Tanz-WorkshopSupertalent „Tobiz“ fühlt die Musik

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Tobias Kramer beim Halbfinale der Castingshow „Das Supertalent“ im Jahr 2010. Der gehörlose Tänzer leitete den Workshop im Geschwister-Scholl-Haus.

Tobias Kramer beim Halbfinale der Castingshow „Das Supertalent“ im Jahr 2010. Der gehörlose Tänzer leitete den Workshop im Geschwister-Scholl-Haus.

Longerich – Es gibt viele Musiker und Tänzer, die behaupten, Musik zu fühlen. Wenn Tobias Kramer das von sich sagt, stimmt es definitiv. Tobias ist von Geburt an gehörlos. Und er ist ein Tänzer. Ein sehr guter sogar. So gut, dass er mit seinem Rhythmusgefühl und seinen Bewegungen 2010 besser war als Zehntausende andere, die sich bei der Casting-Show „Das Supertalent“ beworben hatten. Tobias wurde schlussendlich Dritter. Inzwischen tritt der 28-Jährige in ganz Deutschland auf und gibt Tanz-Workshops. Die integrative Kinder- und Jugendeinrichtung Geschwister-Scholl-Haus hatte nun das drittgrößte Supertalent eingeladen, für – hörende – Jugendliche mit und ohne Behinderung ein solches Tanz-Seminar abzuhalten.

Tobias, Künstlername Tobiz, drehte die Musik mächtig auf. Hören konnte er sie natürlich immer noch nicht. „Aber ich brauche den Bass, um die Musik zu spüren“, sagte er. Ohne den tieffrequenten Rhythmus gehe auch bei ihm nichts, erläuterte er. „Klassik zum Beispiel kann ich nicht wahrnehmen.“ Mit neun behinderten und 30 nichtbehinderten Jugendlichen studierte er in nur zwei Stunden vier Choreographien ein, vor allem mit Tanz-Elementen aus dem Hip-Hop.

Autogramme für die Workshop-Teilnehmer

„Sie lernen schnell“, lobte Tobias, der sich einen Notenschlüssel in den Nacken hat tätowieren lassen. Er sprach leicht näselnd, aber gut verständlich zu den Jugendlichen, und wenn sie ihm etwas mitteilten, las er die Worte von ihren Lippen ab. Dennoch brachte er ihnen einige wenige Begriffe in Gebärdensprache bei. Applaus etwa wird dargestellt, indem man die Hände nach oben reckt und sie schüttelt. Oder, ganz wichtig, Tobias’ Gebärde für Tanz: Die geöffnete rechte Hand hält er vor die Brust, die andere bewegt er schnell mit nach unten gestrecktem Zeige- und Mittelfinger darüber hin und her. Die flache Hand symbolisiert den Dancefloor, die andere die tanzenden Beine. „Ich arbeite gern mit Kindern und Jugendlichen“, sagte Tobias,„auch andere sollen an dem teilhaben, was ich kann.“

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In einer Tanz-Pause wollte er schnell einige Autogrammkarten holen; die Workshop-Teilnehmer hatten ihn angefleht, dies zu tun. Als er zurückkehrte, riefen die aufgeregten Autogrammjäger schon von weitem seinen Namen: „Tobi, Tobi.“ Darauf konnte er natürlich nicht reagieren. Aber die Jugendlichen begriffen schnell und liefen flugs zu ihm, um die begehrte Unterschrift zu ergattern.

Die Jugendlichen sind begeistert

„Für sie ist es toll zu sehen, dass auch ein Mensch mit Behinderung ein normales und erfolgreiches Leben führen kann“, sagte Susanne Heiming vom Geschwister-Scholl-Haus. Überdies sei Tanzen oft ein passendes Mittel, Grenzen zwischen Behinderten und Nichtbehinderten zu überwinden. „Alle sind auf derselben Ebene. Es hilft vor allem Behinderten, ihre Stärken herauszustellen“, erläuterte Heiming. „Schön zu sehen, wie schnell Tobias in Kontakt mit den Jugendlichen kommt. Sie sind begeistert“, ergänzte Heilpädagogin Monika Hettinger. Was Tobias nicht verwunderte: Dem Reiz von Musik und Rhythmus könne sich „eben kaum jemand entziehen“.

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