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SternenkinderWenn das Leben endet, ehe es angefangen hat – Leitfaden soll Familien unterstützen

4 min
Grabsteine für Sternenkinder und Fehlgeburten

Sternenkinder können auch ins Familienbuch eingetragen und bestattet werden.

Ein Leitfaden der Uniklinik Köln soll Kliniken und Hebammen in NRW bei der Betreuung von Sternenkind-Eltern helfen.

Wenn das Leben jeden planbaren Weg verlässt, dann ist es gut, wenn da etwas zum Festhalten ist. Ein Leitfaden zum Beispiel, der durch die Katastrophe führt, gerade wenn der Einzelne erstmal wenig Kapazität zum Nachdenken hat. Bringt man in Nordrhein-Westfalen ein sogenanntes Sternenkind zur Welt, also eines, das schon bei der Geburt tot ist oder kurz darauf verstirbt, dann gibt es so einen landesweiten Leitfaden bislang nicht. Ein Versäumnis, wie auch die Fraktionen von CDU, SPD, den Grünen und der FDP unlängst feststellten und die Regierung damit beauftragten, einen Plan mit relevanten Akteuren wie den Kliniken zu entwickeln.

Portrait Nicola Bauer Medizinische Fakultät Dekanat

Nicola Bauer ist Professorin für Hebammenwissenschaften an der Medizinischen Fakultät der Universität Köln.

„Unser Ziel ist es, die Unsicherheit von Betroffenen und Betreuenden zu überwinden und die vielen unstrukturierten Angebote, die es schon gibt, zu vereinheitlichen“, sagt Nicola Bauer, Professorin für Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. Gemeinsam mit Ärztin Daniela Reitz aus dem Elisabeth-Krankenhaus Essen und Marcus Redaèlli, Arzt und Gesundheitsökonom am Uniklinikum Köln, hat Bauer einen Leitfaden für die Familien der deutschlandweit mehr als 2900 totgeborenen Kinder jährlich erarbeitet. In NRW waren im vergangenen Jahr 685 Mädchen und Jungen bei der Geburt schon gestorben. Bezahlt wird das Projekt von der Sozialstiftung NRW.

Wer alle zählt, landet bei einer Million Betroffenen

„Man sagt immer, das sei eine kleine Gruppe. Das stimmt aber nicht. Mit den 3300 werden nur die späten Schwangerschaftsverluste gezählt. Für alle anderen gibt es kein Register, wir schätzen die Zahl aber eher auf knapp 40.000 im Jahr. Und wenn man bedenkt, dass in jedem Fall zwei Eltern mitbetroffen sind, vielleicht Geschwister, Großeltern, Freunde, Nachbarn, Kollegen, aber auch Klinikpersonal und Hebammen, dann ist man schnell bei einer knappen Million Menschen“, sagt Marcus Redaèlli.

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Portrait Marcus Redaélli Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie

Marcus Redaèlli ist Arzt und Gesundheitsökonom an der Uniklinik Köln.

Unsicherheiten gibt es einige: Wie geht man mit Kindern um, denen man den Verlust des ungeborenen Geschwisterchens erklären muss? Wo kann die Geburt stattfinden, damit die Mütter auf den Fluren nicht mit lauter gesunden Säuglingen und deren strahlenden Familien zusammentreffen? Wie läuft das mit der Bestattung ab? Ist ein Eintrag beim Standesamt möglich? Wie kann das totgeborene Kind würdig einige Stunden beispielsweise in einem Kältebett aufbewahrt werden, damit die Eltern sich verabschieden können? „Viele Eltern stehen zu Beginn so unter Schock, dass sie sich ihr Kind nicht ansehen können. Dann brauchen wir Erinnerungsstücke wie Hand- oder Fußabdrücke, Bilder, vielleicht eine Haarlocke zum späteren Abschiednehmen. Schließlich zeigen Studien, dass dies den Trauerprozess erleichtert“, sagt Bauer. Und sogar die Trennungsraten nach einem solchen Verlust fielen niedriger aus, wenn das Paar professionell begleitet würde.

Angebote sind vorhanden, oft aber nicht verknüpft

Was die Mitarbeitenden des Projekts zudem bedenken müssen, ist die Schulung aller relevanten Personen. „Nicht nur Hebammen müssen Bescheid wissen und sollten auch Zugang zur Supervision haben, sondern auch Rettungssanitäter und Seelsorger, Psychologen, Bestatter, Ärzte und Ärztinnen“, sagt Bauer. „Auch in Kliniken neigt man manchmal dazu, das Thema nicht offen zu benennen. Dabei ist es besser, wenn die Betreuungspersonen kondolieren, bevor der Verlust totgeschwiegen wird.“ Zudem müssten die Strukturen so verknüpft sein, dass alle Beteiligten wüssten, wohin sie Trauernde schicken könnten – sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Auch Menschen aus anderen Kulturen gelte es mitzubedenken. „Häufig erleben wir hier andere Bedürfnisse. Manchmal ist das Thema mit starker Scham und Schuldbewusstsein der Frauen besetzt“, sagt Redaèlli. Zudem sei wünschenswert, dass nicht nur christliche Geistliche im Netzwerk aktiv seien, sondern man auf Wunsch auch Vertreter anderer Religionen benachrichtigen könne.

Im Oktober verschicken Redaèlli und Bauer nun erst einmal Fragebögen an 146 Kliniken in Nordrhein-Westfalen. Im November werden dann die Hebammen und Gynäkologen befragt. Erste Ergebnisse soll es dann schon zur Gesundheitsmesse Medica im November geben. Ende kommenden Jahres wollen die Verantwortlichen einen Leitfaden veröffentlichen, der klare Handlungsanweisungen und Hilfsangebote für alle Kliniken und die Betroffenen ausweist. Redaèlli sagt: „Wir wollen das Thema fassbar und die Kinder sichtbar machen. Wir hoffen, Betroffenen dadurch die Trauer zu erleichtern.“

Weitere Informationen zum Projekt gibt es bei der Uniklinik.