Prügel angedrohtWie es Kurt Tucholsky bei seinen Besuchen in Köln erging

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Tucholsky auf der Rheinbrücke.

Köln – Der Mann im eleganten blauen Anzug kommt gleich zur Sache, ohne Anrede, ohne Begrüßung oder Dank für das zahlreiche Erscheinen. Der seit vier Jahren aus Paris berichtende Korrespondent der Berliner Wochenzeitschrift „Die Weltbühne“ spricht am 27. September 1928 im Saal des Kölner Kunstvereins am Friesenplatz über „Frankreich heute“, ohne Manuskript, „ganz leicht, scheinbar improvisiert“, erinnert sich der Kölner Student Hans Mayer.

Dabei hat der Journalist kurz zuvor im Dom-Hotel eine anonyme Warnung erhalten: „Man hat etwas gegen Sie vor.“ Ein Aufgebot von wenigstens 50 Mann wolle „Sie so zwischen nehmen, dass Sie nicht mehr heil und mit ganzen Knochen von Köln fortkommen“. Er solle sich rechtzeitig um Polizeischutz bemühen.

Tucholsky war viermal in Köln 

Kurt Tucholsky in Köln? Tatsächlich war der Satiriker, Humorist und politische Analyst in den Jahren 1927/28 viermal in Köln, auf Einladung des Kölner Buchhändlers Paul Wolfsohn, der Kölner Lesegesellschaft oder des Westdeutschen Rundfunks. Es ist dem Historiker Mario Kramp, langjähriger Leiter des Kölnischen Stadtmuseums, zu danken, dass wir diese damals Aufsehen erregenden Auftritte des ebenso bewunderten wie gehassten Journalisten noch einmal lesend miterleben können. Kramp recherchierte Presseartikel, Zeitzeugenberichte, Briefe und rekonstruierte die Veranstaltungen. Sie fallen in eine Zeit, in der sich das Schicksal der Republik und das von Tucholsky entscheidet, ein Kapitel Lokal- und Zeitgeschichte.

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Tucholsky in Paris.

Am 27. September 1928 ist der Saal „bummvoll“, selbst an den Wänden, in den Gängen stehen Zuhörer. Tucholsky, so Meyer „ist der Magnet, der sie alle anzieht, zu dem man drängt, den sie von Angesicht zu Angesicht kennenlernen wollen“. Und Tucho, wie der Schriftsteller mit den vier Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser auch genannt wird, wirbt „spitz und knapp, überlegen und ironisch, mit der Freue an der Pointe und am scharf geschliffenen Ausdruck“ für Frankreich und die Franzosen, berichtet die „Rheinische Zeitung“ – „ein blühender Nachfahre Heinrich Heines“.

Tucholsky wurde von der Kölner Presse verrissen

Tucholsky, ein ebenso amüsanter wie charismatischer Redner, überzeugt an diesem Abend sein überwiegend intellektuelles Publikum. Zu Zwischenfällen kommt es in Köln nicht – noch nicht. Das von Mario Kramp zusammengetragene Presse-Echo aber zeigt, wie dann innerhalb von Monaten die Stimmung kippt. Als Tucholsky am 23. März 1929 im Funkhaus der WERAG in der Dagobertstraße aus seinen Werken liest, wird Intendant Ernst Hardt von deutschnationalen Kreisen wegen des Auftritts „des sattsam bekannten Pazifisten“ angefeindet.

Als er sich öffentlich gegen den Homosexuellen-Paragraphen 175 und gegen die Bestrafung der Abtreibung ausspricht, wird er von der ihm nicht gerade gewogenen Kölner Presse, so Kramp, in Bausch und Bogen als „ätzend, zerstörend, einseitig“ verrissen. Der Humorist Tucholsky solle besser bei seinen Feuilletons bleiben. Für die radikale Rechte ist er ein „Deutschhetzer“, „jüdischer Drückeberger“ und „Landesverräter“ – und Ernst Hardt der Chef des „Rotfunks“.

Tucholsky beschäftigte sich auch mit Adenauer

Kramp schildert das politische und menschliche Drama der Republik und Tucholskys in fünf kurzen, aber überzeugenden Akten: Wie sich der Journalist über Jahre hinweg kritisch mit dem Rheinland beschäftigte, mit dem übermächtig wirkenden rheinischen Katholizismus, mit Adenauer und seinem Bankier Louis Hagen, mit dem Kölner SPD-Chef Wilhelm Sollmann, dessen Realpolitik, so Tucholsky, politischer Selbstverleugnung gleichkomme. Kramp zeigt, wie die Rechtsradikalen der Republik in den Jahren 1928/29 das Rückgrat brechen.

Tucholskys Auftritte in deutschen Städten finden zunehmend unter Polizeischutz statt, die SA verprügelt sein Publikum, ein Mann, der ihm ähnlich sieht, wird in Wiesbaden vor dem Saal zusammengeschlagen, die katholische „Rheinische Volkszeitung“ bezeichnet Tucholsky als „Unkraut“. Das liberale Bildungsbürgertum verhält sich kleinlaut oder schweigend.

Lesung im neuen Stadtmuseum

Im schwedischen Exil schreibt der „aufgehörte Schriftsteller“ Tucholsky kurz vor seinem Tod, er habe den entscheidenden „Knacks“ 1929 auf einer Lesereise bekommen „wegen meinem Popplikom ins Angesicht schauen“. Es sei trostlos, das hochverehrte Publikum, es war tatsächlich so dumm: Es wollte die Republik nicht.

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Der schmale Band „Man hat etwas gegen Sie vor“ ist ein ebenso aufklärendes wie bewegendes Zeitdokument, auch weil Kramp im „Endspiel“ erzählt, wie die Nazis dann den Kölner Anhängern Tucholskys wie dem Studenten Hans Mayer, dem Buchhändler Paul Wolfsohn oder dem Intendanten Ernst Hardt mitspielten.

Mario Kramp: Man hat etwas gegen Sie vor. Kurt Tucholsky in Köln 1928/29, 108 Seiten,

12 Euro. ISBN 978-3-7743-0952-4.

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