Präsident der „Kölsche Kippa Köpp“„Die Hemmschwelle sinkt, offen antisemitisch zu sein“

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Aaron Knappstein, Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp“

Aaron Knappstein, Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp“

Aaron Knappstein über Karneval in Köln feiern trotz schwieriger Zeiten, Strategien gegen den Antisemitismus und israelische Politik.

Aaron Knappstein wurde 1970 in Porz geboren. Seit 2018 ist er Präsident der „Kölsche Kippa Köpp e.V. vun 2017“, dem einzigen jüdischen Karnevalsverein weltweit. Er ist Mitkurator der Ausstellung „Schalom & Alaaf“, die bis Ende März im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist. Ein Gespräch (eine erweiterte Fassung können Sie auch als Podcast hören).

Wie haben Sie den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober erlebt?

Sobald ich davon erfahren habe, war ich nur noch am Telefon, um zu klären, ob Mitglieder der „Kölsche Kippa Köpp“ in Israel sind. Etliche Vereinsmitglieder haben Freunde oder Verwandte dort. Darunter ein Ehepaar, schon weit über 70, das seine Familie besucht hat. Die saßen im Luftschutzbunker und haben viele Leichen gesehen, weil um sie herum gemordet wurde. Sie hatten wirklich Glück, heil rauszukommen. Um die haben wir uns in Köln stark gekümmert. Leider haben sie dann auch hier eine böse antisemitische Geschichte erlebt. Ein Vermummter klingelte an ihrer Haustür, hielt ihnen einen leeren Aschenbecher hin und sagte: Hier ist Platz für 500 Juden. Das hat uns sehr geschockt.

Demo gegen Antisemitismus vor dem Kölner NS-Dokumentationszentrum am 27. Januar

Demo gegen Antisemitismus vor dem Kölner NS-Dokumentationszentrum am 27. Januar

Erleben Sie als Karnevalsverein Antisemitismus?

Zum Glück nicht, wenn man von wenigen Kommentaren bei Facebook absieht. Aber einzelne Mitglieder eben schon. Neben dem Ehepaar gibt es auch ein anderes Mitglied, dessen Tochter an einem Kölner Gymnasium schon mehrfach Morddrohungen einer Mitschülerin erhalten hat.

Kurz nach dem 7. Oktober ging in Köln die Session los. Haben Sie daran gedacht, gar keinen Karneval zu feiern?

Wir hatten für den 11.11. ohnehin nichts geplant, so mussten wir auch nichts absagen. Wir haben aber natürlich allen Mitgliedern freigestellt, Karneval zu feiern. Gerade das ältere Ehepaar, von dem ich gerade sprach, sagte: Wir müssen jetzt erst recht jüdisches Leben zeigen, damit die Hamas nicht gewinnt. Damit die Menschen uns unterstützen und nicht noch mehr in die Ecke drängen.

Gab es früher Hassbriefe gegen jüdische Vereinigungen in Köln, waren diese anonym. Heute werden sie namentlich unterschrieben, haben Sie erzählt.

Das stimmt. Die Hemmschwelle, offen antisemitisch zu sein, sinkt. Ich war früher im Vorstand der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Köln. Damals waren die antisemitischen Zuschriften tatsächlich anonym, heute nicht mehr. Seit dem Erstarken der AfD scheinen immer mehr Menschen zu denken: Ich kann jetzt endlich wieder. Zwar sagen viele, sie können nicht sagen, was sie sagen wollen, aber eigentlich tun es alle. Darum sind die aktuellen Demonstrationen so wichtig. Weil jetzt der eine oder andere denkt: Vielleicht kann ich doch nicht so offen mit meinem rassistischen oder antisemitischen Gedankengut sein.

Hätten Sie sich nach dem 7. Oktober mehr Solidarität gewünscht?

Man wünscht sich immer mehr. Mehr Solidarität bei den Demos, die wir hatten, bei den Kundgebungen. Aber ich sage es mal positiv: Ich habe die Steigerung gesehen. Von der ersten Kundgebung zur zweiten in Köln, wo ich dann auch sprechen durfte. Dann gab es diesen großen Marsch der Kirchen zur Synagoge hin mit Tausenden von Menschen.

Und die Resonanz der Karnevalsvereine?

Auch die Resonanz der Karnevalsfamilie war gut. Ich weiß, dass es für viele Menschen sehr schwierig ist, die Situation zu verstehen. Aber diesen Leuten möchte ich sagen: Es ist gar nicht so schwierig. Denn Terror, das geht nicht. Da ist die Grenze erreicht, da muss man seinen Mund aufmachen. Und wenn man dann über andere Themen sprechen möchte, kann man das tun. Aber dazwischen muss eine Pause sein. Diese Pause zwischen dem Erschrecken über den Terror und den Vergleichen, was die palästinensischen Toten angeht, die war gering bis nicht vorhanden Das ist das, was uns vor allen Dingen getroffen hat, uns Jüdinnen und Juden.

Viele Menschen fragen sich, wo die Grenze ist zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierung und Antisemitismus. Wie lautet Ihre Antwort?

Ich verstehe, dass viele Menschen ein Problem haben, diesen Konflikt im Nahen Osten und das, was hinter dem Krieg steht, zu verstehen. Das geht mir auch oft so. Es gibt kein Gut und Böse, kein Richtig und Falsch, nicht zu 100 Prozent. Und weil es unübersichtlich ist, kommen solche Fragen. Aber rein vom Menschlichen sollte man erst einmal sagen: Der Terror und diese Gewalt vor allen Dingen gegen Frauen, die geschehen ist, die ist so unbegreiflich, da muss ich nicht über israelische Politik nachdenken. Ich verstehe nicht, wie man das sofort zusammenbringen kann.

Werden Sie als Verteidiger der Politik Israels gesehen?

Wenn Leute mich fragen, was in Israel passiert und meine Meinung hören wollen, finde ich das völlig legitim. Aber wenn es in Richtung israelische Politik geht, weigere ich mich auch, weil ich sage: Ich bin kein Israeli, ich lebe hier. Natürlich habe ich eine Beziehung zu Israel, die viel tiefer ist als bei anderen Menschen in diesem Land. Aber mal andersherum vorgestellt: Muss man als Deutscher im Ausland plötzlich dauernd schuld sein an den Entscheidungen der Bundesregierung? Vor dem 7. Oktober habe ich persönlich vor dem Kölner Hauptbahnhof gestanden und gegen die Justizreform von Benjamin Netanjahu demonstriert mit anderen Jüdinnen und Juden aus Düsseldorf und Köln. Aber das hat seit dem 7. Oktober erstmal keinen Bestand, weil es um andere Dinge geht. Ich bin mir sicher, dass Menschen ihre Entscheidung treffen werden in Bezug auf ihre Regierung, wenn der Krieg in Israel vorbei sein wird. Aber ich lebe und wähle dort auch nicht.

Wie schwer ist es, hoffnungsvoll zu bleiben?

Es gibt Situationen, wo man sich hoffnungslos fühlt. Und ganz ehrlich haben wir auch schon zuhause gesessen und gesagt: Wie ist das jetzt, wenn wir gehen müssen? Gehen wir dann nach Israel oder woanders hin? Das will ich nicht verschweigen. Aber das ist nur ein kleiner Teil. Weil es immer noch eine große Zahl an Menschen gibt in diesem Land, die das nicht wollen. Die schweigen zwar oft, aber das hat sich jetzt verändert.

Die „Kölschen Kippa Köpp“ sind im vergangenen Kölner Rosenmontagszug auf einem jüdischen Wagen des Vereins „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ mitgefahren. Der wurde aus Sicherheitsgründen vorher geheim gehalten. Wie haben Sie die Stimmung auf dem Wagen erlebt?

Das war ein Riesenerlebnis. Es wurde sehr viel Positives zu uns rübergetragen. Aber wir hatten auch eine Fußgruppe von 50 Personen, die antisemitische Aussagen erlebt hat. Da haben Zuschauerinnen und Zuschauern am Zugrand gesagt: Von Juden will ich nichts. Die auch Sachen zurückgeschmissen haben.

In diesem Jahr wird kein jüdischer Wagen mitfahren. Weil es nach dem 7. Oktober aus Sicherheitsgründen nicht möglich wäre?

Da fragen Sie den Falschen. Wir sind ja bislang nur hospitierendes Mitglied beim Festkomitee. Solange haben wir kein Anrecht darauf, im Zug mitzufahren, sondern müssen vom Festkomitee eingeladen werden. Von unserer Seite aus hätten wir es gemacht, wenn man uns frühzeitig gefragt hätte. Denn wir wollen das jüdische Leben unbedingt feiern, auch in schwierigen Zeiten. Aber wir wollen auch nicht, dass es jetzt heißt: Der jüdische Verein muss dauernd mitlaufen.

Von den meisten Karnevalisten ist Ihr Verein 2019 mit offenen Armen empfangen worden. Sie sagen aber auch, dass nicht jeder sie gut findet und manchen das „Tamtam“ um die Vereinsgründung auf den Nerv gegangen sein dürfte.

Man muss sich ja nichts vormachen. Nach 1945 hat Antisemitismus in Deutschland immer weiter existiert. Umfragen belegen, dass zwischen 15 und 20 Prozent der Menschen antisemitische Vorurteile haben. Also gibt es auch im Karneval Menschen, die ein Problem mit einem jüdischen Karnevalsverein haben. Wir haben schon die Frage gestellt bekommen: Warum muss das sein? Meine Antwort: Warum gibt es Vereine wie die lustigen Pensionäre von der Post? Weil sie es wollen. Da muss man doch gar nicht weiter drüber reden. Aber ich möchte noch klarer sagen, dass wir viel Zuspruch bekommen.

Antisemitische Einstellungen: Wie sehen die konkret aus?

Die Weltbeherrschungsthese kommt auch in Deutschland immer wieder auf, dass angeblich die Juden alles in ihrer Hand haben. Die wirtschaftliche Macht wird immer noch einmal extra herausgehoben. Durch die vielen Fake News im Internet ist das massiver geworden. Und dann natürlich die Leugnung der Shoah. Außerdem werden wir dauernd als die Schuldigen benannt. Ich habe schon mit Leuten gesprochen, die mir sagten: Das muss jetzt endlich mal aufhören, dass wir schuld sind an der Shoah. Dann frage ich immer: Wer sagt das? Ich kenne keine Jüdinnen und Juden, die das sagen. Ich kenne Holocaust-Überlebende und deren Nachkommen, die sagen: Du bist nicht verantwortlich. Aber du darfst es auch nicht vergessen.

Im NS-Dokumentationszentrum ist noch bis Ende März die Ausstellung „Shalom und Alaaf“ zu sehen. Sie sind Mitkurator. Was gibt es dort zu sehen?

Wir zeigen die Geschichte der Jüdinnen und Juden im Karneval - auf der Bühne, auf der Straße, im Verein, im Exil. Man erfährt dort viel sowohl über die Integration wie auch die Ausgrenzung, die auch schon im 19. Jahrhundert stattgefunden hat, nicht erst im 20. Jahrhundert.

Es gab vor dem Nationalsozialismus viele Juden, die im Kölner Karneval aktiv waren. Zum Beispiel einen jüdischen Komponisten, der damals so bekannt war wie Willi Ostermann.

Hans David Tobar hat ganz große Karnevalsrevuen geschrieben, die über Wochen ausverkauft waren. Ich durfte seine Tochter in New York noch kennenlernen, die leider mittlerweile verstorben ist. Sie saß damals auf dem Schoß von Ostermann auf der Bühne im Gürzenich. Leider gibt es wenig Aufnahmen von seiner Musik, weil damals fast alles live im Radio direkt gespielt und nicht aufgenommen wurde. Die Nazis haben es leider geschafft, dass diese Menschen in Vergessenheit geraten sind. Wir haben uns auf die Fahne geschrieben, diese Geschichten wieder hervorzuholen.

Kann man mit Menschen, die antisemitische Einstellungen haben, ins Gespräch kommen?

Ein klares Jein. Man muss versuchen, in den Schulen und in den Familien aufzuklären. Übrigens bin ich noch nie in eine Schule eingeladen worden. Dabei ist der Karneval doch ein Zugang für Schülerinnen und Schüler – sicherlich mehr als die Shoah. Aber man wird einige Leute nicht erreichen. Punkt. Ich sage manchmal lapidar: Sie schlagen auf nichts drauf, was sie gut kennen. Und da glaube ich, dass wir als „Kölsche Kippa Köpp“ eine Riesenleistung erbringen. Dadurch, dass wir da sind, dass wir den Karneval feiern, dass wir etwas machen, das so viele Menschen in dieser Stadt machen. Wir leisten einen Beitrag, dass man das Judentum besser kennt, versteht – und vielleicht akzeptiert.

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