Nur eine OP könnte 14-Jährige rettenKölnerin kämpft um das Leben ihrer Schwester

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Die Eltern von Silene (14) bangen um das Leben ihrer Tochter.

Köln – Diese Geschichte beginnt vor rund 30 Jahren in der Millionenstadt Santa Cruz de la Sierra im Südosten Boliviens, 550 Kilometer von der Hauptstadt La Paz entfernt. Es ist die Geschichte von Caroline Wartenberg. Das Mädchen ist drei Monate alt, als ihre Mutter die schwerste Entscheidung ihres Lebens treffen muss.

Die junge Mutter, Anfang 20, hat bereits eine Tochter und gibt Caroline zur Adoption frei. Sie weiß, sie wird das Kind nicht es nicht großziehen können, alleinerziehend, bettelarm, in einem katholischen Land mit Moralvorstellungen, die ihr damals jegliche Perspektive rauben.

„Für meine Adoptiveltern war ich ein absolutes Wunschkind“

Caroline kommt nach Köln, wächst in behüteten Verhältnissen auf. An ihre Mutter hat sie keine Erinnerungen, ihren Vater kennt sie nicht. Er hatte die Familie noch vor ihrer Geburt verlassen.

„Für meine Adoptiveltern war ich ein absolutes Wunschkind“, sagt Caroline. „Sie haben über viele Jahre versucht, eigene Kinder zu bekommen. Sie hatten über die Kirche einen Kontakt nach Bolivien. So bin ich nach Deutschland gekommen.“

Von klein auf hätten die Adoptiveltern ihr erklärt, warum ihre Mutter sie abgegeben hat. „Nicht, weil sie mich nicht wollte, sondern weil das einfach nicht ging. Das war für mich sehr wichtig.“

Mit 19 begibt sich Caroline auf die Suche nach ihren Wurzeln

Mit 19 Jahren, gleich nach dem Abitur, begibt sich Caroline Wartenberg, die damals noch ihren Mädchennamen Tovar trägt, auf die Suche nach ihrer Herkunft. Sie will in Bolivien ihre Eltern finden. Mit einem Schulfreund, der besser Spanisch spricht und bereit ist, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. „Ich kannte nur den Namen meiner Mutter aus den Adoptionspapieren. Wir haben geglaubt, dass wir damit etwas erreichen können.“

Die tagelange Suche im Bürokratie-Dschungel bleibt erfolglos. „Wir haben es dann über das Fernsehen versucht, wollten dort einen Aufruf starten. Nach dem Motto: Das ist der Name meiner Mutter, wir suchen diese Frau.“

Es kommt anders. Nach einem Vorabgespräch recherchieren die TV-Reporter. „Sie haben alles versucht, meine Mutter vorab zu finden, um in der Sendung genau den Moment zu haben, an dem wir uns das erste Mal begegnen.“

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 Caroline und Florian Wartenberg

Die Recherche ergibt, dass Carolines Mutter bereits 2007 nach Italien ausgewandert ist. Das Reporterteam stößt auf weitere Familienspuren. Und so erfährt junge Frau in der Live-Sendung, dass ihre leibliche Mutter in Bolivien Jahre später eine Familie gegründet und sie drei jüngere Halbgeschwister hat.

Doch dabei wird es nicht bleiben. Kurz nach der Ausstrahlung meldet sich Carolines leiblicher Vater bei dem TV-Sender. „Er hat mich gesehen und anhand des Namens und der Daten erkannt, dass ich seine Tochter bin. Er hat immer gewusst, dass es mich gibt, aber von der Adoption nie etwas erfahren. So habe ich auch meine väterliche Seite kennengelernt.“

Caroline findet ihren Vater, ihre Mutter und ihren Stiefvater

Auch ihr Vater hat eine Familie gegründet – und so kommen für Caroline innerhalb weniger Wochen vier weitere Halbgeschwister hinzu.

Das sei alles schon „sehr krass“ gewesen. „In einer zweiten Sendung haben die Journalisten dann das Zusammenkommen mit meinem Vater organisiert. Dort haben wir uns zum ersten Mal gesehen. Er hat mir erzählt, dass es ihm leidtut, dass er große Angst um seine eigene Zukunft hatte. Das Verhalten ist für Bolivien nicht untypisch. Das ist ein sehr katholisches Land, Verhütung ist tabu, in den Dörfern ist die Kirche der Mittelpunkt. Da werden sehr viele junge Frauen ungewollt schwanger und von den werdenden Vätern verlassen.“

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Es habe etwas gedauert, das alles zu sortieren und zu verarbeiten, sagt Caroline. „Wir fliegen nach Bolivien, um meine Mutter zu finden und lernen dort alle anderen kennen, nur sie nicht. Dabei war sie so nah. In Bergamo. Nur eine Flugstunde von Köln entfernt.“

Seit Jahren hat sie einen sehr engen Kontakt zu ihrer Mutter, die sie damals abgeben musste, weil sie keine Zukunft sah. „Superjung, doppelt alleinerziehend, in einem Land, das streng katholisch ist. Da gab es keine Perspektive.“

Die Geschichte könnte hier enden. Es wäre ein glückliches Ende.

Caroline, heute 31, hat ihren damaligen Schulfreund Florian, der sie auf der Reise in ihre Vergangenheit begleitete, geheiratet.

Das Paar lebt in Sülz, hat zwei Kinder, der Junge ist drei, die Tochter acht Monate. Caroline studiert Medizin und arbeitet gerade an ihrer Promotion, Florian ist Assistenzarzt der Kinder und Jugendheilkunde an der Uni-Klinik in Köln. Ihre Mutter kommt regelmäßig zu Besuch. Ihre drei jüngeren Halbgeschwister leben inzwischen auch in Italien.

Silene (14) hat nur eine Chance: die OP in Deutschland

Die zweite Geschichte beginnt im Juli 2020 in dem Dorf San Antonio de Lomerio in Bolivien. Es ist die Geschichte von Silene. Silene ist 14 und Carolines Halbschwester. Seit Jahren schon leidet sie unter Nasenbluten. Die Eltern wissen sich nicht mehr zu helfen. „Es hat vor Jahren ganz harmlos angefangen. Vor vier Jahren, kurz nachdem wir meine Familie dort mal besucht haben“, sagt Caroline.

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Silene bleibt nicht mehr viel Zeit.

Bis dahin hatte es seit der ersten Begegnung mit ihrem Vater im Jahr 2009 kaum Kontakt gegeben, doch dann entschlossen sich Caroline und Florian 2017 zu einer zweiten Reise, bei der sie auch die Familie ihres leiblichen Vaters besuchen.

„Sie lebt in einem Dorf, sind bettelarm. Das ist für uns alles nur schwer zu begreifen. Die Eltern fahren über Tag oder manchmal auch für eine ganze Woche fünf Stunden mit dem Bus in die Stadt, um dort als Tagelöhner zu arbeiten. Dann sind die Kinder auf sich allein gestellt.“ Im Dorf gebe es nur eine Krankenstation „mit einem Arzt, der alles behandelt.“

An der Uni-Klinik wartet man auf die Ankunft des Mädchens

Von Köln aus organisieren Caroline und Florian über ihre Kontakte in Bolivien einen HNO-Arzt, der das Mädchen untersucht. Seine Diagnose, die er mangels medizinischer Gerätschaften nur durch Ertasten stellt: Silene hat einen großen Tumor im Kopf, der in den Nasennebenhöhlen liegt und „von dem wir nicht genau wissen, ob er gut- oder bösartig ist“.

Das Mädchen kriegt kaum noch Luft, hat ständig Kopfschmerzen und muss dringend operiert werden. „Wir haben lange versucht, von Deutschland aus in Bolivien etwas zu finden, wo der Eingriff vorgenommen werden kann“, sagt Florian Wartenberg.

Die Behandlungskosten sind kaum zu kalkulieren

Eine solche Operation bei einem HNO-Arzt in Bolivien vorzunehmen, „der das noch nie zuvor gemacht hat, ist ein unkalkulierbares Risiko. Natürlich wäre es besser, wenn man sie dort behandeln würde“, sagt er. „Wir waren schon so weit, dass wir entscheiden mussten, geben wir das Go für die Operation und bezahlen das auch selbst. Die Kosten haben wir auf 15000 bis 20000 Dollar geschätzt. Mit dem Ergebnis, dass Silene den Eingriff vielleicht nicht überlebt oder schwer entstellt ist.“

Caroline und Florian gelingt es, zumindest ein paar MRT-Befunde zu organisieren und stellen den Fall parallel den Ärzten verschiedener Fachrichtungen in der Uni-Klinik vor und treffen eine Entscheidung. Sie werden Silene nach Deutschland holen. Sie warten nur noch auf die Pässe. „Wir haben schon sehr viel Zeit verloren. In der Uni-Klinik sind alle vorgewarnt. Wenn sie kommt, wird sie behandelt.“

Sülzer Ehepaar hat 15000 Euro zusammengekratzt

Die Kosten werden sie aufbringen müssen. Für die Diagnostik ist der Grundstock von 15000 Euro vorhanden. Doch was am Ende auf sie zukommen wird, ist unkalkulierbar. „Noch wissen wir sehr wenig“, sagt Florian. Ist der Tumor gutartig und man kann ihn vielleicht sogar mit einem Medikament behandeln, damit er schrumpft? Oder ist er komplett irreparabel? Dazwischen gibt es viele Abstufungen.“

Auch diese Geschichte könnte ein glückliches Ende nehmen. Aus diesem Grund haben Caroline und Florian Wartenberg sich entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen. „Wir öffnen uns, wir sammeln Spenden, wir versuchen, Solidarität zu generieren“, sagt sie. „Wir kennen viele Menschen in Köln und müssen einfach hoffen.“

„Wir schauen uns gegenseitig in unseren Leben zu“

In dem Heimatdorf ihrer Halbschwester gebe es kein fließendes Wasser, keine Sanitäranlagen, aber Strom, Whatsapp und Facebook. „Wenn wir skypen, sitzt Silene hier bei uns am Küchentisch“, sagt Florian.

„Wir schauen uns gegenseitig in unseren Leben zu. Wir sehen das Fortschreiten ihrer Erkrankung und wissen, was passieren wird, wenn wir ihr nicht helfen. Es ist, als sitze sie im Nebenzimmer und ist im Grunde nur durch einen digitalen Spiegel von uns entfernt. Aber der ändert ja nichts an unserer Menschlichkeit. Wenn wir nicht unternehmen, wird sie unweigerlich sterben.“

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