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Unsichtbare Grenze um den DomWo in Köln die Touristen sind – und wo nicht

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Das Foto zeigt das Rheinufer bei den Poller Wiesen vor dem Dom (r) und den Kranhäusern (l). oto: Oliver Berg/dpa

Das Rheinufer bei den Roller Wiesen vor dem Dom (r) und den Kranhäusern (l). Aufgrund der anhaltenden Trockenheit hat der Rhein einen niedrigen Pegelstand.

Der Städtetourismus boomt wie nie. Doch die meisten Touristen schaffen es nicht weiter als zur Hohe Straße und zurück. Warum ist das so?

Melanie und Ammon Anderson sind beeindruckt. Ihr Blick geht zur Domspitze. Nur für einen kurzen Zwischenstopp sind sie in Köln. Einmal noch den Dom sehen, bevor es weiter nach Essen geht. Den Koffer haben die beiden Amerikaner aus Utah noch in der Hand, als sie auf der Domplatte stehen.

Ein Mann mir roter Mütze und eine Frau stehen Arm in Arm vor dem Kölner Dom.

Ammon and Melanie Anderson aus den USA sind zum zweiten Mal in Köln. Der Dom ist hier Highlight.

Es ist nicht ihr erster Besuch der Stadt: „Wir waren letztes Jahr für drei Tage in Köln und es war das Highlight unserer Reise.“ Dabei war der Stopp ein spontaner: Eine Frau im Zug habe ihnen den Tipp gegeben, in Köln auszusteigen. Nach dem ersten Dom-Bestaunen sind sie am Rheinufer spazieren gegangen und haben das Schokoladenmuseum besucht. Offenbar hat es den Andersons so gut gefallen, dass sie sich jetzt dachten: „Wir wollten den Dom nochmal sehen. Er ist so atemberaubend.“

Entlang der Postkartenmotive

Was sich die Andersons von Köln angeguckt haben, ist genau das, was ein Großteil der Touristen von der Stadt mitnimmt. Das zeigen die Daten von Targomo. Das Unternehmen für Standortanalysen hat die Bewegungsdaten von Einheimischen und Touristen in Köln ausgewertet und stellt die Bewegungsmuster beider Gruppen gegenüber: gelb für Touristen und lila für Einheimische. Je dunkler die Farbe, desto mehr Personen laufen an der Stelle durch.

Eine Karte von der Kölner Innenstadt. Der Kölner Dom und das Schokoladenmuseum sind eingezeichnet.

In der Innenstadt, rund um den Kölner Dom, auf der Hohe Straße und der Hohenzollernbrücke überwiegen die Touristen.

Das Ergebnis: Rund um den Dom, auf der Hohe Straße, am Rhein, auf der Hohenzollernbrücke und beim Schokoladenmuseum dominieren die Touristen. Auch wenn in Köln vieles gut zu Fuß zu erreichen ist, scheint sich ein Großteil der Besucher nicht weit vom Bahnhof wegzubewegen.

Ausschnitt der Stadtkarte: Links der Aachener Weiher, rechts der Hohenstaufenring.

Zwischen Aachener Weiher und Hohenstaufenring gehen immer noch mehr Einheimische als Touristen aus.

Stadtteile wie Ehrenfeld oder der Bereich rund um den Aachener Weiher, Belgisches Viertel und Chlodwigplatz werden zwar auch von Touristen besucht, jedoch sind sie hier in der Minderheit. Rechtsrheinisch bei den Köln-Arcaden oder auch am Zoo dominieren die Kölner. Bei der Lanxess-Arena und an den Messehallen überwiegen dagegen die Touristen.

Ein Mann in einer grünen Jacke. Im Hintergrund ist die Venloer Straße zu sehen.

Christoph Schmidt freut sich über die Touristen in Köln.

Viele Einheimische wissen genau, wo sie lieber hingehen – und wo lieber nicht. Christoph Schmidt, seit 45 Jahren Kölner, meidet die Altstadt. „Zu viele Touris, irgendwie wirkt es nicht echt. Wie eine Märchen-Altstadt.“ Er geht lieber nach Ehrenfeld. Über Touristen freut er sich aber trotzdem: „Wenn Leute mit fragendem Gesichtsausdruck in der Gegend stehen, helfe ich gern und verweise in die richtige Richtung.“

Ausschnitt der Kölner Stadtkarte: rechtsrheinisch Deutz und Kalk

Auf dem Gelände der Messe Köln finden sich doch ein wenig mehr Touristen als Einheimische wieder, gleiches gilt für die Lanxess-Arena. In Kalk bei den  Arcaden überwiegen die Einheimischen.

Targomo verarbeitet anonymisierte Bewegungs- und Standortdaten von rund zwei Millionen Nutzern verschiedener Handy-Apps. Unter anderem unterstützen diese Daten Unternehmen bei Standortanalysen, Expansionsentscheidungen und Umsatzprognosen. Die Karte zeigt, wo sich 2024 vor allem Menschen bewegten, die weniger als 50 Kilometer entfernt wohnen – also Einheimische und Pendler – und wo Touristen aus größerer Entfernung unterwegs waren.

Cool und originell

Außergewöhnlich sei dieses Muster für Großstädte nicht, sagt Julian Reif, Tourismusforscher und stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Tourismusforschung. „Im Städtetourismus gibt es die Tendenz, dass Touristen sich in einer touristischen Blase aufhalten – und die liegt in der Regel im Innenstadtbereich.“ In Köln sei das der Dom, in München etwa das Hofbräuhaus, in Berlin das Brandenburger Tor.

Daten wie die von Targomo könnten solche Strukturen sichtbar machen. Weniger geeignet seien sie, um exakte Personenzahlen abzuleiten. Woher die Rohdaten genau stammen, bleibe oft intransparent.

Blick von der Hohenzollernbrücke auf den Dom. Rechts sieht man noch ein wenig den Hauptbahnhof.

Auf der Hohenzollernbrücke mit Blick auf den Dom überwiegen die Touristen.

Auch im Belgischen Viertel überwögen laut Karte die Einheimischen – das „heißt aber nicht, dass dort keine Touristen sind“, sagt Reif. In eigenen Studien habe er festgestellt, dass das Belgische Viertel ein Hauptstandort für Airbnbs ist.

2024 war das stärkste Tourismusjahr für Köln: 4,2 Millionen Gäste und rund 7,1 Millionen Übernachtungen – ein Wachstum von 24 Prozent gegenüber vor zehn Jahren. Köln vereinte damit 13 Prozent der NRW-Übernachtungen auf sich. Eine Stärke der Stadt sei die hohe Bedeutung des Shoppings. „Die Deutschen finden, dass Köln eine ‚coole‘ Stadt ist“, sagt Reif. Und auch die Einwohner selbst hielten Köln für „originell“.

Wer nach Köln kommt

Je länger jemand bleibe und je öfter er oder sie zurückkehre, desto größer werde der Bewegungsradius, so Köln-Tourismus, die offizielle Tourismusorganisation für Köln. In der Kommunikation fokussiere sie sich verstärkt auf zwei Zielgruppen: Dynamische, urbane Gäste, die sich etwa für Street-Art-Führungen, alternative Musik-Locations und das kreative Lebensgefühl Kölns begeistern, sowie kulturinteressierte Besucher, die Ausstellungen, gehobene Gastronomie und die Authentizität von Szene und Diversität schätzen. „Handydaten bestätigen, dass wir die von uns avisierten Zielgruppen erreichen“, so Jürgen Amann zu, Geschäftsführer von Köln-Tourismus.

Marie-Pierre Landreat und Sohn Axel sind mit dem Eurostar aus Paris angekommen.

Marie-Pierre Landreat und ihr Sohn Axel sind für drei Tage aus der Nähe von Paris angereist – mit dem Eurostar gut erreichbar. Den Dom fanden sie beeindruckend, das Schokoladenmuseum war leider geschlossen. „Wir wollen jetzt lieber die Architektur anschauen und die Viertel drumherum“, sagt Landreat. Vom LVR-Turm aus soll es die beste Aussicht auf Köln geben, dann geht es für sie weiter zum Botanischen Garten.

Zwei Drittel der Gäste kommen aus Deutschland, ein Drittel aus dem Ausland, besonders aus Großbritannien, den Niederlanden und den USA. Karneval ziehe überwiegend Menschen aus Köln und der Region an, so Köln-Tourismus.

Lebensraum im Vordergrund

Auch wenn die Altstadt auf der Karte von Targomo auf eine Vielzahl an Dom-Begeistertern aus aller Welt hinweist, sagt Tourismusforscher Reif, dass man noch nicht von Übertourismus in Köln sprechen könne. Die Tourismusintensität – also das Verhältnis Übernachtungen zu Einwohnern – liegt bei einem Wert von rund sieben. Zum Vergleich: Hamburg acht, München zwölf, Kopenhagen 15, Venedig 38.

Für die Zukunft sei wichtig, die Interessen der Bewohner mitzudenken, so Julian Reif. Auch Jürgen Amann von Köln-Tourismus betont: „Unser Ziel ist es, den Lebensraum Köln gleichermaßen für Einheimische und Gäste nachhaltig und attraktiv zu gestalten. Viele unserer aktuellen und geplanten Angebote sind so konzipiert, dass beide Gruppen davon profitieren.“

Ein Beispiel dafür sei die für 2026 geplante „Cool & Calm“-Hitzeschutzkarte, die kühle Kultur- und Kirchenorte sichtbar mache – ein Angebot für alle, die in Köln unterwegs sind. „Auch durch Formate wie den ‚Entdecke-Köln-Tag‘ richten wir den Fokus direkt auch auf die Kölnerinnen und Kölner, indem wir ihnen neue Perspektiven auf ihre eigene Stadt ermöglichen“, so Claudia Neumann, Sprechersprecherin bei Köln-Tourismus.

Köln-Tourismus nehme die Herausforderung ernst, touristische Angebote und lebenswerte Strukturen miteinander zu verbinden, um Köln als facettenreichen Lebens- und Erlebnisraum weiterzuentwickeln.


Nächster Halt: Köln

Vier Personen, ein erwachsener Mann, eine erwachsene Frau und zwei Kinder stehen vor der Rückseite des Kölner Doms. In den Händen halten sie Einkaufstüten.

Christine Mildenberger mit Ehemann Christian und Kindern Mario und Lena aus Trier

Christine und Christian Mildenberger biegen mit ihren Kindern Mario und Lena um die Ecke des Römisch-Germanischen Museums. In den Händen: Einkaufstüten. Drei Tage sind sie in Köln. „Wir kommen aus einem Dorf in der Nähe von Trier. Einfach das Stadtleben, Vielfalt, Kultur – der Dom“, fasst Christine Mildenberger zusammen, was sie von Köln erwartet haben. Vom Hotel an der Zülpicher Straße sind sie zu Fuß in die Hohe Straße gelaufen. Im Anschluss gehe es für sie weiter Richtung Neumarkt.

Zwei junge Frauen stehen Kopf an Kopf vor der Treppe zum Kölner Dom.

Isabel Buchanan (l.) ist mit Freundin Sonja Stiebahl aus London in Köln zu Besuch.

Vor dem Hauptbahnhof stehen Isabel Buchanan und Sonja Stiebahl aus London. Köln ist der Start ihres Roadtrips. „Mein Vater meinte, dass der Dom so schön aussehen würde, wenn er nachts angestrahlt wird“, sagt Buchanan. „Vielleicht noch ein, zwei Brauhäuser heute Abend“ planen die beiden sich anzuschauen.


Was Kölner empfehlen – und meiden

Eine junge Frau mit dickem schwarzen Mantel und weißem Schal steht auf dem Bürgersteig der Venloer Straße.

Alexandra Timmermann würde Touristen empfehlen, auch mal in Kalk vorbeizuschauen.

Alexandra Timmermann lebt seit fünf Jahren in Ehrenfeld. Dort und im Belgischen Viertel sei sie am meisten unterwegs. Die Hohe Straße meidet sie. „Die Innenstadt finde ich fürchterlich.“ Touristen empfehle sie, Veedel wie Ehrenfeld, die Südstadt oder auch Kalk zu erkunden. „Hier sieht man, wie sich die Stadt entwickelt. Und an den Poller Wiesen kann man wunderbar spazieren gehen.“

Ein älterer Mann mit Brötchentüten in der Hand steht auf der Maastrichter Straße.

Ulrich Wolf wohnt seit fast 60 Jahren in Köln. In die Kneipen geht er inzwischen nicht mehr so häufig.

Ulrich Wolf ist vor fast 60 Jahren zum Studium nach Köln gezogen. Und geblieben. Als junger Mann ist er ins Zülpicher Kneipenviertel oder in die Südstadt ausgegangen. Heute spaziert er lieber am Decksteiner Weiher. Zum Dom geht er trotzdem immer noch. Einmal im Monat: „Der hat auch nach 50 Jahren noch eine Anziehungskraft. Es hat etwas Beruhigendes und ist ein Stück Heimat geworden.“

Zwei Männer mittleren Alters stehen mit Bier in der Hand vor einem Kiosk an der Deutzer Freiheit.

Maik Kersken (l.) und Philipp von Brockhausen fahren inzwischen auch zur rechten Rheinseite für Kultur und Unterhaltung.

Philipp von Brockhausen und Maik Kersken sind auf dem Weg zu einer Lesung in Deutz. Nach Braunsfeld, wo von Brockhausen mit seiner Familie lebt, verirren sich kaum Touristen: „Obwohl es da schöne Dinge gibt. Der kleine Tierpark steht in keinem Reiseführer.“ Als Einheimischer sei man sonst kaum in der Innenstadt, sagt er. Erst mit Kind sei er wieder zum Dom gekommen. Auch wenn die beiden nicht mehr viel Feiern gehen, beobachten sie, dass rechtsrheinisch inzwischen einiges los sei: „Es verschiebt sich einiges. Und das ist auch gut so. Kultur, das Theater zum Beispiel am Tanzbrunnen“, sagt Kersken.