Das Spiel mit der SuchtSo viel nimmt NRW mit Sportwettensteuern ein – Werbeverbot gefordert

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Ein Mann sitzt auf einer Couch, guckt ein Fußballspiel und hält ein Handy in den Händen, in dem er eine Sportwette platziert.

Fußball ist einer der größten Märkte für Sportwetten, die sich schnell über das Handy platzieren lassen. Trotz der Suchtgefahren ist das Glücksspiel zu einem Milliardengeschäft geworden. (Symbolbild)

Ab Freitag rollt der Ball wieder in der Bundesliga. Immer mit dabei: Sportwetten. Warum wird das Spiel mit Suchtgefahren geduldet?

Wenn ab Freitagabend der Ball in der Fußball-Bundesliga wieder rollt, ist eins sicher: Tausende werden Geld verlieren in Sportwetten. Glücksspiel, besonders online, ist ein Milliardengeschäft, und das Land Nordrhein-Westfalen nimmt viele Millionen mit Steuern ein. Werbung für Sportwetten gibt es überall, ob als Trikot-Sponsor, TV-Reklame in der Halbzeitpause oder Bandenwerbung im Stadion. Dabei sind Gefahren der Glücksspielsucht seit Jahren bekannt.

Dennoch ist das Spiel legal – warum eigentlich? Und wie viel nimmt NRW durch Sportwetten ein? Ein Überblick, auch zu der anhaltenden Kritik.

Tipico, Bwin und Co.: Wettanbieter ringen am umkämpftem Markt um junge Kunden

Schwarzer Rauch, rotes Neonlicht. „Nur du kannst dich challengen. Du willst mehr? Easy“, sagt die markante Off-Stimme. Junge Männer begrüßen sich und kicken einen Fußball, stehen vor protzigen Autos, Blick ins Stadion und die Fankurve. Der Werbespot des Glücksspielanbieters Tipico, einem der größten Anbieter in Deutschland, spricht seine Zielgruppe, vor allem junge, fußballbegeisterte Männer, direkt an. Die Botschaft ist eindeutig: Du hast es in der Hand zu gewinnen, wortwörtlich kinderleicht am Handy. Vom Verlieren kaum ein Wort.

Wettbüros, wie hier von Tipico in Wolfsburg, gibt es viele. Getragen werden sie auch durch prominente Werbefiguren wie Ex-Nationalspieler Oliver Kahn (l.).

Wettbüros, wie hier von Tipico in Wolfsburg, gibt es viele. Getragen werden sie auch durch prominente Werbefiguren wie Ex-Nationalspieler Oliver Kahn (l.).

Tipico ist einer von vielen Wettanbietern wie Bwin, Oddset, Betway, Tipwin, Bet-at-home – die Liste ist lang und sie wird getragen von Sportgrößen wie Oliver Kahn, die für die Anbieter werben. Diese sind etabliert im Profi-Fußball, ein fester Teil des Geschäfts geworden. Sogar die Bundesliga selbst hat eine Partnerschaft mit Tipico, genauso wie der FC Bayern MünchenBorussia Dortmund und der 1. FC Köln haben eine Partnerschaft mit Bwin.

Expertin zu Glücksspielsucht: Online-Sportwetten sind „Einstiegsdroge“ ins Glücksspiel

„Wir beobachten, dass viele Menschen über Online-Sportwetten zu Online-Casinos und anderen Online-Glücksspielen gekommen sind“, sagte die Leiterin der NRW-Landesfachstelle Glücksspielsucht in Bielefeld, Verena Küpperbusch. Die Online-Sportwetten bezeichnete sie als „Einstiegsdroge“ ins Glücksspiel.

Besonders betroffen von Glücksspielsucht seien 14- bis 30-Jährige. Den ersten Kontakt mit Glücksspielen hätten die Menschen durchschnittlich schon mit 13 Jahren - obwohl Glücksspiel in Deutschland erst ab 18 Jahren erlaubt ist. Sportwetten seien dennoch bereits bei Kindern und Jugendlichen sehr beliebt, warnte Küpperbusch.

Nach aktuellen Zahlen der Landesfachstelle sind in NRW 277.000 Menschen glücksspielsüchtig oder gefährdet, es zu werden. Mehrheitlich handele es sich bei den Betroffenen um junge Männer. Besonders anfällig seien solche mit niedrigem Bildungsniveau und Migrationshintergrund, so Küpperbusch.

Sportwetten und Glücksspiel: Land NRW nimmt Millionen über Steuern ein

Das Land NRW hat durch Steuern auf Sportwetten, also ohne Casinos oder Automatengeschäfte, im vergangenen Jahr rund 106 Millionen Euro eingenommen, teilte das NRW-Finanzministerium auf Anfrage mit. Insgesamt werden laut Haushaltsplan 2023 für alle Glücksspielangebote sogar Steuern in Höhe von 589 Millionen Euro erwartet. Geregelt werden die Steuern durch das Rennwett- und Lotteriegesetz, Wetteinsätze werden mit 5,3 Prozent besteuert.

Aber warum ist das Wetten, das Suchtgefahren birgt, überhaupt erlaubt? 2021 wurde das Glücksspiel in einem neuen Staatsvertrag geregelt. „Zur Erreichung der Ziele des Glücksspielstaatsvertrags, zu denen auch die Kanalisation von spielwilligen Personen hin zum erlaubten Glücksspiel gehört, ist es erforderlich, dass ein ausreichendes Glücksspielangebot besteht“, heißt es in einer Antwort des NRW-Innenministeriums. Würde es keine zugelassenen Wettbüros geben, „würden spielwillige Personen bei illegalen Anbietern ohne jeglichen Spielerschutz ihre Wetten abgeben“, heißt es aus dem Ministerium weiter. Also: Menschen, die wetten wollen, wird es wohl immer geben, dann aber wenigstens kontrolliert.

Um gegen Glücksspielsucht vorzugehen, deren Prävention im Staatsvertrag oberstes Ziel ist, gibt es in NRW wie in anderen Bundesländern ein breites Angebot zur Aufklärung und Hilfe: Landesfachstellen, Hilfstelefone sowie Seminare und Broschüren. Über das landeseigene Portal gluecksspielsucht.de gibt es viele Angebote. Etwa die Initiative „Glüxxit“ richtet sich beispielsweise speziell an suchtgefährdetes Klientel und informiert junge Menschen an Berufskollegs.

Bündnis stellt sich gegen Werbung bei Sportwetten: „Wettanbieter brauchen den Sport, der Sport aber nicht die Wettanbieter“

Aber reichen Prävention und Beratung? Aus Sicht des „Bündnis gegen Sportwetten-Werbung“ nicht, das Bündnis fordert eine deutliche Stärkung der Fachstellen und Aufklärungsangebote. Der größte Kritikpunkt der Initiative, wie der Name verrät, ist aber die Werbung für Sportwetten. Unterstützt würd das Bündnis von zahlreichen Fach- und Suchtberatungsstellen sowie Prominenten wie Ex-Sportmoderator Werner Hansch, der selbst Opfer der Spielsucht wurde. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagte Hansch im Juni: „Die Wettwerbung ist ein großer Faktor bei der Spielsucht.“

Bündnis-Mitbegründe Markus Sotirianos sieht vor allem Gefahren für junge Spieler: „Die junge Generation wächst bereits in dem Bewusstsein auf, dass Sportwetten irgendwie doch dazu gehören.“ Er kritisiert, dass der Zugang zum Wetten so leicht ist: „Bereits jetzt sind die Apps der Anbieter auf den Handys vieler Jugendlicher verbreitet, die immer wieder kreative Wege finden, ihre Wetten zu platzieren. Hier wächst eine neue Generation potenzieller Süchtiger heran, die von den Herren Kahn und Matthäus oder Frau Wontorra verführt worden sind.“

Glücksspielforscher sieht in Werbung für Sportwetten Gegenteil von Suchtprävention

Die Suchtgefahr durch die Werbung sieht auch Tobias Hayer, Glücksspielforscher der Uni Bremen und Unterstützer des Bündnisses: „Die massive Bewerbung von Sportwetten stellt das Gegenteil einer effektiven Suchtpräventionspraxis dar.“ Der Experte, der nicht grundsätzlich für ein Glücksspielverbot ist, widerspricht auch dem NRW-Innenministerium, das eine „Kanalisation“ von Glücksspiel-willigen Menschen in geregelte Stellen vorsieht: „Tipico hat überhaupt kein Interesse daran, dass das Geld bei Bwin landet. Das Argument der Kanalisation in ein geregeltes Angebot greift nicht. Vielmehr geht es um die Kanalisierung in die eigene Tasche“

Stattdessen sieht er den großen Konkurrenzkampf unter den Wettanbietern: „Es geht hier um ganz viel Kohle, Anbieter befinden sich in einer Wettbewerbssituation. Da muss der Markenname bekannt sein, und deswegen wird so aggressiv geworben.“ Dabei sollten doch eigentlich Spielanreize und Verfügbarkeiten reduziert werden. „Die Werbung macht genau das Gegenteil“, so Hayer.

„Wettanbieter sind keine normalen Unternehmen, sie haben eine andere Verantwortung. Natürlich ist Glücksspielsucht ein Mix aus vielen Faktoren. Aber Werbung hat eben diese Kollateralschäden, speziell junge Menschen sind besonders gefährdet“, sagt der Glücksspielexperte. Seine Botschaft lautet: „Die Sportwette braucht den Sport, aber der Sport nicht die Sportwette.“ (mit dpa)

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