoch „einem unordentlichen Lebenswandel hingibt“, so die Krankenakte, desto mehr bleibt ihm nur noch der Applaus der Straße. Bis er auch der lästig wird. Drei Jahre nach dem Tod der Mutter erfolgt die erste Verhaftung.

Die letzten vier Monate seines Lebens werden ein einziges Elend. In der Lindenburg sind Langzeitaufenthalte nicht vorgesehen. Zuständig ist die gerade gegründete „Provinzial Irrenanstalt Düren“ (heute LVR-Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie). Dahin wird der „ledige Heinrich Bock, ohne Geschäft, ohne Profession, katholisch, von Cöln“ überwiesen.

Am 8. August 1878 erscheint er dort als „langer, äußerst abgemagerter Mensch“. Schmerzen, Ausbleiben von Anerkennung und Verweigern von Wein machen ihn zum Querulanten. „Ist unerträglich, schimpfte und fluchte diese Nacht laut“, steht im Stationsjournal. Zuletzt: „Wird sehr elend, hustet unaufhörlich“. Am 3. Dezember 1878 der letzte Eintrag: „...ist er heute morgen 5 Uhr gestorben.“

Am nächsten Tag geht die Rechnung für die Kölner Armendeputation raus: 12 Mark für den Sarg, 8,20 Mark Begräbniskosten für den Küster. Die Akte Heinrich Peter Bock wird geschlossen. Der Mythos vom „geliebten Original“ darf beginnen.

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