Kölner Spielsüchtiger berichtet„Holt euch rechtzeitig Hilfe, sonst verpasst ihr die beste Zeit eures Lebens“

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Silhouette eines jungen Mannes, der spielsüchtig ist.

Maximilian Zimmermann (25, Name geändert) ist seit zehn Jahren spiel- und computersüchtig.

Der 25-jährige Gamer aus Köln ist seit zehn Jahren spielsüchtig. Und eine weitere Sucht kam hinzu. Ein Erfahrungsbericht.

Maximilian Zimmermann ist ein freundlicher junger Mann, der sich gut ausdrücken kann und modisch kleidet: Er ist schlank, trägt eine Wollmütze und Sneakers, die engen Jeans sind zwei Zentimeter hochgekrempelt. Mit seinem richtigen Namen möchte er nicht in der Öffentlichkeit stehen. „Das wäre mir unangenehm, mein Leben ist, seit ich 14, 15 war, nicht so gelaufen, wie ich mir das gewünscht hätte“, sagt er in einem Besprechungsraum der Drogenhilfe Köln. Der 25-jährige Kölner ist spielsüchtig. Seine Jugend hat er vor der Konsole verbracht. Es blieb nicht die einzige Sucht. Ein Erfahrungsbericht.

Es ging los, als ich zehn oder elf war: Ich hatte einen Atari-Computer, nach der Schule habe ich gezockt, Pokemon oder Super Mario, zwei, drei, manchmal vier Stunden am Tag. Die Eltern meines besten Freundes waren strikt, er durfte immer erst nach den Hausaufgaben spielen, bei mir war es lockerer.

Irgendwann kam die erste Konsole auf den Markt, die „Wii“ von Nintendo, ein Freund von mir hatte sie, wir haben dann viel bei ihm gezockt. Als ich zwölf wurde, bekam ich einen Laptop – und es ging mit den Online-Spielen los: League of Legends, Battlefield Heroes, ein paar jüngere Leute werden sich erinnern. Mit den Jugendlichen, mit denen ich gezockt habe, habe ich mich über Skype unterhalten. Die Schule habe ich immer mehr vernachlässigt, aber es fiel nicht besonders auf: Ich habe die Hausaufgaben im Bus abgeschrieben, Dreien oder Vieren geschrieben – es ging irgendwie.

Als ich 15 war, kam eine zweite Sucht dazu: Cannabis
Maximilian Zimmermann

Als ich 15 war, kam eine zweite Sucht dazu: Cannabis. Ich habe angefangen zu kiffen. Erst nur nachmittags und abends, später auch während ich vor dem Laptop gesessen und gezockt habe. Es gab einen guten Freund, der mir irgendwann gesagt hat, ob ich mein ganzes Leben mit Spielen und Kiffen verbringen wolle – danach habe ich mal angefangen, Basketball im Verein zu spielen, bin Longboard gefahren mit Kumpels; aber die Routinen waren schnell wieder da: Spielen und Kiffen.

Spielsüchtiger in Köln: „Mehr Struktur und Autorität wären für mich definitiv besser gewesen“

Den Realschulabschluss habe ich trotzdem geschafft, mit verhältnismäßig okayen Noten. Meine Eltern wussten Bescheid, was ich mache: Meine Mutter sagte, ich solle es nicht übertreiben, von meinem Vater gab es ab und an Stress – aber so richtig verboten haben sie es nicht. Im Nachhinein denke ich: Mehr Struktur und Autorität wären für mich definitiv besser gewesen.

So habe ich nach der Schule weiter zu Hause gewohnt, weiter gezockt, gekifft, ab und an getrunken. Eine Ausbildung zum Zerspannungsmechaniker habe ich nach wenigen Wochen abgebrochen. Habe dann Maßnahmen der Agentur für Arbeit zur Berufseingliederung besucht, Maurer-Lackierer zum Beispiel, habe die Maßnahmen abgebrochen – um den ganzen Tag vor dem Laptop zu sitzen und zu spielen. Elf, zwölf Stunden, das war normal.

Gamer auf der Gamescom 2022 auf dem Gelände der Kölnmesse. Zu sehen sind Gamer vor Konsolen.

465.000 Zwölf- bis 17-Jährige gelten in Deutschland als spielsüchtig. Hier ein Bild von der Kölner Gamescom 2022.

Viele meiner Freunde waren spielsüchtig – vielleicht habe ich mir deswegen gar nicht so große Gedanken gemacht. Ich dachte: ist doch normal. Ich bin jung. Und wenn sich Sorgen und Ängste meldeten, habe ich gekifft oder getrunken.

Zwischendurch bin ich in tiefe Löcher gehalten. War grundlos traurig oder aggressiv. Dass das Depressionen waren, habe ich erst verstanden, als ich mit 20 in eine Klinik gegangen bin. Meine beste Freundin hatte angekündigt, dass sie den Kontakt abbricht, wenn ich mein Leben nicht ändere – zumindest mit den Drogen sollte ich aufhören. Das habe ich dann auch gemacht. Als ich clean war, bin ich für sechs Monate in stationäre Therapie gegangen. Mit vielen Gesprächen, Sport, Arbeit an der Tagesstruktur und so.

Drogen und Alkohol habe ich seit der Zeit in der Klinik nicht mehr angerührt. Spielen? Das ist leider nach wie vor ein Thema
Maximilian Zimmermann

Ich nahm jetzt Medikamente, Anti-Depressiva, um klarzukommen, bekam eine gesetzliche Betreuerin, kam in eine betreute WG. Drogen und Alkohol habe ich seit der Zeit in der Klinik nicht mehr angerührt. Spielen? Das ist leider nach wie vor ein Thema. Ich bin den ganzen Tag, von morgens früh bis abends spät, auf Twitch, einer Plattform für Videospiele und E-Sports und moderiere dort Chats. Manchmal spreche ich da auch über meine Sucht und versuche, andere Leute davon abzuhalten. Es gibt auf der Plattform auch eine Selbsthilfegruppe – aber ich muss zugestehen, dass es für mich nach wie vor eine Sucht ist, dort zu sein.

Mit meinen Betreuern von der Drogenhilfe Köln arbeite ich an einem strukturierten Alltag. Einkaufen, essen kochen, sauber machen, so etwas. Irgendwann möchte ich allein leben, auch wieder arbeiten. Teilzeit könnte ich mir im Moment vorstellen, ein paar Stunden am Tag oder am Wochenende. Arbeit mit Holz oder Metall, das würde mich interessieren. Vollzeit, das würde ich nicht schaffen.

Ich möchte unbedingt mal nach Japan reisen – das Land und die Kultur interessieren mich sehr. Dafür müsste ich regelmäßig eigenes Geld verdienen. Und den Laptop morgens nicht aufmachen. Ich hoffe, das schaffe ich irgendwann.

Im Rückblick auf meine Jugend hätte ich mir gewünscht, dass meine Eltern mir engere Grenzen gesetzt hätten. Jugendlichen, die viel zocken und merken, dass sie die Schule vernachlässigen, Freunde oder Sport, rate ich: Holt euch rechtzeitig Hilfe! Wartet nicht ab, bis ihr in die Klinik müsst und die beste Zeit eures Lebens verpasst.

465.000 Jugendliche gelten in Deutschland als gamingsüchtig 

In Deutschland spielen rund drei Millionen Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren regelmäßig am Computer. Nach einer aktuellen DAK-Studie gelten 15,4 Prozent der Minderjährigen als sogenannte Risiko-Gamer. Damit zeigen rund 465.000 aller Jugendlichen dieser Altersgruppe ein riskantes oder pathologisches Spielverhalten im Sinne einer Spielsucht. Die Betroffenen fehlen häufiger in der Schule, haben mehr emotionale Probleme und geben deutlich mehr Geld aus. Das zeigt der Report „Geld für Games – wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird“ der DAK-Gesundheit und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen.

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