Henriette Reker war zwischen 2015 und 2025 OB von Köln und zum Zeitpunkt der Kölner Silvesternacht 2015/16 erst seit wenigen Wochen im Amt.
Reker über Silvesternacht 2015/16„Mein Zitat mit der Armlänge Abstand war falsch“

Henriette Reker, ehemalige Kölner Oberbürgermeisterin.
Copyright: Arton Krasniqi
Zehn Jahre nach der Kölner Silvesternacht 2015/2016, in der hunderte Menschen, vor allem Frauen, vor dem Hauptbahnhof beraubt und sexuell belästigt wurden, hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit unterschiedlichen Menschen über die Nacht und ihre Folgen gesprochen.
Die Silvesternacht war ein Wendepunkt in der deutschen Aufnahmepolitik für Geflüchtete. Viele Menschen in Köln haben danach ihre Sorge vor Überforderung deutlicher und häufiger geäußert als vorher. Aber die Willkommenskultur hat sich nicht grundlegend verändert. Ich musste damals viel erklären.
Die Täter waren keine Geflüchteten aus Kölner Unterkünften, sondern sie waren an diesem Abend von überall her nach Köln gekommen. Und nachdem das klar war, legte sich auch ein Großteil der Verunsicherung in der Stadt bald wieder. Nur für die Frauen, die das erlebt haben, wird das niemals abgeschlossen sein. Ich bedauere sehr, was sie erleiden mussten. Wenige Wochen vorher hatte ich selbst ein Gewaltverbrechen nur knapp überlebt. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie sich gefühlt haben.
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Trotzdem ist Köln die offene Stadt geblieben, in der Vielfalt in allererster Linie als Chance betrachtet wird
Trotzdem ist Köln die offene Stadt geblieben, in der Vielfalt in allererster Linie als Chance betrachtet wird, und darüber bin ich sehr froh. Köln ist es gewohnt, das freundliche Gesicht zu zeigen und Menschen so leben und lieben zu lassen, wie sie wollen. Das ist unsere Lebensart, und die ist auch durch die Silvesternacht nicht verändert worden.
Henriette Reker über Silvesternacht: „Es entstand ein rechtsfreier Raum“
Ich maße mir keine Polizeischelte an. Aber jedenfalls wurde in dieser Nacht nicht verhindert, dass dort ein rechtsfreier Raum entstand. Der Untersuchungsausschuss hat später festgestellt: Es war zu wenig Polizei da. Und die Kommunikation nach innen und außen war nicht gut. Der damalige Polizeipräsident hatte mich am 1. Januar angerufen, danach führten wir noch ein zweites Telefonat und es gab eine gemeinsame Pressekonferenz – das war's.
Ich hatte viele Fragen, aber er war nicht zu erreichen. Und dann rief mich plötzlich Olaf Scholz an, der Erste Bürgermeister aus Hamburg. Dabei kannten wir uns gar nicht persönlich, waren uns nie begegnet. Er fragte, wie es mir mit der Situation geht. Er wisse, anders als er in Hamburg sei ich in Köln ja nicht für die Polizei zuständig, sagte er und bot mir an: „Wenn Sie möchten, sage ich Ihnen jetzt einmal, was Sie von der Polizei erwarten dürfen.“
Das habe ich dankbar angenommen. In einer Zeit, in der der Polizeipräsident kaum mit mir sprach und in der ich weder den Innenminister noch die Ministerpräsidentin erreichen konnte, hat mir Olaf Scholz sehr geholfen. Ich war froh, als es wenig später mit Jürgen Mathies einen neuen verlässlichen Polizeipräsidenten gab, der offen mit mir kommuniziert hat.
Auch ich habe Fehler gemacht. Mein Zitat mit der Armlänge Abstand war falsch, denn es hat den Eindruck erweckt, als hätten die Frauen die Straftaten vermeiden können. Das konnten sie aber nicht, und das habe ich auch nicht gemeint. Es gab damals eine Broschüre über Partysicherheit für Mädchen und junge Frauen. Darin stand, Mädchen und junge Frauen sollten bei ihrer Gruppe bleiben, auf ihr Getränk aufpassen und immer eine Armlänge Abstand halten. Daraus habe ich zitiert, aber das war natürlich unpassend.
Die Frauen in der Silvesternacht konnten keine Armlänge Abstand halten. Aber offen gestanden: Der Shitstorm, den ich daraufhin erlebt habe, hat mich weitaus weniger berührt als das Schicksal dieser Frauen.
Aufgezeichnet von Tim Stinauer

