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Bedrohung für Mensch und NaturWarum der Rhein zu einer größeren Gefahr wird

Lesezeit 5 Minuten
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Blick über den Rhein mit Mülheimer Brücke, Schiffen und Mülheimer Hafen in Köln.

  • Dem Rhein fehlen die Überflutungsflächen, so dass der Fluss immer schneller fließt.
  • Die Wasserqualität hat sich zwar kontinuierlich verbessert, aber der Rhein verliert zunehmend die Verbindung zu seinen Auenlandschaften.
  • Warum das zur Gefahr für Mensch, Tier und Natur werden kann.

Köln/Siegburg – Zeit der Rückblicke und Bilanzen – wer aber wissen will, wie es um den Rhein im Jahr 2019 gestanden hat, der muss über 2018 sprechen – über die Hitzewellen, die Trockenheit und das monatelange Niedrigwasser. „2018 war ein Stresstest für das ganze System“, sagt Andreas Scharbert, „und man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt: Das wird es künftig häufiger geben.“

Scharbert arbeitet als Wissenschaftler im Bereich Fischökologie beim Rheinischen Fischereiverband. Das Jahr 2019 hat gelitten unter den Folgeschäden von 2018. „Wir befinden uns immer noch in einer Dürrephase – die Grundwasserspeicher sind trotz all der jüngsten Niederschläge nicht voll“, sagt Scharbert, „das Problem sind die hydrologischen Veränderungen.“

Die Flut im Winter brachte Entlastung im Sommer

Das System Rhein hat lange Zeit ungefähr so funktioniert: Mit den Winter-Hochwassern wurden die Auenflächen in den Überlaufgebieten überflutet – die meisten davon liegen im Bereich der Mittelgebirge und am Niederrhein ab Leverkusen; der Rhein wurde breiter, die Fließgeschwindigkeit wurde gemindert; viele Fische konnten den Strom verlassen und zum Laichen in die Auen wechseln. Im weiteren Jahresverlauf sank der Rheinpegel wieder, die Auen blieben überspült zurück und bildeten ein vorübergehend florierendes Biotop für zahlreiche Fischarten und ihren Nachwuchs. Das nächste Hochwasser im Frühjahr mit dem Schmelzwasser aus den Hoch- und Mittelgebirgen überspülte die Auen erneut und der Fischbestand konnte zurück in den Strom wechseln. Ein perfekter Kreislauf.

Alles zum Thema Hochwasser, Überschwemmung und Flut

Dieser Austausch funktioniert nicht mehr. Im Verlaufe der Dekaden und Begradigungsmaßnahmen am Rhein ist die Gesamtfläche der Auenbereiche zwischen Basel und den Niederlanden um 85 Prozent gesunken; das alleine hat schon Folgen: Dem Rhein fehlen bei steigendem Pegel Ausweichflächen, die Fließgeschwindigkeit des Flusses sinkt nicht, sondern steigt und damit steigt auch die Tiefenerosion – der Rhein frisst sich immer tiefer in sein Bett. Dadurch wächst kontinuierlich der Höhenunterschied zu den verbliebenen Auen, die bei sinkendem Grundwasserspiegel nun gar nicht mehr oder nur noch von besonders starken Ausnahme-Hochwassern überspült werden.

Vor diesem Hintergrund sind die noch verbliebenen 15 Prozent Auenfläche biologisch unentbehrlich – das ist unlängst für Nordrhein-Westfalen gemessen und hochgerechnet worden. Ergebnis: „In diesen relevanten Habitaten geht die Post ab“, sagt Scharbert. Was er meint: Die Jungfischproduktion ist in den Auenbereichen um das Elffache höher als in den Uferbereichen des Hauptstroms. Wurde für die ufernahen Zonen in NRW ein Bestand von etwa 935 000 Jungfischen berechnet, so schätzen die Forscher den Bestand in den Auenflächen des Rheins in NRW auf etwa 10,5 Millionen Tiere.

10,5 Millionen Jungfische in den Auen

Bleibt nun das Frühjahrs-Hochwasser aus oder schafft es nicht bis hinein in die Auenflächen, sind die Fische in den abgekoppelten Biotopen gefangen. Sie verenden dort aufgrund von Futtermangel oder werden Beute des seit den 90er Jahren in NRW siedelnden und Fische jagenden Kormorans.

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hat der Rhein die Menschen in seinem Einzugsbereich ernährt – die Fischerei war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Diese Zeiten sind vorbei, der große Fluss ist vor allem eine Wasserverkehrsstraße mit überragender infrastruktureller Bedeutung für die Welt zwischen Alpen und Nordsee. Daher ist es von allgemein größerem Interesse, dass die Schifffahrt auch in niederschlagsarmen Zeiten sichergestellt ist – was die Fische, die Fischer und ihre Interessenvertreter dazu sagen, gilt eher als Begleitumstand. Allerdings sind die Dinge komplex.

Wegen der zunehmenden Phasen von Wasserknappheit im Rhein wird immer wieder eine mögliche Vertiefung der Fahrrinne diskutiert – um auch in trockenen Zeiten den Schiffsverkehr sicherzustellen.

Scharbert hört das mit einiger Sorge, er fürchtet eine weitere Verschärfung der Probleme für die Auenflächen. „Der Höhenunterschied zwischen Rhein und Auen würde dann weiter wachsen“, sagt er, „die Flächen würden womöglich gar nicht mehr überspült und in der Folge trockenfallen.“ Das wiederum wäre nicht nur für den Fischbestand fatal – es würden weitere Überlaufflächen für Hochwasser wegfallen; der Rhein würde schmaler, die Fließgeschwindigkeit würde weiter steigen, der Sedimenttransport noch einmal beschleunigt.

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Die Konsequenzen daraus lassen sich berechnen: Wenn durch natürliche Erosion oder durch künstliche Vertiefung die Kiesschichten verschwinden, die der Rhein an seinem Grund in Richtung Nordsee schiebt, dann trifft der Fluss irgendwann auf den Untergrund aus dem Erdzeitalter Tertiär – Sand. „Es gibt berechnete Szenarien, die zeigen“, sagt Scharbert, „dass der Rhein dann ab Holland einfach versickert.“

Das passiert nicht morgen und nicht übermorgen und vielleicht überhaupt nicht. Dennoch plädieren Scharbert und seine Kollegen dringend gegen eine weitere Rhein-Vertiefung. „Man kann den Rhein nicht höherlegen“, sagt er, „aber man könnte die Auen- und sonstigen Uferbereiche absenken.“ Auf diese Weise würde der Fluss an Fläche gewinnen, die Tiefenerosion verlangsamt und die ökologische Funktion der Auenflächen dauerhaft sichergestellt. Populär ist diese These nicht – bei Vorträgen zum Thema wird Scharbert hart attackiert. „Da bin ich schon ganz schön verprügelt worden“, sagt er, „verbal natürlich.“ Aber viele Leute würden eine Absenkung der Uferzonen gleichsetzen mit einem eskalierenden Überschwemmungsrisiko.

Im Jahr 2019 haben sich die natürlichen Faktoren im Fluss weiter eingependelt. Die Grundel, ein über den Rhein-Main-Donau-Kanal eingewanderter Fisch aus dem Schwarzen Meer, galt seit ihrem Auftauchen vor ein paar Jahren als eine Art finstere Bedrohung der Friedfische im Flusssystem des Rheins. Scharbert bestätigt vorsichtig subjektive Berichte von Anglern: Die kleinen und aggressiven Allesfresser sind nach explosiver Vermehrung inzwischen voll integriert in den Nahrungskreislauf im Fluss – Raubfische und Kormorane gleichermaßen stellen der Grundel mit Erfolg nach.

Biomasse ist zurückgegangen

Das Wasser im Rhein wird weiterhin sauberer – mit paradoxen Konsequenzen. Einerseits: Ökologisch anspruchsvolle Fische kehren in das Flusssystem zurück; binnen einer Dekade stieg das Artenspektrum von 18 auf 42 Fischarten. Andererseits: Die Biomasse im Fluss – der Gesamtbestand der organischen Substanz – ist um etwa 90 Prozent zurückgegangen – von 400 kg/Hektar Wasserfläche auf 40 kg/Hektar. Einen wesentlichen Grund hierfür sieht Scharbert in der Reduktion der Phosphate im Flusswasser in Folge der Waschmittelverordnung von 1977. Die schiere Menge ökologisch anspruchsloser Fische wie Brassen, Ukelei oder Rotaugen ist seither rapide gesunken.

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